Heute Schüler, morgen Mörder?

Mitte März stand der so genannte Karrieretruck der Bundeswehr für eine Woche auf dem Pausenhof der BBS 1 in Altenhagen. Nicht erst seit der Aussetzung der Wehrpflicht, aber jetzt um so mehr, ist deutlich: Die deutschen Streitkräfte haben Nachwuchsprobleme. Seit klar ist, dass Wehrdienst in Deutschland auch wieder ganz real »Kriegsdienst« bedeuten kann, treten zwar aus pazifistischer Sicht immer noch zu viele junge Menschen in die Bundeswehr ein, aus Sicht der Bundesregierung und den von ihnen vertretenen Wirtschaftsinteressen sind es jedoch deutlich zu wenig. Mittels einer groß angelegten Werbekampagne an Schulen, auf kulturellen Großveranstaltungen, in der Arbeitsagentur und auf Berufsmessen soll genug Menschenmaterial für die Beteiligung Deutschlands an Angriffskriegen rekrutiert werden.

Dass das nicht immer ganz störungsfrei verläuft, zeigt nachfolgend abgedruckter Text einer Schulklasse der Landwirtschaftsschule (BBS 4). Sie werden unterrichtet von Lehrer_innen der Nachkriegsgeneration, die aus Sicht der betreffenden Schüler_innen offenbar keine bzw. die falschen Lehren zum Thema Krieg gezogen haben.

Im Folgenden der Offene Brief:

Heute Schüler - morgen Mörder? oder „Im Westen nichts Neues“

… Schüler der Albrecht-Thaer Schule (BBS 4) kritisieren Celler Schulleitungen

Am Montag, dem 14. März 2011 bemerkten wir (Schüler der BBS 4) mit Empörung, dass das benachbarte Schulgelände der BBS 1 zum einseitigen Propaganda- Ort der deutschen Bundeswehr umfunktioniert worden war. Entsetzt waren wir außerdem über das Fehlen einer umfassenden Aufklärung, welches die Eigenwerbung (Schönfärberei) der Bundeswehr kritisch beleuchten hätte können!! Es fehlte zudem ein Parallel-Programm zur Existenz und Aktivität der Bundeswehr. Möglicherweise könnten die Schutzbefohlenen der oben genannten Schulleitung eine folgenschwere Fehlentscheidung verhindern- durch folgende Themenabhandlungen im Unterricht:

  • Führung völkerrechtswidriger Angriffskriege
  • Ermordung von Menschen (auch Zivilisten, so genannte »Kollateralschäden«) und fehlende strafrechtliche Verfolgung (auch der politischen Animateure)
  • Machtmissbrauch (Vorwärts-Verteidigung bundesdeutscher Wirtschaftsinteressen am Hindukusch - frei nach Struck)
  • Und die Schüler zum freien Denken anzuregen (durch tolerante schulische Ausbildung, denn BILD- Zeitung und TV spiegeln nur einen sehr geringen Teil des realen Lebens wider).

Spontan transformierten wir unsere Gedanken in bildhafte Worte

(als Ausdruck unseres erlernten Geschichtswissens - und erlebten Verstehen de Erlernten!!!)

NIE WIEDER KRIEG

SOLDATEN SIND (BEZAHLTE) MÖRDER (Zitat von Kurt Tucholsky)

MAKE LOVE and PEACE not WAR GEWALT zieht immer GEWALT nach sich

Weitere geschriebene Meinungen wurden direkt vom Schulpersonal aus den öffentlichen Schulräumen entfernt. Mehrere Schüler hefteten besagte Bilder mit Tesa- Film in den Schulen an Wände und Türen, um Mitschüler zu warnen.

Zu warnen vor den möglichen Konsequenzen einer getroffenen persönlichen Entscheidung, die unter anderem durch mangelhafte Informationen zustande kommen kann, wie z.B.:

  • die des eigenen vorzeitigen Todes
  • im Rahmen eines „Auftrags der Bundeswehr und des deutschen Bundestags“ zum Mörder zu werden
  • Gefahr der Deformation zum körperlichen und psychischen Krüppel nach Bundeswehreinsatz
  • Persönliche Verrohung und damit Gefahr für die Allgemeinheit ( z.B. Gewalttätigkeit, Amok-Lauf)

Weil keine Genehmigung zum Plakatieren vorlag, ergab sich anschließend ein Kurzgespräch eines Schülers mit beiden Schulleitungen. Aus diesem Gespräch ging ein scheinbar bedenkenloser Umgang der Schulleitung mit der Thematik der Bundeswehr hervor. Sind das etwa Wissenslücken oder trifft eher die Bezeichnung „ staatsdienerliches Normverhalten“ zu?

Dieser Schüler wurde daraufhin mit einem einwöchigen Betreuungsverbot der BBS 1 belegt.

Wir kritisieren das DIKTAT (Duden: eine aufgezwungene, harte Verpflichtung) von den Schulleitungen, ihre Schutzbefohlenen der Anwesenheit des so genannten „Karrieretrucks“ auszusetzen. WARUM?

Des Weiteren bemerken wir, dass eine einseitige Informationsveranstaltung (keine Gegeninformation mit qualifizierten Referenten) grobe organisatorische Mängel aufweist.

Zweifel an einer „angemessenen Umsetzung des Bildungsauftrages an Schulen“ sind sicher gerechtfertigt.

Wir sagen:

Nie wieder Krieg - Nie wieder Faschismus

Wir fordern:

Mitbestimmungsrechte der Betroffenen (Schüler und Eltern)

Wir brauchen: friedliche Ausbildungsplätze und Zukunftsperspektiven

20 Schüler_innen haben den Brief unterschrieben. Eine Reaktion zu dem bei beiden Schulleitungen eingereichten Schreiben haben sie nicht bekommen. Demokratie und kritisches Denken sind in einem so hierarchisch aufgebauten System eben nicht gefragt.

„Die GEW lehnt die Werbeversuche der Bundeswehr an Schulen und anderen Bildungseinrichtungen ab und verurteilt sie. Die GEW ruft zu Aktionen gegen Werbeversuche der Bundeswehr auf. Die Schule ist kein Ort für Rekrutierung von Berufssoldatinnen und -soldaten. Es muss strikt darauf geachtet werden, dass die Bundeswehr weder offen noch verdeckt junge Leute für den Militärdienst wirbt. Wo dies jedoch der Fall ist, muss die Schulaufsicht entsprechend informiert und tätig werden sowie bei der Bundeswehr Beschwerde einlegen.“

Beschluss des GEW-Hauptvorstands vom 05./06.03.2010; Einfluss der Bundeswehr an Schulen zurückdrängen