Helmuth Hörstmann (links) beim Deutschen Burschentag in Celle im Mai 1986.Ein Freund, ein guter Freund ...

Eine geheime »Kampf«-Abstimmung war am Ende erforderlich, um Celle von einer Rathausadresse zu „befreien“, die einen ehemaligen SS-Obersturmführer ehrte. Das Abstimmungsergebnis war mehr als knapp: Nur 23 von 41 stimmberechtigten Ratsmitgliedern wollten sich vom Helmuth-Hörstmann-Weg verabschieden. Immerhin 17 (bei einer Enthaltung) sahen weder einen entscheidenden Makel in der SS-Uniform, mit der sich Celles späterer Oberbürgermeister schon im Jahr 1933 schmücken wollte, noch in den Legendenbildungen, mit denen er bis in die 1980er Jahre seine Verantwortung und die seines Milieus für die Tragfähigkeit des NSRegimes zu beschönigen suchte. Die Rathausadresse lautet künftig «Am Französischen Garten«.

 

Die Diskussion im Vorfeld wurde von Seiten der Gegner einer Umbenennung mit einer Schärfe geführt, die – wie OB Mende meinte - den „Frieden der Stadtgesellschaft“ gefährde. Wer die Ratssitzung besucht hat, kann dem zustimmen. Die Mehrheit der Besucher_ innen war erschienen, um den Ratsmitgliedern Wulf Haack und Udo Hörstmann den Rücken zu stärken. Diese hatten seit Wochen im Verbund mit dem Internetportal- Betreiber Peter Fehlhaber keinen Versuch ungenutzt gelassen, das Gutachten von Bernhard Strebel wie auch die Empfehlung der Bewertungskommission zu diskreditieren. Dass dabei am Ende selbst das antisemitische Ressentiment bemüht wurde, zeigt die Hybris dieser Akteure.

„Straßennamen-Streit“ – Turbulenzen vor dem Tag der Entscheidung“ titelte mit der Autorenangabe »extern« das Internetportal »CelleHeute«, um über das Mitglied der Bewertungskommission, Michael Fürst, zu behaupten: „Über Dr. Helmuth Hörstmann urteilte die Kommission, dass ihm zwar kein Verbrechen nachzuweisen sei, er aber nicht als Vorbild dienen könne. Die gleiche Frage, wenn auch mit einem anderen Hintergrund, muss sich nun das Kommissionsmitglied von Kritikern gefallen lassen.“ Fürst, Vorsitzender des Landesverbandes der jüdischen Gemeinden in Niedersachsen, habe sich am Immobilienmarkt verspekuliert und Privatinsolvenz anmelden müssen. Das alles verknüpft mit dem Hinweis auf Fürsts Beruf als Rechtsanwalt. Bemüht wird hier das antisemitische Stereotyp vom mächtigen, reichen und rachsüchtigen Juden. Die Meldung war dann noch versehen mit der Dreistigkeit, »CelleHeute« habe Fürst um eine Stellungnahme gebeten.

Ähnlich niveaulos verlief der von Haack und Hörstmann angezettelte »Historikerstreit«. Als sie den Rechtsanwalt Peter Weise mit einem „Gegengutachten“ ins Feld schickten, war die Grenze der Peinlichkeit auf geschichtswissenschaftlicher Ebene erreicht. Der Burschenschaftsbruder des alten Oberbürgermeisters (und mit ihm Ausrichter des Deutschen Burschentages in Celle 1986) hatte Hörstmanns Legende, im Dezember 1938 zwei Celler Juden in Berlin nach ihrer Entlassung aus dem KZ Oranienburg geholfen zu haben, noch um einen Zusatz erweitert: Der SS-Offizier Hörstmann habe ihnen den Judenstern, den es zum angegebenen Zeitpunkt nicht gab (bzw. »nur« auf Häftlingskleidung), entfernt. Dass er für diese Darstellung bis heute keinerlei Beleg vorgelegt hat oder vorlegen kann, muss nicht überraschen. Mit Wissenschaft hatte das Ganze von vornherein nichts zu tun. Um so erstaunlicher ist, dass sich der „Groß“-Historiker Hans Mommsen von Haack aufs Glatteis führen ließ. Um eine Stellungnahme gebeten, bekamen sie von ihm zwar nicht den erhofften Verriss des Strebel-Gutachtens – im Gegenteil: Dieses bewertet Mommsen als „sehr eingehende und quellengesättigte Untersuchung“. In einem aber irrt der Professor, wenn er „gutachtlich“ auf einer einzigen Seite und ohne jede Quelle verkündet, es seien „in der Sache […] keine relevanten Sachverhalte seit dem Beschluss des Rats der Stadt Celle am 25.3.1999 geltend gemacht worden.“ Nun ist in der Tat Hörstmanns Rolle beim Stahlhelm- Treffen weder neu noch allein ein Fakt, der eine Umbenennung gerechtfertigt hätte. Nur: Weder waren 1999 die NSDAP- und SS-Mitgliedschaft bekannt noch die fragwürdigen Bemühungen, von ehemaligen Celler Juden reingewaschen zu werden. Wenn das keine neuen Gesichtspunkte sind, dann bleibt als Wertmaßstab tatsächlich nur das Strafgesetzbuch.

Darauf immerhin wollten sich einige Ratsmitglieder aus dem bürgerlichen Lager nicht einlassen. Die Fraktionsvorsitzenden Gevers (CDU), Falkenhagen (FDP) und Schoeps (WG) bekannten sich zu einer NSkritischen Erinnerungskultur, ohne die Zerrissenheit ihrer Fraktionen bzw. ihre Minderheitenposition unter den Tisch zu kehren. Am eindringlichsten war dabei der Redebeitrag von Heiko Gevers, der seine Überlegungen auf die Fragen zuspitzte: „Was sagen wir unseren Kindern, was sagen wir Anita Lasker Wallfisch, was sagen wir Kurt W. Roberg, was sagen wir unseren ausländischen Mitbürgern, und unseren internationalen Geschäftspartnern, was sagen wir allen, die sich heute und morgen ein Bild von der Stadt Celle machen wollen?“ (Die Reden des Oberbürgermeisters und aller Fraktionsvorsitzender finden sich auf dem webportal der Stadt Celle.)

Während die Rechtspopulisten also einen regelrechten Kulturkampf vom Zaun zu brechen versuchten, verhielten sich die Mitte-Links-Milieus Celles eher defensiv, und die Cellesche Zeitung hielt - offensichtlich ganz bewusst – den Ball flach. Im Nachhinein muss dieser Versuch, den „Stadtfrieden“ zu wahren, als gescheitert angesehen werden. Es wäre erforderlich gewesen, dass Verwaltungsspitze und Politik – aber auch Zivilgesellschaft – dem perfiden Spiel von Hörstmann und Haack deutlicher widersprechen, anstatt aus Mitgefühl mit dem Sohn den geschichtsklitternden Populisten das Feld zu überlassen. Die Stadt sollte sich bewusst werden darüber, dass sie in einem solchen Klima in naher Zukunft keine Historiker_innen mehr finden wird, die es sich antun wollen, auf einem derartig verminten Terrain zu forschen.

Heinichen: »übereifriger Opportunist« oder »nicht angebiedert«


Nebenbei entwickelt sich auch in Sachen „Wilhelm Heinichen“ eine merkwürdige Art der Auseinandersetzung. Der NS-Landrat und spätere Oberbürgermeister stand in der Umbenennungsdebatte zwar gar nicht mehr zur Diskussion, aber die Kinder Heinichens bemühen sich seit Jahren um seine „Ehrenrettung“. Dafür hat man jetzt noch Bernhard Gotto vom Münchener Institut für Zeitgeschichte (IfZ) mit einer Stellungnahme beauftragt. Dabei geht es vor allem um unterschiedliche Bewertungen des landrätlichen Handelns von Heinichen. Während Strebel dessen Verhalten im Jahr 1933 (Eintritt in die NSDAP und SS-Fördermitgliedschaft) als „übereifrigen Opportunismus“ charakterisiert, will Gotto genau dies - für die gesamte Zeit der NS-Herrschaft - nicht gelten lassen: Heinichen habe „sich dem NS-Regime nicht angebiedert, sondern unauffällig sein Amt versehen“. Für eine solche Sicht muss man aber schon mal fünf gerade sein lassen; Beispiel:

„Weiterhin referiert er [Strebel] den Bericht Heinichens über die Vorgänge in seinem Landkreis in den Tagen nach der reichsweiten Pogromnacht vom 9. November 1938. Darin gab Heinichen an, dass er einmal versucht habe, zwei der drei im Landkreis Celle lebenden Juden „nach Buchwalde abzuschieben" und diesen Versuch erneuern werde, „da sie sonst unter den jetzigen Umständen der Gemeinde zur Last fallen werden". […] Was Heinichen mit „Buchwalde" meinte, ist unklar. Zu diesem Zeitpunkt gab es im Deutschen Reich drei Orte dieses Namens: im brandenburgischen Kreis Senftenberg, im Kreis Bütow in Pommern sowie im Kreis Bautzen in Sachsen. Reinhard Rohde geht davon aus, dass Heinichen das Konzentrationslager Buchenwald meinte, ohne dies mit einem triftigen Argument zu stützen. Strebel schließt sich dieser Meinung implizit an (S. 58). Als Landrat hatte er nicht die Befugnis, Personen in ein Konzentrationslager einzuweisen; darauf hat Dr. Volker Dahm in seiner Bewertung des Berichts bereits hingewiesen. Außerdem bedeutete 1938, drei Jahre vor der Entscheidung zum Mord an den europäischen Juden, die Überstellung in ein Konzentrationslager nicht das Todesurteil. In den Akten finden sich keine Belege für Heinichens Versuche, die Juden abzuschieben, weder vor November 1938 noch danach. Zwei der drei Juden kamen 1939 tatsächlich in ein Konzentrationslager, allerdings nicht nach Buchenwald, sondern nach Dachau. Die Möglichkeit einer Mitschuld daran, die Strebel als „ungeklärt" (S. 58) offen lässt, ist hochspekulativ.“

Warum sollte Heinichen zwei Juden aus Oldau in ein kleines Dorf nach Brandenburg, Pommern oder Sachsen abschieben wollen? Das ist hanebüchener Quatsch. Es braucht kein „triftiges Argument“, um zu wissen, dass Heinichen das Konzentrationslager Buchenwald gemeint hat. Und ja – die „Überstellung“ bedeutete nicht automatisch ein Todesurteil. Was ist jetzt zynischer, diese Bemerkung – oder der Hinweis darauf, was Gotto nicht mehr erwähnt: dass nämlich David Klatschko und Jacob Gerschecz schon am 27. September 1939 an den Ort kamen, den Heinichen nach Auffassung Gottos nicht gemeint haben muss, und Gerschecz dort – im KZ Buchenwald - am 3. August 1940 verstarb, einen Monat vor seinem 50. Geburtstag und immerhin noch anderthalb Jahre vor der Entscheidung zum Mord an den europäischen Juden. David Klatschko wurde am 30. Mai 1941 an einen der Gedenkstätte Buchenwald unbekannten Ort deportiert.

Auf einen weiteren unangenehmen Zusammenhang sei an dieser Stelle hingewiesen: Der dilettierende Bericht Weises zwang die Stadt durch den öffentlich aufgebauten Druck dazu, Bernhard Strebel mit einer Gegenstellungnahme zu beauftragen - mit geringem wissenschaftlichen Mehrwert. - Und wenn jetzt eine Familie wie die Heinichens Einfluss genug hat bzw. über Beziehungen verfügt, vom IfZ ein Gutachten zur Amtsführung des umstrittenen Landrats zu bekommen, verlässt die Angelegenheit (mit dieser Gefälligkeit seitens des IfZ) den Boden der wissenschaftlichen Auseinandersetzung. Ausgetragen wird letztlich eine Art Zivilprozess, in dem die Öffentlichkeit den Richter_innenstuhl besetzen soll.

Quellen: Bernhard Gotto: Gutachten zur Amtsführung von Wilhelm Heinichen als Landrat des Kreises Celle während der NS-Zeit