Vielfalt tut gut – ist aber erst einmal hoch verdächtigt

Letztes Jahr bewarb sich Celle erfolgreich darum, in das Programm »Vielfalt tut gut« aufgenommen zu werden, das 2007 vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ins Leben gerufen „zur nachhaltigen Bekämpfung von Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus und zur Stärkung der bildungspolitischen und pädagogischen Arbeit in diesem Bereich“.

»Vielfalt tut gut« und ein weiteres Bundesprogramm gegen Rechts »kompetent. für Demokratie – Beratungsnetzwerke gegen Rechtsextremismus« wurden Ende 2010 zusammengeführt; das Ganze heißt jetzt »Toleranz fördern - Kompetenz stärken«. Die Förderung wurde zusammengestrichen von bisher 43 Mio. EUR im Jahr 2007 und von 2008 bis 2010 38 Mio. auf jetzt 24 Mio. für das neue Programm.

Seit 2011 gibt es nun auch ein weiteres Programm namens »Demokratie stärken«, das sich zum Ziel setzt, „die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit den Phänomenen des Linksextremismus und des islamistischen Extremismus anzuregen“. Dafür sollen dann wohl die eingesparten Mittel verwendet werden.

Zum Start von »Vielfalt tut gut« in Celle war es Anfang diesen Jahres nach einigen Vorarbeiten (wie z.B. die Erstellung eines Lokalen Aktionsplanes, Einrichtung einer Koordinierungsstelle, Einrichtung eines Begleitausschusses) soweit, dass Vereine und andere Organisationen aufgerufen wurden, Projektanträge einzureichen. 33 Anträge wurden eingereicht, 100.000 EUR sind zu vergeben, wovon allerdings rund 30.000 EUR für die Koordinierungsstelle und für Öffentlichkeitsarbeit schon von vorneherein verplant sind.

Aber: Alles hat seinen Preis! Bedingung für Förderung von Projekten gegen Rechts und/oder für Integration (das ist hier in Celle ein Schwerpunkt des lokalen Aktionsplans) ist die Unterzeichnung der sogenannten Demokratieerklärung mit folgendem Text:

„Hiermit bestätigen wir, dass wir uns zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland bekennen und eine den Zielen des Grundgesetzes förderliche Arbeit gewährleisten. Als Träger der geförderten Maßnahmen haben wir zudem im Rahmen unserer Möglichkeiten und auf eigene Verantwortung dafür Sorge zu tragen, dass die als Partner ausgewählten Organisationen, Referenten etc. sich ebenfalls den Zielen des Grundgesetzes verpflichten. Uns ist bewusst, dass keinesfalls der Anschein erweckt werden darf, dass eine Unterstützung extremistischer Strukturen durch die Gewährung materieller oder immaterieller Leistungen Vorschub geleistet wird.”

Konkret heißt das, dass Projektträger ihren Partner_ innen, Referent_innen etc. hinterher schnüffeln sollen. Dazu sollen sie in Verfassungsschutzberichten nachschlagen und „darüber hinaus können z.B. Referenzen, Kontakte zu anderen Trägern, Medienberichte oder entsprechende Literatur für die Prüfung der Partner in Betracht kommen.”

In dem „Beipackzettel“ (Hinweise zur Erklärung für Demokratie in den Programmen „TOLERANZ FÖRDERN - KOMPETENZ STÄRKEN“ und „INITIATIVE DEMOKRATIE STÄRKEN“) steht:

„Dürfen Zuwendungsempfänger mit der Partei DIE LINKE. zusammenarbeiten?

Eine Zusammenarbeit mit der Partei „DIE LINKE“ ist nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Allerdings ist bei der Zusammenarbeit mit Vertreter/innen der Partei "DIE LINKE." zu berücksichtigen, dass diese Partei sehr heterogen agiert. Es gibt auch offen extremistische Zusammenschlüsse in der Partei „DIE LINKE.“, wie die „Kommunistische Plattform“ (KPF) oder die „Sozialistische Linke“ (SL). Mit diesen Strukturen ist eine Zusammenarbeit ausgeschlossen.“

Dieses »Schnüffeln gegen Geld« (denn sonst gibt es keine Förderung) und Schüren von Misstrauen hat zu einer großen Protestwelle geführt. Parteien (SPD, GRÜNE, Die Linke), die Zentralräte der Juden und Muslime, Gewerkschaften, die Initiative gegen Rechtsextremismus der ev. Kirche, Expert_innen und Wissenschaftler_ innen, Fachjournalist_innen und viele Personen und Organisationen, die sich seit Jahren gegen Rechts engagieren, wehren sich gegen diese Praxis. Der 1. Februar wurde von einigen Gruppen zum Aktionstag gegen die »Bespitzelungsklausel« erklärt, Familienministerin Schröder und Kanzlerin Merkel bekamen Protestmails. Der Bundestag beschäftigte sich mit dem Thema, Erklärungen und Pressemitteilungen wurden verschickt.

Im November waren es laut TAZ bereits an die hundert Personen und Initiativen, die angekündigt haben, die verlangte Anti-Extremismus-Erklärung zu verweigern. In ihrem »Aufruf gegen Generalverdacht und Bekenntniszwang « fordern die Unterzeichner_innen auch andere Projekte und Initiativen auf, die „Bekenntniszumutung prinzipiell abzulehnen.“

Es gibt im übrigen auch verfassungsrechtliche Bedenken. Das Land Berlin hat beim Bund Widerspruch gegen die Kopplung der Demokratieerklärung an die Förderung der Träger eingelegt. In seiner Begründung beruft sich das Land auf ein Gutachten des Verwaltungsrechtlers Prof. Dr. Ulrich Battis, nach dem Teile der Erklärung „verfassungsrechtlich bedenklich“ sind und gegen den Artikel 3 des Grundgesetzes verstoßen würden. Des Weiteren drohte der Generalsekretär des Zentralrats der Juden, Stephan Kramer, mit einem Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht: "Wenn Frau Schröder die Klausel nicht zurücknimmt, dann gibt es die Klage." ***

Und wem haben die Projektträger das zu verdanken?

Kristina Schröder, “unsere” Ministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und selbsternannte Expertin für alles Extreme, aber besonders für Links- und Islamextremismus.

Wenn sie uns schon zum Schnüffeln zwingt, dann wollen wir das doch mal exemplarisch an ihr durchführen, um zu klären, ob wir mit ihr kooperieren dürften, mal ganz abgesehen davon, dass wir das nicht wollen!

So fanden wir einen Artikel (und in „Medienberichten und entsprechender Literatur“ sollen wir ja recherchieren) über sie mit folgenden Aussagen. „Schon im hessischen Landtagswahlkampf 2008, als Jugendgewalt von der CDU zum Wahlkampfthema hochgespielt wurde, erweckte Schröder mit abenteuerlichen Aussagen Aufmerksamkeit. Sie interpretierte eine Zunahme einer »Deutschfeindlichkeit « bei Migrant_innen in eine Studie des Kriminologen Christian Pfeiffer. In der ARD kommentierte Pfeiffer dies „als Missbrauch unserer Thesen, unserer wissenschaftlichen Befunde. Hier wird etwas einseitig interpretiert zu politischen Zwecken und dagegen möchten wir uns dann doch verwahren. Es gibt keine aktuelle wissenschaftliche Untersuchung, die belegen würde, dass die Deutschfeindlichkeit zunimmt.“ Im Mai 2009 beschwerte sich ein Autor der Wochenzeitung »Junge Freiheit« in dieser, Kristina Schröder solle doch auch einmal die Quellen für Ihre Bundestagsreden angeben – seine Artikel.“

Ihre Nähe zur »Jungen Freiheit« fanden wir dann auch noch in einem weiteren Artikel bestätigt:

„Auch Kristina Köhler (Schröders Mädchenname, Anm. revista) muss in ihrem Kampf gegen Links immer nervös in die eigenen Reihen bzw. auf die eigene Website schauen. Da verschwanden auf ihrer Homepage plötzlich aus dem Pressespiegel im letzten Jahr einige Links. Zwei führten zur »Jungen Freiheit« und der andere zu der Seite »PI News«. Auf beiden extrem rechten Seiten wurde, wie eigentlich immer, positiv über Frau Köhler berichtet und auf »PI-News« kann man außerdem auch noch etwas bestellen: Tassen und T-Shirts, auf denen zu lesen ist: »islamophobic and proud about it« – ganz so wie man es sich von einer »Expertin für Integration« wünscht.“ (»Garten voller Böcke« aus dem Rundbrief Nr. 15 (2009) des Bildungswerks Anna Seghers)

Die Junge Freiheit gilt als intellektuelles Sprachrohr der Neuen Rechten und besetzt die Grauzone zwischen Konservatismus und Rechtsradikalismus - und beeinflusst auf ihre diffuse Weise sogar indirekt das politische Geschehen. Auch in der sog. bürgerliche Presse wird sie mindestens als „rechts-konservativ“ beschrieben. Der Landesverfassungsschutzbericht NRW erwähnte die JF erstmals 1994, da „tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht rechtsextremistischer Bestrebungen“ existierten. Das Bundesamt für Verfassungsschutz zog in seinem Bericht für 1995 nach. Erst aufgrund einer Entscheidung des BVG wird die JF seit 2005 nicht mehr in den VSBerichten gelistet, nicht weil es eine Richtungsänderung bei ihr gab, sondern weil das BVG im Interesse der Pressefreiheit höhere Hürden vor einer Veröffentlichung in den Berichten errichtete. „Bloße Kritik an Verfassungswerten” reiche dazu nicht aus.

Tja, Frau Schröder –Mit Ihnen kann man sich ja wirklich nicht sehen lassen!

*** Wie sich die Celler Verbände, Vereine und Initiativen verhalten werden, ist noch unbekannt. Mehr zum Celler Programm »Toleranz fördern - Kompetenz stärken« findet sich unter: http://www.vielfalt-in-celle.de