Forderung nach Mahnmal für Peter Deutschmann
Am 24. September 2011 hat der Arbeitskreis für Demokratie und Menschenrechte in Eschede im Freibad eine Veranstaltung durchgeführt, um gegen die Treffen der extremen Rechten auf dem Hof des rechtsextremen Landwirts Joachim Nahtz in Eschede zu protestieren. Es wurden Ansprachen, eine Andacht, Infostände etc. durchgeführt und eine Musikgruppe hat gespielt.
Samtgemeindebürgermeister Günter Berg hat an der Veranstaltung teilgenommen, um zu zeigen, dass er dabei ist, um seine Stimme gegen Rechts zu erheben. „Eschede steht vor einer Herausforderung, wie es sich mit den rechtsextremen Aktivitäten auf dem Hof Nahtz auseinandersetzen soll. Die rechtsextremen Aktivitäten haben in den letzten vier bis fünf Jahren eine Schwelle überschritten, die Besorgnis erregend ist.“
Leider haben dieses Problem viele Escheder noch nicht erkannt, obwohl das Treiben auf dem Hof Nahtz schon seit über 20 Jahren stattfindet. Wann wird das verschlafene Dorf Eschede endlich wach?
Im Folgenden machte Günter Berg das Problem der mangelnden Solidarität aufmerksam:
„Die Wahrnehmung des Problems und des Problembewusstseins sind zum Teil sehr different, das erleben wir hier in Eschede auch. Sie erfordern eine klare Situationsanalyse und eine gemeinsame Verständigung über die Probleme in der Kommune.
Die Dorfbevölkerung kann nur in geringem Maße mobilisiert werden, das Problem wahrzunehmen, geschweige denn, an den Demonstrationen und Kundgebungen dabei zu sein und teilzunehmen.
Ich glaube, das wäre anders, wenn man Kontakt zu Personen aus der rechten Ecke hätte, wenn Nazis in Form von Kundgebungen durchs Dorf ziehen würden. Ich glaube, dann würden sich unsere Mitmenschen hier anders verhalten.“
Ja, was muss noch geschehen, damit sich die Escheder eindeutig gegen ein Nazidorf Eschede aussprechen. Es ist schon erschreckend, dass sich Bürger, wie im Folgenden von Berg dargelegt, verhalten.
„Schlimm ist es allerdings, wenn Ablehnung und Unverständnis für die Aktivitäten gegen Rechtsextremismus geäußert werden, wenn z.B. durch Straßensperrungen die Häuser nicht erreicht werden können und wenn der eigentliche gute und wichtige Zweck der Kundgebung gegen Rechts ins Hintertreffen gerät und das persönliche geschilderte Anliegen durch die vorübergebende Behinderung in den Vordergrund gerät.
AUFRUF zur DEMONSTRATION
am 17.12.2011 Beginn 14.00 Uhr
am Bahnhof Eschede
Seit Jahren finden in Eschede Treffen von Neonazis unterschiedlichster Couleur statt. Die mehrmals im Jahr stattfindenden Sonnwendfeiern haben leider schon Tradition. Diese als Brauchtumsfeiern daherkommenden Treffen dienen der norddeutschen Naziszene als sinnstiftende, Gemeinschaft Fördernde Zusammenkünfte. Es werden Kontakte geknüpft und gepflegt, Termine und Aktionen abgestimmt, aber auch gefeiert. Das Ganze ist alles andere als harmlos. Die Ideologie der Nazis ist menschenverachtend und absolut nicht zu tolerieren. Auf diese Treffen nicht zu reagieren kommt einem Tolerieren gleich. Dort, wo die Nazis ungestört sind, machen sie sich breit, sie nutzen die Möglichkeit, um neue junge Leute in ihre rechte Weltanschauung und ihr Nazilebensgefühl einzubinden. Durch regelmäßige gemeinsame Naziaktivitäten – ungestört wie hier in Eschede, aber auch öffentliche, wie die ständigen Naziaufmärsche – verfestigt sich die Szene. Wir wollen den Nazis deutlich zeigen, dass wir ihr Treiben nicht tolerieren! Wir unterstützen diesen Aufruf: … Es folgt eine Liste der UnterstützerInnen (Gruppen, Institutionen, Einzelpersonen). Anlässlich der diesjährigen Sommersonnwendfeier waren es über 30 UnterstützerInnen, die den Aufruf unterschrieben haben. Zur diesjährigen Winterdemo soll mit den UnterstützerInnen der oben abgedruckte Aufruf als Anzeige in der CZ erscheinen. Es sind nicht nur die angesprochen, die letztes Mal schon dabei waren, sondern auch DU! Also: wenn Du oder deine Gruppe / Organisation als UnterstützerIn dabei sein willst, dann melde Dich bitte bei revista (sh. Impressum). Allerdings kostet die Anzeige Geld, jede Summe ist willkommen! Bis 30.11.2011 könnt Ihr Euch melden, dann ist „Einsendeschluss“.
Wer glaubt, aktives Wegschauen löst die Sache, der ist auf dem Holzweg.“
Erschreckend ist, dass das dargestellte aktive Wegschauen insbesondere auch von Politik und Verwaltung betrieben wird. Solange von deren Seite keine eindeutige Positionierung stattfindet, wird es der Arbeitskreis für Demokratie und Menschenrechte schwer haben, die Bevölkerung zu gewinnen. Deutlich sichtbares Zeichen dafür ist, dass die Veranstaltung des Arbeitskreises für Demokratie und Menschenrechte nur von wenigen Eschedern besucht werden.
Dies verdeutlicht, in welch extremer Form die Escheder Bevölkerung den rechtsextremen Aktivitäten auf dem Hof Nahtz zuschaut. Mittlerweile wohnen schon Nazis mitten in Eschede. Sollte die braune Vergangenheit doch stärker sein, als die Escheder wahrhaben wollen?
Zeitgleich mit der Veranstaltung im Freibad trafen sich auf dem Hof Nahtz neonazistische Täter und zukünftige Täter von morgen, die nicht davor zurückschrecken, in ihrer menschenverachtenden Ideologie Menschen zu schädigen oder zu töten. Am 24. September 2011 waren es rund 150 Nazis, davon rund 30 Kinder.
Denjenigen, die die Veranstaltung am Freibad, die auf diese Gefahr hinweist, organisiert haben und daran teilgenommen haben, ist eine hohe Anerkennung auszusprechen. Sie zeigen Zivilcourage und erheben ihre Stimme gegen Rechts.
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Von Pastor Christoph von Butler und vom Samtgemeindebürgermeister Günter Berg wurde Johannes Kneifel herzlich begrüßt. Er wurde von einem NDR-Fernsehteam begleitet und in den Medien von der Evangelischen Kirche als »Held« gepriesen.
Johannes Kneifel hielt die Andacht. Er redete mit starker Sprache und sicher. Vorher konnte man ihn als unscheinbaren und leisen Teilnehmer der Veranstaltung wahrnehmen.
„Ich habe eine Vergangenheit, auf die ich nicht besonders stolz bin und vor einigen Jahren wäre ich vielleicht nicht auf dieser Veranstaltung gewesen, sondern auf der Veranstaltung der Rechtsextremisten, mit denen zusammen gefeiert, hätte mich vielleicht lustig gemacht über die Menschen, die hier versammelt sind und hier Position beziehen gegen Gewalt, gegen Extremismus.
Ich selbst habe einen Menschen überfallen und ihn schwer verletzt zurückgelassen. Ich kannte es, dass ich Menschen ihr Recht auf körperliche Unversehrtheit abgesprochen habe, ihr Recht auf Leben.
Ich kam als Täter ins Gefängnis, ich war auf einmal umgeben von den vielen Ausländern, von Leuten, mit denen ich mich auf der Straße wahrscheinlich geprügelt hätte und ich war hoffnungslos unterlegen. Ich alleine gegen Dutzende, Hunderte, und das Naheliegendste wäre gewesen, dass ich jetzt Hilfe erfahre von meinen Kameraden, von den anderen Rechtsradikalen im Gefängnis. Diese Leute waren eigentlich die einzigen gewesen, auf die ich meine Hoffnung setzen konnte in meiner Situation.
Aber es kam die erste Begegnung mit den Rechtsextremen im Gefängnis. Ich habe vorhin einen von ihnen kurz gesehen, weil er hier in Eschede ist bei der Brauchtumsfeier. Und diese Begegnung war nicht hilfreich für mich. Auf einmal waren die Leute, mit denen ich doch draußen irgendwie befreundet war, zumindest verbunden durch die gleiche Einstellung, auf einmal waren sie nicht Helfer, sondern es gab Streit mit ihnen und ich stand ganz alleine da. Ich wusste nicht, wie werde ich hier zurecht kommen. Von denen, wo ich hätte Hilfe erwarten können, habe ich gemerkt, von dort bekomme ich keine Hilfe.
Ich habe auf einmal gemerkt, die Ausländer, an denen ich mich wahrscheinlich wenn ich denen auf der Straße begegnet wäre, hätten wir uns die Köpfe eingeschlagen. Auf einmal erlebe ich über die Menschen zum ersten Mal dass sie sagen, Du warst draußen Nazi, wir hätten uns draußen geschlagen, aber wir beurteilen Dich nicht nach dem was draußen passiert ist. Wir sehen wie Du uns hier begegnest und danach beurteilen wir Dich und es ist vollkommen egal, was draußen war. Und auf einmal sind im Gefängnis Ausländer meine Freunde geworden.
Das ist genau so ein Wunder, dass ich hier heute stehe und auf einer Veranstaltung gegen Gewalt, gegen Extremismus spreche. Es ist alles andere als selbstverständlich, dass aus Feinden Freunde werden und von mir aus wäre es wohl auch nicht passiert.
Aber ich habe erfahren, andere gehen auf mich zu, geben Dir eine faire Chance und diese Erfahrung hat mich verändert. Ich habe Ausländer als Menschen wahrgenommen, als Freunde wahrgenommen, und ich habe in dieser Begegnung, die nicht zu erwarten war, meinen Rassismus verloren und ich habe gemerkt, dass es, obwohl sie andere Hautfarben haben, andere Religionen haben, vielleicht andere Sitten und Gebräuche haben, doch wunderbare Menschen sind und Menschen sind, die mein Leben bereichern, zu wertvollen Freunden geworden sind.“
Johannes Kneifel begründet seine Abkehr vom Rechtsextremismus auch damit, dass er im Knast den Weg zu Gott gefunden hat.
Ohne Zweifel stellt sich Johannes Kneifel der Tat und bekennt sich dazu, aber kein Wort über das Opfer Peter Deutschmann geht über seine Lippen.
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Wer ist Johannes Kneifel? Viele haben es vergessen oder verdrängt, aber am 9. August 1999 hat der damals 17-jährige Gymnasiast mit Marco Siedbürger in Eschede Peter Deutschmann überfallen. Die beiden Neonazis sind gewaltsam in die Wohnung eingedrungen, zerrten Peter Deutschmann aus dem Bett und schlugen ihn sofort nieder. Am Boden liegend trat Johannes Kneifel mit seinen stahlkappenbewehrten Springerstiefeln auf ihn ein und zertrümmerte den Kehlkopf von Peter Deutschmann. Sie traktierten ihr wehrloses Opfer weiter mit Glasscherben.
„Das Blut war bis zu 1,80 Meter Höhe an die Wände gespritzt“, berichtete vor Gericht ein Polizeibeamter.
Sie ließen Peter Deutschmann stark blutend mit zertrümmertem Kehlkopf zurück und zerstörten das Telefon, um zu verhindern, dass er Hilfe holen konnte.
Vor Gericht berichten sie, dass sie dann seelenruhig nach Hause gegangen sind und sich schlafen gelegt haben.
Durch Deutschmanns verzweifelte Hilferufe wurden Nachbarn aufmerksam und alarmierten die Polizei. „Der Mann ist jämmerlich gestorben, er hat 3 ½ Stunden lang bis zu seinem Koma in Todesangst nach Luft gerungen“, so Staatsanwältin Marianne Neuhaus-Kleinicke im Prozess.
Peter Deutschmann erlag seinen schweren Verletzungen 24 Stunden später. Der Gerichtsmediziner zählte 22 Verletzungen.
Das Opfer kannte die beiden Täter. Immer wieder war es in der Vergangenheit zu Reibereien zwischen ihnen gekommen, weil Peter Deutschmann den offenen Rassismus seiner späteren Mörder nicht widerspruchslos hinnehmen wollte. Sie haben diese Kritik als Anlass für ihren brutalen Überfall genommen. Sie wollten Peter Deutschmann einen »Denkzettel« verpassen.
Peter Deutschmann ist für die Schuld von Johannes Kneifel gestorben.
Im Dezember 1999 war in der Celleschen Zeitung zu lesen: „Fünf Jugendliche des rechten Spektrums sind im Nordkreis seit 1997 durch Gewalttaten aufgefallen.“ Müller von der Ohe vom Staatsschutz Celle berichtete, auffällig sei, dass über 80 % der Straftaten von nur drei Personen verübt wurden. Zwei davon säßen im Augenblick wegen des Skinhead-Mordes in Eschede in Untersuchungshaft.
Wie gleicht sich doch die Situation? Schon 1999 schauen die Escheder tatenlos dem Rassismus zu und ließen die Neonazis gewähren und heute sehen sie tatenlos den rechtsextremen Aktivitäten auf dem Hof Nahtz zu, wo sich neonazistische Täter, wie z. B. auch Marco Siedbürger und die Täter von morgen treffen.
Im Januar 2000 wurden die beiden Escheder Neonazis zu 5 Jahren Haft verurteilt.
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Heute studiert Johannes Kneifel evangelische Theologie und arbeitet gleichzeitig an einem Buch. Der Titel lautet „Von Saulus zum Paulus – Neonazi, Mörder, Pastor - Meine drei Leben“.
Peter Deutschmann kritisierte Johannes Kneifel wegen seiner ausländerfeindlichen Parolen und wurde dafür umgebracht. Politischer kann kein Mord sein. Deutschmann war Discjockey in der ehem. Diskothek Freedom in Altenhagen. Er trat den ausländerfeindlichen Sprüchen stets verbal, also völlig gewaltfrei entgegen und trug ein silberfarbenes Kreuz um den Hals.
Seit 1990 wurden in Deutschland über 150 Menschen von Rechtsextremen umgebracht. Peter Deutschmann ist eines dieser Opfer. Er wurde im Alter von 44 Jahren von Escheder Neonazis zu Tode geprügelt.
Der Mord an Peter Deutschmann darf nicht in Vergessenheit geraten. Deshalb sollte in Eschede auch unbedingt ein Mahnmal aufgestellt werden, das durch seine öffentliche Präsenz an dieses furchtbare Ereignis erinnert.
Sein Tod macht ganz besonders betroffen, weil Peter Deutschmann genau das getan hat, was wir alle tun sollten, Gesicht zeigen, couragiert Rassismus und Diskriminierung entgegentreten. Peter Deutschmann hat dafür einen hohen Preis gezahlt, den höchsten. Das hat ihn sein Leben gekostet.
Das Mahnmal soll Betroffenheit erzeugen und über Generationen hinweg vor dem Rechtsextremismus und seinen Gefahren warnen. Es soll auch daran erinnern, warum Peter Deutschmann totgeprügelt wurde.
Es soll gut sichtbar aufgestellt werden. Es soll bewirken, dass Menschen hinschauen, wenn sich menschenverachtendes Reden und Handeln breit macht, dass Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit als Problem erkannt und nicht kleingeredet wird, dass Menschen sich dagegen wehren.
Der wahre Held dürfte Peter Deutschmann sein.
Johannes Kneifel hat sich auf der Veranstaltung am 24. September 2011 auf Nachfrage dahin gehend ausgesprochen, dass an Opfer rechter Gewalt in Form eines Gedenksteins erinnert werden soll. Er ist jetzt aufgefordert, zumindest einen Teil des Erlöses aus dem Buch für dieses Vorhaben zur Verfügung zu stellen und sich öffentlich in Eschede und anderswo gegen das Vergessen der Opfer rechter Gewalt einzusetzen.
Gemeinsam gegen die Nazitreffen in Eschede - Für Demokratie und Menschenrechte
Demonstration in Eschede am 17.12.2011, 14 Uhr, Bahnhof