Wir machen die Kuh zur Sau

Die Herausforderungen sind dramatisch. Aber angesichts der Macht der europäischen Agrarlobby sind die Chancen für eine Wende in der Landwirtschafts- und Verbraucherpolitik eher gering. Dieses düstere Fazit muss sich eingestehen, wer im Februar die Veranstaltung der Kreisgruppe des BUND (Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland) und des Ev.-luth. Kirchenkreis Celle besucht hat. Der Vortrag des BUND-Vorsitzenden Hubert Weigert (siehe Foto) zeigte in aller Schärfe die Probleme auf, skizzierte auch Lösungsansätze – aber er ließ keinen Zweifel daran, dass von einer Tendenzwende nichts zu erkennen ist. Insoweit ist es erstaunlich, dass der Kommentar in der Celleschen Zeitung („So unversöhnlich scheinen die Positionen gar nicht immer zu sein“) und die PM des Kirchenkreises („Veranstaltung [führt] zu einer weiteren Annäherung der Positionen“) die Widersprüche eher verkleisterten.


Die von Hubert Weigert vertretenen Positionen waren im Einzelnen nicht neu, aber in der Dichte der Argumentation doch so interessant, dass wir sie im Folgenden ausführlich darstellen wollen.

„Geflügelwirtschaft – quo vadis?“ lautete das Motto. Der BUND-Vorsitzende machte klar, dass es wenig bringt, dieses Thema isoliert zu betrachten. So nannte er als zentrale Herausforderungen: 1.) den Klimawandel, 2.) das Artensterben, 3.) die Sicherung des Grundwassers und 4.) der Hunger weltweit. Einige Fakten: Nach der Welternährungsorganisation FAO gehen 18 % der klimaschädlichen Treibhausgase auf die Nutztierhaltung zurück. Allein national sind ca. 1/3 der Tierarten und 1/4 der Pflanzenarten von Ausrottung bedroht. In vielen Regionen Deutschlands mit intensiver Landnutzung gibt es kein sauberes Grundwasser mehr. Die Zahl der hungernden Menschen hat im letzten Jahr wieder die Schallmauer von über einer Milliarde überschritten.

Auf jeden dieser Krisenfaktoren wirkt verschärfend, was sich als Tendenz der industriellen Tierhaltung abzeichnet: „Wir haben zur Zeit etwa 50 Millionen Masthühner. Insgesamt sind in Deutschland, geplant und beantragt - und zwar zusammengefasst Masthühner und Legehennen - noch einmal weitere 26 Millionen Einheiten dazu. Und fast die Hälfte dieser Tierhaltungen befindet sich in Beständen von über 100.000 Tieren.“

Besonderen Augenmerk richtete Weiger auf das Problem der Futtermittelimporte:

„Dieser Prozess des Zubaus bei der industriellen Tierhaltung wird ermöglicht, weil wir immer weniger Tiere aus der eigenen Futtergrundlage ernähren. Immer mehr Tiere werden – wie es dann in der Fachsprache heißt – bodenunabhängig ernährt. D.h. durch Futter, das dazugekauft wird, aber nicht aus der Region selbst stammend, sondern durch Futtermittelimporte - zu über 65 % aus Argentinien und Brasilien, vor allem Eiweißfuttermittel, Stichwort: Soja.“

Die europäische Agarindustrie importiert Futtermittel aus allen Staaten dieser Erde, selbst aus Hungerregionen. „Vor allem aber aus flächenstarken Staaten dieser Erde, die dort teilweise unter massiver Verletzung sozialer Standards realisiert werden, auch der ökologischen Standards. Und wenn wir uns heute fragen, weshalb 20 Jahre nach der zweiten UNO-Umweltkonferenz in Rio nach wie vor die Brandrodungsfläche in Amazonien nicht abgenommen hat, dann hängt das unmittelbar damit zusammen, weil eben aus dem Sojagürtel vor allem Brasiliens die Kleinlandwirte durch die Großgrundbesitzer arbeitslos gemacht worden sind, in das Heer der Landlosen aufgenommen wurden - und es deshalb ein Landurbarmachungsprogramm Brasiliens gibt, um soziale Konflikte zu reduzieren. Das bedeutet die Zerstörung der tropischen Regenwälder mit ihren gewaltigsten Folgen für Natur und Umwelt. Sie hängt also unmittelbar zusammen mit den hohen Eiweißfuttermittelimporten in unsere Regionen.“

Auf Basis der Importfuttermittel ist Deutschland zum drittgrößten Exporteur von Nahrungsmitteln aufgestiegen. „Wir sind also quasi ein Veredelungsstandort, aber die Emissionen, die Belastungen in Form von Gülle von tierischen Ausscheidungen, sie bleiben in unserem Lande.“ Mit dem Export von Hühnerfleisch-“Resten“ (Brustfleisch und Flügel werden in der EU verkauft), also dem, was hier unverkäuflich ist, werden in afrikanischen Ländern regionale Märkte zerstört.

Ein gravierendes Problem der intensiven Tierhaltung ist die Überdüngung. „Zwar müssen die Betriebe nachweisen, dass sie unschädlich für die Ressourcen die tierischen Ausscheidungen unterbringen. Aber gerade bei den großen Tiereinheiten heißt das, dass teilweise zig Kilometer entfernt die entsprechenden tierischen Ausscheidungen untergebracht werden sollen. Und wer kontrolliert das schon? Das heißt, es werden im Regelfall die standortnahen Flächen überdüngt mit den entsprechenden Wirkungen auf das Grundwasser.“

Erstaunlicherweise sind gerade an den küstennahen Standorten die Stickstoffüberschüsse ganz erheblich. Auch dies ist ein Ergebnis der billigen Futtermittelimporte, die dort wegen der geringeren Landtransportkosten die bodenunabhängige Tierhaltung forcieren. „Die Tierhaltung in Europa löst sich zunehmend von der eigenen Futtergrundlage.“

Letzteres gilt auch für die Milchwirtschaft. „Unsere Kühe werden immer weniger von Wiesen und Heu ernährt. Weidehaltung in Deutschland hat heute noch einen Anteil von 20 %. Die Kuh lebte mal vom Acker. Jetzt machen wir die Kuh zur Sau.“ Und ohne die Wiederkäuer gibt es kaum eine Chance, naturnahe Lebensräume wie Wiesen und Weiden zu nutzen. Da die Milchbauern zunehmend Grünland umbrechen, gibt es eine Abnahme von Wiesen und Weiden in der Größenordnung von jährlich 4-5 %.

Die Verbraucher_innen in Deutschland werden nach Auffassung von Weiger systematisch verblödet. Mit Markenbegriffen wie „Wiesenhof“ und „Bauernglück“ werden Bilder suggeriert, die den tatsächlichen Produktionsweisen Hohn sprechen. Dazu kommt: „Wir haben in Deutschland die teuersten Küchen der Erde, in denen aber am wenigsten gekocht wird. Wir haben einen Prozess der systematischen Entwertung unserer Grundhaltung gegenüber Lebensmitteln. Lebensmittel müssen möglichst billig sein. Man hat dem deutschen Verbraucher gesagt, es ist völlig egal, was wo und wie ihr einkauft. Es ist letztendlich alles gleich gut. Man hat eine Qualitätsdiskussion in Deutschland verhindert.“

Dass die Industrialisierung der Landwirtschaft nicht gestoppt, sondern weiter möglich gemacht wird, ist Teil einer politischen Richtungsentscheidung: „Wenn gekürzt wird in der EU in den letzten Jahren, dann sind es genau die Programme zur artgerechten Tierhaltung, zur Förderung naturnaher Landwirtschaft. Die Förderung des ökologischen Landbaus ist in ganz Deutschland deutlich reduziert. Wir sind damit, was den Ökolandbau anbetrifft, im unteren Drittel der europäischen Union. In Österreich haben wir schon 17 % ökologischen Landbau. In Deutschland haben wir zwar die größte Nachfrage nach Bioprodukten weltweit, wir haben aber nur ein Angebot in der Größenordnung von 5 %.“

Was ist daraus zu folgern? „Wir brauchen, nachdem die alte Agarpolitik versagt hat, sowohl beim Klimaschutz, wie bei der Biodiversität, wie beim Wasserschutz, neue zentrale Ziele: Regionalität statt Weltmarkt. Wir müssen vorrangig für den heimischen Bedarf produzieren. Wir müssen vorrangig so produzieren, dass die Natur wie die Tiere davon profitieren. Da ist für uns als BUND das Leitbild der biologische Landbau. Aber es ist nur das Leitbild, es gibt viele Übergangsformen.

72 % des in Deutschland eingesetzten Eiweißfutters wird importiert
(> 5 Mio. t Soja)

78 % des in die Europäische Union eingesetzten Eiweißfutters wird importiert
(> 30 Mio. t Soja)

65 % der Sojaimporte stammen aus Argentinien und Brasilien

Unser hoher Pro-Kopf-Konsum und der Export tierischer Lebensmittel besetzen in den Ländern des Südens jährlich 340 qm Acker für Sojaplantagen
.

Wir haben ganz bewusst mit der Arbeitsgemeinschaft bäuerlicher Landwirtschaft und dem Deutschen Tierschutzbund das Modellprojekt „Neuland“ auf den Weg gebracht als eine artgerechte Betriebsform der konventionellen Landwirtschaft mit Bestandsobergrenzen, mit Verbesserungen für die Artgerechtigkeit, mit dem Verbot des Einsatzes von Futtermittelimporten. Die Grenze verläuft nicht zwischen ökologisch und konventionell, sondern zwischen bäuerlicher, standortangepasster Landwirtschaft und agrarindustrieller Produktion.“

Dazu ist eine Änderung der europäischen Agrarpolitik dringen erforderlich: „Bisher bekommen 20 % der deutschen Betriebe 80 % der Gesamtförderung und zwar unabhängig von ihren ökologischen und sozialen Leistungen. Je mehr Fläche ein Betrieb hat, mit je weniger Menschen er wirtschaftet, um so höher ist seine öffentliche Unterstützung über die EU. Wir halten das System für falsch. Wir müssen dazu kommen, dass Leistungen bezahlt werden - Leistungen, die nicht an die Größe geknüpft sind. Die zentrale Forderung ist: Geld für gesellschaftliche Leistungen, d.h. für Umweltleistungen, für soziale Leistungen.“

Es gibt gewaltige Widerstände gegen eine Trendwende, weil heute mehr an der Landwirtschaft verdient wird als in der Landwirtschaft. Weiger: „Was wir wollen, ist: Wertschöpfung im ländlichen Raum sichern - das hat alles zu tun mit dezentralen Strukturen. Dagegen stehen die zentralen Strukturen des Agrobusiness. Das sind die großen Lebensmitteldiscounter. Es entscheiden letztendlich acht Lebensmitteldiscounter, was und wie in Deutschland gegessen wird, weil sie über 85 % des Marktes mit entscheiden. Sie entscheiden über die Produktion, sie geben die Preise vor, unter denen die Bauern produzieren müssen. Sie erzeugen den Druck, der den Betrieben – aus ihrer Sicht - keine andere Chance lässt, als in die Intensivierung zu gehen.“

Erfreulicherweise gibt es Widerstand gegen die Projekte der Agrarindustrie – wie in Wietze, wie mit der Demonstration im Januar in Berlin. Daraus folgert der BUND-Vorsitzende: „Es müssen neue Bündnisse entstehen, die eine Landwirtschaft fordern, die verantwortbar ist. Wir brauchen eine Agrarpolitik von unten, wo die Bürgerinnen und Bürger selbst aktiv werden. Wo sie sich um ihr eigenes Leben gemeinsam kümmern und damit politischen Druck erzeugen und deutlich machen: Wir haben es satt mit dieser Agrarpolitik konfrontiert zu werden.“