Rosa Luxemburg Denkmal in BerlinTrüffelschwein der Mosaik-Linken

Seit Februar 2006 belebt der Celler Rosa-Luxemburg- Club die lokale Bildungslandschaft.

Über 60 Vorträge und Seminare wurden seitdem durchgeführt. Wir wollten wissen, wie die Club-Mitglieder ihre Arbeit organisieren und einschätzen und was wir künftig zu erwarten haben.

??: Was ist eigentlich der Rosa Luxemburg Club?

!!: Wir sind ein lokaler Kooperationspartner der Rosa-Luxemburg-Stiftung Niedersachsen. Letztere ist ähnlich wie die Friedrich-Ebert-Stiftung bei der SPD oder die Konrad-Adenauer-Stiftung bei der CDU die Stiftung der Partei Die Linke. Aber sie arbeitet – wie auch die anderen parteinahen Stiftungen – unabhängig und eigenverantwortlich, wobei die Hauptaufgabe die Förderung der politischen Bildung in Niedersachsen ist. Die Finanzierung läuft überwiegend aus Mitteln des Bundes, wobei die Wahlergebnisse den Umfang der Förderung bestimmen.

??: Und wie sieht eure Organisationsform vor Ort aus?

!!: Es gibt keine richtiggehend formale Struktur. Im Kern sind wir ein kleiner Club von alten Männern, ums genau zu sagen: vier Best-Agern, wie es heute genannt wird – und einem etwas jüngeren Semester. Wir würden aber sowohl den Altersschnitt gern senken als auch Frauen gern dabei haben. Das wollen wir im nächsten Jahr mal angehen. Unser Club trifft sich etwa viermal im Jahr, um Veranstaltungen zu planen und die organisatorischen Aufgaben zu verteilen.

??: Was sind das für Aufgaben?

!!: Wenn wir uns für ein Thema entschieden haben, sucht einer von uns eine_n passende_n Referent_in. Dann muss unter Berücksichtigung von möglichen Veranstaltungsorten ein Termin abgemacht werden. Die Veranstaltung muss beworben werden. Und nachdem sie durchgeführt ist mit der Stiftung abgerechnet werden, wozu dann auch ein sogenannter Sachbericht gehört, den wir erstatten müssen.

??: Wie kommt ihr auf die Themen der Veranstaltungen?

!!: Das ist aktuell der Prozess, wo wir außerhalb der eigentlichen Veranstaltungen diskutieren: Was interessiert uns, was ggfs. auch 20-30 Menschen in Celle anlocken könnte? Da gibt es dann durch die unterschiedlichen Persönlichkeiten eben auch unterschiedliche Prioritäten. Der eine will gern die aktuellen Ökologiediskussionen – also Klimaschutz, Energiewende, Wachstumskritik – anheizen, ein anderer ist eher ökonomisch und sozialpolitisch interessiert. Einige von uns finden internationalistische Themen wichtig. In der gemeinsamen Diskussion versuchen wir dann, das Thema so zu präzisieren, dass sich alle darin wiederfinden. Und wir tauschen uns über mögliche Referent_innen aus. Der eine hat mal den gesehen und der andere mal einen Artikel von der gelesen. Und so kommen wir dann zu einer Konkretisierung.

??: Und ihr einigt euch immer?

!!: Fast immer. Was bisher z.B. aber nicht geklappt hat: Alle würden gern mal eine Veranstaltung zur Schulpolitik machen, aber da gehen unsere Vorstellungen jedesmal, wenn wir’s andiskutieren, relativ weit auseinander.

??: Aber ihr macht vor Ort auch Kooperationen.

!!: Ja klar. Wir haben in der Vergangenheit etliche Veranstaltungen gemacht zusammen mit attac, mit dem Forum gegen Atomenergie oder der VVN/BdA, auch mal mit der HVHS Hustedt. Für uns ist das eine wichtige Erweiterung, weil: Die Initiativen haben ein bestimmtes Interesse, eine Bildungsveranstaltung durchzuführen. Sie wissen, welche Themen in ihrem Feld gerade aktuell sind. Und zusammen erreichen wir in der Regel auch mehr Teilnehmer_innen.

??: Und ihr übernehmt die Finanzierung.

!!: Zumindest zu einem gewissen Teil, ja.

??: Da habt ihr aber auch klare Grenzen.

!!: Ja. Wir „alten Männer“ kommen aus einer Generation, wo es eigentlich üblich war, Referent_innen nur Fahrtkosten zu erstatten. Das funktioniert heute aber nur noch selten. Etliche der Referent_innen sind freiberuflich unterwegs und binden sich mit einer Veranstaltung in Celle fast immer einen ganzen Arbeitstag ans Bein. Das müssen und wollen wir auch honorieren. Aber: Zum einen haben wir aktuell eine Regelung, die darauf hinausläuft, dass wir ein einheitliches Honorar von 150 Euro plus Fahrtkosten zahlen. Zum anderen achten wir darauf, dass die Referent_innen nach Möglichkeit am selben Abend noch mit der Bahn zurück nach Hause fahren können, also ihr Zeitaufwand sich in Grenzen hält.

??: Seit wann gibt es den Celler Club?

!!: Im Februar 2006 haben wir unsere erste Veranstaltung gemacht und seitdem jetzt schon gut 60 weitere. Wir sind damit eindeutig auf Platz 1 der Veranstalter von politischer Bildung, nehmen wir mal die HVHS Hustedt aus.

??: Das wundert uns auch. Die anderen parteinahen Stiftungen sind in Celle fast gar nicht vertreten. Woran liegt das?

!!: Das stimmt. Aber das wollen wir nicht beurteilen. Die linke Bewegung in Westdeutschland ist fast schon traditionell eine Bewegung der Aufklärung, das heißt: Immer der Vorstellung verhaftet, mit Information und Diskussion sich selbst und anderen Menschen ein klareres Bild von politischen, gesellschaftlichen und ökonomischen Konflikten verschaffen zu können. Und in den letzten Jahren gibt es ja eine Reihe von Konfliktfeldern, die im Grunde genommen einer breiten gesellschaftlichen Diskussion bedürfen. Aber „bearbeitet“ werden sie ja fast nur noch in Talkshows, wo grundsätzliche Erwägungen genausowenig eine Rolle spielen wie differenzierte Analysen. Und da sehen wir „unseren Job“. Wir betreiben politische Bildungsarbeit jenseits von Günter Jauch und Anne Will.

??: Könnt ihr das mal an einem Beispiel erläutern?

!!: Wir haben im Herbst zwei Veranstaltungen zum Thema „Jenseits des Wachstums“ gemacht, also Kritik am Wachstumsparadigma der Industriegesellschaften. Da hatten wir mit Niko Paech von der Uni Oldenburg und Adelheid Biesecker, ehemals Uni Bremen, zwei Wirtschaftswissenschaftler in Celle, die intensiv an diesen Fragen arbeiten. Es wäre ihnen bei Günter Jauch überhaupt nicht möglich, ihre Theorien zu erklären. Das Format gäbe ihnen weder die Zeit, noch den Rahmen für eine halbwegs zusammenhängende Entwicklung ihrer Kritik und ihrer Alternativen. Und auch die Diskussion in diesen Talkshows – achtet mal darauf – kennt so etwas wie ein Interesse an den Positionen der anderen überhaupt nicht. Die Gäste sind nur eingeladen, um konträre Positionen abzubilden und sich gegenseitig anzubellen. Das ist in unseren Veranstaltungen gänzlich anders. Über Fragen und auch über Kritik an den vorgetragenen Thesen geht es vor allem darum, die Tragfähigkeit der Theorien und Vorstellungen der Referent_ innen besser zu verstehen und selbstverständlich auch zu hinterfragen. Bei den beiden Vorträgen zu Postwachstumsökonomien drehte sich eine Diskussion zum Beispiel dann darum, ob die Gesellschaft in ihrer Breite „so weit“ ist, ihre gegenüber Mensch und Natur unverantwortliche Lebensweise überhaupt in Frage zu stellen. Bei Anne Will säße dann ein Hans-Werner Sinn, dessen Rolle dann darin besteht, mögliche Alternativen per se vom Tisch zu wischen.

??: Seid ihr zufrieden damit, wie eurer Programm angenommen wird?

!!: Eigentlich ja. Wir haben eine bestimmte Stammhörerschaft, dazu gehören Leute aus dem attac- Zusammenhang. Und dann ist es ja nach Thema tatsächlich sehr unterschiedlich. Selten allerdings gelingt es uns, mal eine größere Zahl Jugendlicher anzusprechen. Das klappt mal bei praktischen Sachen wie Seminaren zu Webdesign oder PC-Sicherheit, aber selbst zum Beispiel neulich bei der Veranstaltung zu »Rammstein – filmisch« war niemand unter 30 Jahren da. Wir finden das zwar schade, aber wollen daraus keine Schelte ableiten, denn wahrscheinlich hat jede Generation ihre eigenen Zugänge zu gesellschaftspolitischer Weiterbildung.

??: Vielleicht sind eure Veranstaltungen auch zu anspruchsvoll?

!!: Würde ich nicht sagen. Die Veranstaltungen haben in der Regel zwar das Niveau von Uni-Seminaren, aber wir hatten’s eigentlich nie, dass die Teilnehmer_innen nur Bahnhof verstanden haben. Das Problem ist höchstens, dass wir neben vielen Perlen manchmal auch »Nieten « unter den Referent_innen haben. Das sind dann Leute, die meist wissenschaftlich tief in ihrem Thema sind, aber vortragstechnisch nichts drauf haben. Aber wer uns regelmäßig besucht, weiß, dass das eher selten vorkommt.

??: Was ist euer Anspruch?

!!: Wir leben in einer sehr krisenhaften Welt, in der die Suche nach Alternativen uns antreibt. Da geht es dann darum, die Krisenphänomene besser zu verstehen, und nachzuvollziehen, wie sich die Kritik daran in Wissenschaft und Bewegungen entwickelt. In Abwandlung von Adorno könnte man sagen: Wir wollen uns weder von der Macht der anderen, noch von der eigenen Ohnmacht dumm machen lassen. Und wir sehen, dass es auch in Celle immer wieder genügend Menschen gibt, die dieses Interesse mit uns teilen.

Rosa Luxemburg

??: Vielleicht noch eine Frage zu dem Verhältnis von Partei und Stiftung – wie sieht das bei euch vor Ort aus?

!!: Von den fünf festen Mitgliedern unseres Clubs sind zwei Mitglied in der Partei, die anderen haben kein Parteibuch. Und von Seiten der Stiftung gibt es tatsächlich keinerlei eingrenzende Auflagen, was unsere Arbeit betrifft. Insgesamt ist es bundesweit so, dass die Stiftung mit ihren Veranstaltungen gewissermaßen als Trüffelschwein für eine Mosaik-Linke agiert. Während Die Linke in ihrem Alltag sehr auf parlamentarische Arbeit ausgerichtet ist, sind wir vorwiegend interessiert an Bewegungsthemen – also z.B. die Postwachstumsdiskussion oder der Einschätzung der Bedeutung der neuen linken Bewegungen in Lateinamerika.

??: Dieser Begriff »Mosaik-Linke« - was ist damit gemeint?

!!: Vor gut zwei Jahren gab es mal einen großen Kongress von attac zu Finanzkrise und Kapitalismus. Da stellte sich die Frage, wer ist eigentlich Akteur auf der Linken – weil keine sozialistische oder kommunistische Partei in Europa könnte heute von sich behaupten, sie würde alle Menschen organisieren oder vertreten, die an Veränderung interessiert sind. In Deutschland ist die Linke ja weit mehr als die Partei Die Linke: dazu gehören darüberhinaus Leute aus Gewerkschaften, Kirchen, vereinzelt auch aus SPD und Bündnisgrünen, aus NGOs und von attac, aber auch Menschen in den sozialen Bewegungen: AKW-Gegner_innen, Gentechnik- Feldbefreier_innen, Kriegsgegner_innen usw, usw. Alle versuchen aktuell eine Beitrag zur Emanzipation zu leisten und sollten sich mit ihren Fragen und Antworten aufeinander beziehen. Der Begriff kommt von Hans- Jürgen Urban, geschäftsführendes Mitglied des IG Metall Vorstands. Sein Anliegen damit: Nur wenn die gesellschaftliche Linke unterschiedliche Traditionen und Kulturen nebeneinander stehen lassen und sie gleichzeitig zu einem gemeinsamen Projekt anordnen kann, hat sie Zukunft.

??: Letzte Frage – was sind die Planungen für das kommende Jahr?

!!: Zum einen wollen wir unser Veranstaltungsprogramm wie bisher weiterführen, zum anderen aber planen wir eine kompakte Bildungswoche mit Vorträgen, Seminaren und Kulturprogramm – entweder direkt vor oder nach den Sommerferien. Wer bei uns mitmachen will, kann uns eine mail schreiben (rlc-celle[at]web[punkt]de), darüber kann man/frau sich auch in einen newsletter eintragen lassen, mit dem wir über unsere Veranstaltungen informieren.

Einen Überblick gibt dann auch noch unsere website:http://rlc-celle.over-blog.de