„Frau Merkel, Frau Aigner und Frau Schavan - Wir haben Ihre Agrarpolitik satt“
Wo vor einem Jahr noch ein buntes Widerstandscamp stand, erschlägt einen jetzt der Bau der größten Geflügelschlachtanlage Europas. Ein stacheldrahtbewehrter Metallzaun, videoüberwacht, Feuerlöscher an jedem Überwachungsmast. Da fühlt sich jemand bedroht. In ganz anderer Weise bedroht fühlten sich die rund 200 Teilnehmer_innen der Kundgebung der Treckersternfahrt von der jungen Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (jAbL) sowie des Bundesverbands Deutscher Milchviehhalter Niedersachsen (BDM), die am 2. Juni gegenüber der Anlage einen Zwischenstopp eingelegt hatten. Bedroht von einer »Emslandisierung« des Aller-Leine-Tals.
Von 29. Mai bis 9. Juni waren die junge Bäuerinnen und Bauern mit ihren Treckern auf vier Routen in Deutschland unterwegs, um am Ende für eine bäuerliche, faire, tiergerechte und ökologische Landwirtschaftspolitik vors Kanzleramt in Berlin zu ziehen. Sie fordern von der Regierung, ihre Blockadehaltung zur Neuausrichtung der EU-Agrarpolitik aufzugeben und sich nicht länger als Interessensvertretung von Agrarindustrie und Großgrundbesitzern einspannen zu lassen. Ihr Motto: „Frau Merkel, Frau Aigner und Frau Schavan - Wir haben Ihre Agrarpolitik satt!“ Jedes Jahr nehme das Höfesterben in Deutschland und Europa weiter zu. Die Zukunft junger Bäuerinnen und Bauern würde Konzernen und agrarindustriellen Interessen geopfert. Millionen von Euro flössen in die Risikotechnologie Gentechnik. Immer größere Massentierhaltungsanlagen werden genehmigt. Die andere Landwirtschaftspolitik, für die sie eintreten, setzt auf tiergerechte Haltung, die Qualtierhaltung unterbindet. Sie wollen eine Landwirtschaft, die Klima und Ressourcen schont und die Artenvielfalt erhält. Sie setzen auf eine Wende in der Agrarpolitik, die die Produktion von gentechnikfreien, gesunden und fair produzierten Lebensmitteln ermöglicht. Ein Systemwechsel sei hierfür nötig, weg von der Industrialisierung der Landwirtschaft hin zu bäuerlich-ökologischer Landwirtschaft. Die EU-Agrarreform 2013 biete die Chancen dafür.
Neben Norbert Juretzko von der Wietzer BI und der Milchbäuerin Johanna Böse-Hartje sprach als Hauptredner der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, Friedrich-Wilhelm Graefe zu Baringdorf (siehe Foto unten rechts). Er forderte die Bundesregierung auf, endlich den Weltagrarbericht zu unterschreiben. Über 500 Wissenschaftler_innen hatten vor drei Jahren im Auftrag der Vereinten Nationen und der Weltbank den Stand des Wissens über die globale Landwirtschaft, ihre Geschichte und Zukunft zusammengefasst. Ein unbequemer und alarmierender Bericht, der gleichzeitig vor Irrwegen warnt und Lösungen aufzeigt. Ergebnis: Nur eine bäuerlich-ökologische, regional angebundene Erzeugung von Lebensmitteln ist in der Zukunft in der Lage, die Menschen zu ernähren (siehe nächste Seite). Das aber steht im Widerspruch zur Agrarpolitik der Bundesregierung, die sich deshalb strikt weigert, den Bericht zu unterschreiben.
Der AbL-Vorsitzende verwies darauf, dass vielen heute klar sei, dass die Risikotechnologie Atomkraft das Leben von Millionen Menschen gefährde. Nicht so klar sei dagegen den meisten, dass die europäische Agrarpolitik schon jetzt den Menschen in den Ländern des Südens den Tod bringe. Wir würden den Menschen dort das Essen vom Teller stehlen, um hiermit unsere Fleischund Milchüberschüsse zu produzieren, um dann einen Großteil davon wegzuschmeißen und den Rest zu Dumpingpreisen zu exportieren und so die lokalen Märkte kaputt zu machen. Europäische Agrarpolitik verschärfe den Hunger in der Welt.
Aber Graefe zu Baringdorf zeigte sich optimistisch: „Wir sind mitten drin im Umdenkungsprozess – die Agrarindustrie wird keine Zukunft haben.“ Das Bündnis zwischen Bäuer_innen und Verbraucher_innen sei der wichtigste Motor in diesem Prozess. Dass beide noch voneinander lernen müssen, zeigte sich sinnbildlich in den mitgeführten, schwarz-rot-gold angemalten Pappkühen. Für einige Kundgebungsteilnehmer_innen waren sie eher »grenzwertig«; für die Milchbäuer_innen dagegen eine Selbstverständlichkeit, denn in ihrem europäischen Zusammenhang drückt sich für sie gerade darin ihre Internationalität aus. Und wenn in Brüssel demonstriert wird, ist es die Vielfalt der mit den Nationalfarben »geschmückten« Pappkühe, die ein grenzübergreifendes Interesse symbolisieren.
Noch ambivalenter ist es sicher um die mitgeführte Fahne der »Landvolkbewegung« bestellt. Vor allem in Schleswig-Holstein hatten sich in der Weimarer Republik Bauern radikalisiert und gegen die Zwangsversteigerungen ihrer Höfe gekämpft. So sympathisch auch dieser Kampf sein mag, er verlief letztendlich in großer Nähe zur »Blut-und-Boden«-Ideologie der Nazis und bereitete ihnen in der Dithmarsch den Boden. Das Symbol der Bewegung war eine schwarze Fahne mit silbernem Pflug und rotem Schwert (siehe Foto untenlinks). Wahrscheinlich ist es kein Zufall, dass diese Fahne von rechtsextremistischen Internet-Versänden angeboten wird. Der bäuerliche »Fortschritt« hat scheinbar auch seine finsteren Winkel.
Aber dies wird kaum der Grund gewesen sein, warum die Polizei die friedliche Kundgebung einmal mehr mit Videoaufnahmen obeservierte. Ist das nicht eigentlich nach einem Urteil des OVG Münster verboten?
Mehr Infos unter: http://www.meine-landwirtschaft.de