Reise durchs (wilde) Kurdistan


Im März 2011 war eine Celler Delegation in der kurdisch- türkischen Stadt Batman. Im Raum steht eine Art Städtepartnerschaft.

Batman ist eine Stadt weit im Osten der Türkei. Sie hat 300.000 Einwohner_innen. Es gibt einige Betriebe aus der Erdölindustrie. Viele Celler Kurd_innen kommen ursprünglich aus dieser Gegend. Der Bürgermeister kommt von der kurdischen Partei BDP.

Wir sprachen mit einem Mitglied dieser Delegation, das hier in einem Industrie-unternehmen tätig ist.

Du warst vom 17. März bis zum 22. März 2011 mit einer Celler Delegation in der Türkei, genauer in der kurdischen Stadt Batman. Wie viele Personen wart ihr? Welches Spektrum war vertreten? Was war der Anlass?

Wir waren 20 Personen. Es war ein breites Spektrum vertreten: u.a. Vertreterinnen und Vertreter von Gewerkschaften, vom Sportverein Dicle, von der Lobetalarbeit und der Jugendarbeit in der CD-Kaserne, die Gleichstellungsbeauftragte vom Landkreis, eine Lehrerin von einer BBS, ein Pastor, die Bundestagsabgeordnete der SPD, Lühmann, verschiedene Stadt- und Kreistagsabgeordnete von SPD, Die Linke und BSG, Die Grünen, Mitarbeiter von den niedersächsischen Gedenkstätten und vom kurdischen Kulturverein EKZ. Letzterer bildete das Organisationsteam.

Anlass war die angestrebte Städtepartnerschaft zwischen Celle und Batman; Ziel war das Kennenlernen der dortigen Stadtverwaltung und von dortigen Institutionen und Initiativen.

Mit wem seit ihr ins Gespräch gekommen? Was waren die Hauptpunkte eures Besuchsprogramms?

Das Programm war ein wenig wie ein Marathonlauf. Deshalb hier nur eine Aufzählung. Wir sprachen mit: dem Oberbürgermeister von Batman, sowie Mitarbeitern der Stadtverwaltung; dem Oberbürgermeister von Diyarbakir, eine Millionenstadt in Kurdistan; Vertretern des Bildungszentrums für Jugendliche; besuchten diverse Kulturzentren; den Frauenverein in Batman; Musikund Gesangsgruppen; die kurdischen Partei BDP (Partei für Frieden und Demokratie). Wichtig war der Besuch bei Hevildana Hasankeyf, einem Verein zum Erhalt von Hasankeyf; das ist dort, wo es die alten Felshäuser gibt und das einem Stausee weichen soll, dort haben wir jede Menge Apfelbäume gepflanzt und sind auch noch über das dort brennende Newroz-Feuer gesprungen. Okay, nicht alle. Wir haben ezidische Dörfer besucht und mit den verbliebenen Bewohnern gesprochen.

Wir haben auch an einer Veranstaltung der Banqa Xwarinê (dt. „Essensbank“; ein Sozialprojekt, im Entstehen) im Gebäude der Stadtverwaltung teilgenommen und die Parkanlage von Batman besichtigt, in der wir einige Eichen, die wir aus Deutschland mitgebracht hatten, gepflanzt haben - zusammen mit unserem OB.

Was hat dich besonders interessiert und was hat dich besonders beeindruckt?

Stark beeindruckt hat mich die Lebendigkeit: die vielen Kinder und Jugendlichen, die Musik, die 12 km lange Stadtmauer aus Vulkangestein von Diyarbakir, auf der wir mit vielen Besuchern impulsiv getanzt haben, was gleichzeitig verboten ist; das Nebeneinander der Kulturen und von Religionen, – so haben wir z.B. eine christliche Kirche in Diyarbakir besucht; das Engagement, der Friedenswille von so Vielen – eine Art gelebter Demokratie. Gleichzeitig beeindruckt die karge Landschaft, die Bescheidenheit und Ursprünglichkeit der Landbevölkerung. Und das alles, obwohl 40 % arbeitslos, weitere 40 % geringfügig beschäftigt und nur 20 % fest angestellt sind. Trotzdem oder gerade deshalb strahlt der Bürgermeister eine feste Zuversicht in die Zukunft aus. Wie sieht das bei uns aus?

Die Stadt Batman mit ihren 300.000 Einwohner_ innen wird von der kurdischen Partei BDP (Partei des Friedens und der Demokratie) politisch dominiert. Merkt man das irgendwie? Kannst du sagen, wofür die BDP politisch steht?

Die BDP steht für direkte Demokratie (Basisdemokratie) auf breiter Basis. Insbesondere sind die Frauen sehr engagiert. Die BDP vor Ort wird von einer Doppelspitze geführt, also Mann und Frau. Sie ist die einzige Partei, die sich für die kulturelle Identität der Kurden einsetzt. So ist immer noch das Schreiben in kurdischer Sprache untersagt. Auch dürfen Buchstaben wie X, W und Q nicht verwendet werden, weil sie im Türkischen nicht vorkommen. Wie soll das gehen? Die Kurden unterliegen einem starken Assimilationsdruck, während die Türken in Deutschland aufgefordert werden, sich nicht (!) zu assimilieren. Die BDP steht für die verfassungsrechtliche Anerkennung der Kurden als Ethnie, für das Recht auf Ausübung ihrer Sprache und Kultur, für muttersprachlichen Unterricht an der Schule, für eine Autonomie der kurdischen Provinzen innerhalb des Staates Türkei. Die Forderung nach einem Staat Kurdistan ist kein Thema und keine Forderung. Die BDP möchte, dass die Söhne und Töchter, die jetzt noch bei der Guerilla in den Bergen sind, straffrei zurückkommen können.

In den 90er Jahren wurden über 3000 Dörfer niedergebrannt, 40.000 Menschen starben. Es ist genug.

Während des Besuches gab es ja das Neujahrsfest »Newroz «, das von den Kurden als eine Art Nationalfeiertag gefeiert wird und oft von der türkischen Polizei behindert wird. Habt ihr an Newroz teilnehmen können?

Selbstverständlich wurden wir eingeladen und nahmen teil. Es war ein großes Fest. In Batman waren es über 100.00 Menschen – beeindruckend. In Diyarbakir sollen es schätzungsweise eine Million gewesen sein. Und in der hiesigen Presse erfährt man nichts davon und im Fernsehen sieht man davon auch nichts! Eigentlich ist das die größte Massen- und Protestbewegung im Nahen Osten.

Gibt es Ideen, Projekte, Kulturelles – wie es zwischen Celle und Batman weitergehen soll und kann?

Es wurden vor Ort Projekte angesprochen und weitere Projekte sind schon seit längerem am laufen wie z.B. die Brieffreundschaft zwischen Kindern der Gesangs- und Musikgruppe aus Batman und den Schüler innen der Grundschule Altencelle.

Anfang Mai wird es ein weiteres Treffen der Delegation im EKZ geben zur Absprache der weiteren Vorgehensweise.

Aus Batman wird demnächst, am 9. Mai 2011 um 19:30, der Sänger Hivron nach Celle kommen und in der reformierten Kirche ein Konzert geben.

Des Weiteren wird jeder in seinem Bereich versuchen, mit den Vereinen, Institutionen und Organisationen von Batman ein Projekt zu starten, um die Beziehung zu verstärken.