Adelheid Biesecker im Rosa Luxemburg Club Celle

Adelheid Biesecker

Der Rosa Luxemburg Club hatte im September/Oktober mit Niko Paech und Adelheid Biesecker zwei Wirtschafts-wissenschaftler nach Celle eingeladen, die sich intensiv mit den auf Wachstum basierenden Krisenphänomenen ausein-andergesetzt und Alternativen haben. Von Niko Paech finden sich zentrale Thesen auf der Website postwachstumsoekonomie.org;
den Vortrag von Adelheid Biesecker wollen wir hier in wichtigen Punkten zusammenfassen.

Für Adelheid Biesecker ist klar, dass es an der Zeit ist, sich vom Wachstum zu verabschieden. Unsere Gesellschaft muss zu einer neuen »Geschäftsgrundlage« finden. Denn »Nachhaltigkeit« ist mit dem alten »Geschäftsmodell « nicht zu machen. Die Gründe sind offensichtlich:

  1. die fossilen Vorräte gehen zu Ende;
  2. die Atomenergie hat sich als nicht beherrschbar erwiesen;
  3. die Beschädigung des globalen Klimas bedroht die Lebensbedingungen für Menschen auf dieser Erde insgesamt;
  4. das alte ökonomische »Geschäftsmodell« führt zu immer mehr Ungleichheit und Ungerechtigkeit.

Die Alternative liegt im Konzept vom »Vorsorgenden Wirtschaften«, das keinem Wachstumszwang unterliegt, aber auch nicht wachstumsfeindlich ist: „Was in dieser Ökonomie wächst und was nicht, wird nach Kriterien von Zukunftsfähigkeit und gutem Leben bestimmt.“

Wichtig ist aber auch zu wissen, warum im »alten Geschäftsmodell « keine Kehrtwende möglich ist. Die Marxsche Kritik hat hier ihre Gültigkeit. Sie sieht die Ursache für Wachstum im Verwertungsdrang des Kapitals – im Drang, immer mehr Kapital anzuhäufen, und dabei möglichst viel Profit zu erwirtschaften. „Kritisiert wird [...] die Gier der Manager, deren Maßlosigkeit. Aber diese Maßlosigkeit ist nicht nur »schlechte menschliche Eigenschaft«, sondern sie steckt im System: Kapital ist an keinerlei Qualität, an keinerlei Gebrauchswert, an keinerlei Lebensprozess gebunden, es bezieht sich nur noch als Quantität auf sich selbst, [...]. Kapital ist maßlos – und die Akteure, in denen es sich personifiziert, sind es folglich auch.“

Neben Marx bezieht sich Biesecker auf die Ökonomin Margret Kennedy, die ihre Kritik am Wachstum des Geldes und der geldgetriebenen Ökonomie im Vergleich zum Wachstum in der Natur entwickelt hat. Während Letzteres einer qualitativen Wachstumskurve folge, in der lebendige Individuen zunächst schnell wachsen, dann langsamer, um schließlich nur noch qualitativ zu »wachsen« – sich zu entwickeln. Ganz im Unterschied zu in Geld ausgedrücktem Reichtum, der auf der Basis von Zins und Zinseszins exponentiell wächst: Kennedy fordert daher ein Geldsystem, das der qualitativen Wachstumskurve von Naturprozessen folgt.

Marken der PflanzenAuch die Theorieansätze von Hans-Christoph Binswanger zieht die Wirtschaftswissenschaftlerin zur Erklärung heran: „Der Wachstumszwang rührt für ihn daher, dass Unternehmen zur Finanzierung ihrer Investitionen Kredite brauchen, für die sie die Zinsen aus den erwarteten Gewinnen bezahlen. Sie müssen also Gewinne machen – und wenn die Zinsen steigen, müssen auch diese Gewinne steigen. Also muss das Unternehmen wachsen – oder, so möchte ich ergänzen, die Löhne drücken, um Geld für die Zinszahlungen aus der Lohnsumme zu holen. Der Wachstumsdrang kommt [...] von den Aktionären, die eine möglichst hohe Rendite erzielen wollen und daher auf immer neue Investitionen drängen.“

Um zukunftsfähig zu werden, geht es - so Adelheid Biesecker - im globalen Norden nicht um Wachstum, sondern um Verteilung und Umverteilung in allen Bereichen der Gesellschaft – um Gerechtigkeit.

Global muss eine nachhaltige Entwicklung, sustainable development, im Zentrum stehen, „die die Bedürfnisse heute lebender Menschen befriedigt, ohne die Möglichkeiten für zukünftige Generationen zu beschränken, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen.“

Das Konzept vom Vorsorgenden Wirtschaften beginnt mit einem Perspektivenwechsel, wobei »das Ganze des Wirtschaftens« (neben der Marktökonomie also auch ihr »weiblicher Zwilling«, die Care-Ökonomie) und »das Ganze der Arbeit« mit ihren geschlechtshierarchischen und naturfeindlichen Konstruktionen in den Blick genommen wird. Es geht darum, Märkte als Mittel für Lebenszwecke gesellschaftlich zu gestalten, also die Frage zu stellen: Welche Märkte tun den Menschen und der Natur gut? Auch das Geldsystem muss nicht unbedingt abgeschafft werden, weil es - klug gehandhabt - ein Hilfsmittel für die Koordination zahlloser ökonomischer Transaktionen zwischen gegenseitig unbekannten Menschen sein kann. Aber: „Geld muss Geld bleiben, und nicht zu Kapital mutieren. Geld als Lebensmittel eben.“

Vorsorgendes Wirtschaftens stützt sich dabei auf drei Handlungsprinzipien:

Vorsorge, Kooperation und Orientierung am für ein gutes Leben Notwendigen.

Bei der »Vorsorge« geraten die sozialen Beziehungen zwischen Menschen in den Vordergrund, „als für sich und andere sorgend, wobei in dieses Sorgen die natürliche Mitwelt und zukünftige Generationen eingeschlossen sind. [...] Aus dem Sorgen um die Zukunft entsteht die Vorsorge in der Gegenwart. Dabei sind Schonung und Nicht-Handeln Möglichkeiten effizienten ökonomischen Handelns. Insbesondere dort, wo es unbekann- te Risiken gibt oder Nicht-Wissen, ist Vorsicht geboten, um zukünftige Generationen nicht zu beschädigen.“

»Kooperation« meint ein Wirtschaften, „in dem im gemeinsamen Verständigungsprozess nach lebensfreundlichen und naturverträglichen wirtschaftlichen Formen gesucht wird.“ Statt Konkurrenzfähigkeit braucht ein vorsorgendes Wirtschaften Verantwortung und Kooperationsfähigkeit.

Schließlich orientiert sich Vorsorgendes Wirtschaften nicht an Wachstumsraten und individuellem Maximalgewinn, sondern an der Gestaltung eines guten Lebens für alle Beteiligten. Wobei zum »guten Leben« vor allem Gerechtigkeit gehört im Sinne von mehr Gleichheit.

Erhalten/Erneuern im Gestalten – so habe ich die neue Rationalität bezeichnet. Ja - die neue Ökonomie ist eine haushälterische Ökonomie. Die Menschen, die in ihr tätig sind, sind nicht, wie heute oft verlangt, »Arbeitskraftunternehmer «, sondern »Lebenskrafthaushälterinnen «. Vernunft hat hier nichts zu tun mit irgendwelcher Maximierung. Vernünftig ist vielmehr dasjenige wirtschaftliche Handeln, durch das gleichzeitig den Bedürfnissen der heute lebenden Menschen sowie denen zukünftiger Generationen und den Regenerationsprozessen der Natur Rechnung getragen wird. [...] Die zugrunde liegenden Werte werden dabei offen gelegt und dem Diskurs ausgesetzt – vorsorgendes Wirtschaften ist bewusst auch ein normatives Konzept und beruht auf ethischen Grundlagen.“

Vorsorgende Wirtschaftsweise umfasst mindestens drei Dimensionen: die ökologische, die soziale, und die marktförmig-monetäre.

Knapp gesagt geht es darum,

  • dass Wirtschaften stofflich so gestaltet wird, dass die Reststoffe von der Natur aufgenommen und wieder in produktive Ressourcen verwandelt werden können;
  • dass energetisch alles Wirtschaften auf dezentral organisierte erneuerbare Energieträger umgestellt wird (energieautomone Regionen);
  • dass Erwerbsarbeitzeit radikal verkürzt werden muss, wobei es parallel um die Aufwertung von Care- Arbeit und die Umverteilung aller Arbeiten zwischen den Geschlechtern geht;
  • dass unter dem Gesichtspunkt der Suffizienz alle Bedürfnisse und die Art ihrer Befriedigung auf den Prüfstand zu stellen sind (z.B. durch ein Verkehrssystem, dass autofreies Leben möglich macht, oder durch eine Stadtentwicklungspolitik, die eine Versorgung mit ökologischen Lebensmitteln sicherstellt.);
  • dass die erforderliche kulturelle Revolution basieren muss auf Geschlechtergerechtigkeit, denn: „Abwertungen und Werte-Hierarchien sind ein Hindernis für die Ausgestaltung des Neuen. Denn hier werden gleiche Erfahrungen als Basis für die Kommunikation über die neue Wirtschaftsweise und die Diskurse über den allen unbekannten Weg dorthin gebraucht – das ist nur mit einem paritätischen Geschlechterverhältnis zu machen. Geschlechtergerechtigkeit ist hier also nicht nur moralisches Anliegen, sondern Basisressource für die zukunftsfähige Ökonomie und Maßstab des Neuen.“

Das Konzept des Vorsorgenden Wirtschaftens ist aus Sicht Adelheid Bieseckers eine konkrete Utopie, weil vieles möglich und schon ausprobiert ist, z.B. nachhaltige Landwirtschaft und sorgende Netze für das Aufwachsen von Kindern im Stadtteil bis hin zu Genossenschaften und vorsorgenden Banken wie der GLS-Bank.

"Meine Überlegungen und diese vielen Praxisprojekte machen deutlich: Die Frage nach Wachstum stellt sich nicht, wenn vorsorgend gewirtschaftet wird. Wachsen und Schrumpfen sind ganz unpassende Begriffe für eine Wirtschaftsweise, die ihre Aufgabe in der langfristigen Sicherung von Lebensprozessen der Menschen und der Natur sieht.“
Aber: Weil vorsorgend wirtschaftende Menschen und Gesellschaften sich der Profitökonomie entziehen, ist ein solcher Transformationsprozess umkämpft. „Es hilft aber nichts – anders ist Zukunftsfähigkeit nicht zu haben.“

Literatur: Biesecker,Adelheid/Matthes,Maite/Schön,Susanne/Scurrell,Babette(Hg.): "Vorsorgendes Wirtschaften. Auf dem Weg zu einer Ökonomie des guten Lebens." Bielefeld 2000.
WBGU: Welt im Wandel. Gesellschaftsvertrag für eine große Transformation. Zusammenfassung für Entscheidungsträger -