Bleibt nur noch Stückwerk?
In seiner »Neujahrsbotschaft« beklagte OB Mende noch, dass die Kommunalwahl „keine verlässlichen Mehrheiten“ gebracht hätten. Wenn er sich da mal nicht täuscht. CDU, FDP, Unabhängige und WG hatten sich nicht nur zur Wahl der ehrenamtlichen Bürgermeister verbündet, zum Jahreswechsel brachten die Fraktionen gemeinsam einen Antrag ein, der ein zentrales Stadtentwicklungsprojekt torpediert. Der geplante Umbau der Allerinsel soll nur in Teilen realisiert werden:
„Das Zukunftsvorhaben »Allerinsel« soll im Bereich des 1. Bauabschnitts südlich Hafenstraße (incl. Haus der Vereine) zügig realisiert werden. Über den Fortgang der weiteren Planung für die Bauabschnitte 2 und 3 des Rahmenplans wird entsprechend den strukturellen und finanziellen Entwicklungen der Stadt gesondert zu entscheiden sein. Dies insbesondere mit dem Ziel, die Errichtung attraktiven Wohnraums in der Altstadt nicht zu gefährden.“
Auch wenn dies allen bisher mit großer Mehrheit gefassten Ratsbeschlüssen widerspricht – so erstaunlich ist der Bremsversuch des Mitte-Rechts-Bündnisses nicht. Schon im CDU-Wahlprogramm war zu lesen: „Die Entwicklung von Neubaugebieten muss mit Blick auf das bereits vorhandene Wohnraumangebot mit Augenmaß erfolgen. Dies gilt auch für Planung und Entwicklung der Allerinsel.“ Und immer gab es Stimmen, die das kostenlose Parken und den Schützenplatz erhalten wollten. Sie wollten immer nur das vor einigen Jahren so genannte „Marina-Projekt“, sprich das Aufhübschen des Hafens und ein paar Stadtvillen drum herum. Mit Stadtentwicklung hat das nichts zu tun. Was im übrigen auch die Fördergeldgeber so sehen dürften. Denn selbstverständlich lässt sich ein angemeldetes Sanierungsgebiet nicht einfach auseinanderbrechen.
Was soll eigentlich mit der Allerinsel passieren?
Das 22 Hektar große innerstädtische Areal soll im kommenden Jahrzehnt Zug um Zug zu einem urbanen Quartier mit Schwerpunkt Wohnen, Freizeit und Erholung entwickelt werden.
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Das geplante Wohnungsangebot soll aus rund 270 Einheiten mit einem Mix aus verschiedenen Formen bestehen. Ergänzt werden soll dies durch Nahversorgung und Gastronomie. Und in schönster Stadtentwicklungsprosa heißt es im Rahmenplan: „Durch die Stärkung und Entwicklung der Erholungs- und touristischen Infrastruktur soll ein lebendiges, attraktives Stadtquartier entstehen, das die Stadt Celle mit dieser Entwicklung wieder an die Aller heranrücken lässt.“
Im Jahr 2008 beschloss der Stadtrat, die Aufnahme des Projekts in das Bundesprogramm »Stadtumbau – West« zu beantragen. Das Büro Pesch und Partner aus Herdecke sorgte dann für die Erarbeitung eines »Integrierten Städtebaulichen Entwicklungskonzeptes Allerinsel «. Die ganze Entwicklung der Allerinsel ist für einen Zeitraum von 12 - 15 Jahren angelegt.
Die dabei entstehenden Kosten sind selbstverständlich kein Pappenstiel: Aus unterschiedlichen Töpfen sind 16 Millionen staatlicher Zuschüsse zu erwarten; die kommunale Gegenfinanzierung beläuft sich auf rund 7,5 Millionen Euro. Das alles für die vorbereitenden Maßnahmen: Hochwasserschutz, Versorgungsinfrastruktur, Parkhausbau etc. Und dann müssen sich Stück für Stück Investoren für die Wohnbebauung finden. Da kann die Stadt über Grundstücksverkäufe einen Teil der entstandenen Kosten wieder einspielen; mehr als 10 – 15 Millionen Euro dürfte es bringen, so dass für die Stadt am Ende ein Plus stünde.
Ja muss das denn überhaupt sein?
Darüber lässt sich trefflich streiten. Unter einer Fragestellung „Cui bono – wem nutzt das?“ lässt sich – rein ökonomisch - darauf wohl nur antworten: Jenen, die in die Wohnparks investieren und sich eine formidable Rendite erhoffen. Darauf gründet sich die Ablehnung mancher Linker, die ein reines Quartier für »Reiche« entstehen sehen. Und sie haben damit nicht unrecht.
Celle ist eine schrumpfende und alternde Stadt. Daraus ergibt sich für die »Stadtentwicklung«: Zum einen wird es mehr Ältere geben, die nicht mehr im Einfamilienhaus im Vorort leben wollen, sondern näher ans Zentrum mit Ärzten, Dienstleistern, Kultur und innerstädtischem Einzelhandel drängen. Zum anderen sollen »junge Familien« mit »alternativen«, innenstadtnahen Wohnformen gelockt werden. In beiden Fällen geht es selbstverständlich um jene, die sich die Innenstadtnähe leisten können (und wollen). Sozialen Wohnungsbau wird es auf der Allerinsel nicht geben.
Unter ökonomischen Gesichtspunkten lässt sich festhalten: Mit nicht unerheblichen Steuermitteln wird ein Wohnquartier für den begüterten Mittelstand entstehen.
Aber weiter nur fürs Schützenfest und Parken?
Auch in ökologischer Hinsicht sind die Planungen für die Allerinsel zwiespältig. Unter Postwachstums- Gesichtspunkten dürfte nur wenig für eine zusätzliche Wohnbebauung in einer schrumpfenden Stadt sprechen. Aber für eine innerstädtische Gartenbauanlage (was fraglos ein faszinierendes Projekt wäre) gibt es auf absehbare Zeit mit Sicherheit keine politischen Mehrheiten. Ein Blick auf die vorhandenen Planungen lässt jedoch aus links-ökologischer Sicht einige Vorteile gegenüber dem derzeitigen Zustand erkennen:
1.) die kostenlosen Parkplätze verschwinden;
2.) der Schützenplatz wird auf eine bedeutend kleinere Fläche im Nordwesten verlegt;
3.) das Quartier wird nicht nur durch den aufgemotzten Hafen attraktiver für Naherholung;
4.) die Bebauung soll weitestgehend ressourcenschonend, energieautark und klimaneutral erfolgen.
Schauen wir auf die einzelnen Aspekte:
Zu 1.) Es gibt in Celle keinerlei ernstzunehmende Ansätze für eine Verkehrswende weg vom Auto – eher im Gegenteil (Ostumgehung, ÖPNV-Desaster, Tempo 30-Blockaden). Die leitende Vorstellung ist, dass die »Einkaufsstadt« mit dem Auto erreichbar sein soll. Und die Innenstadtlobby streitet – überzogen gesprochen – für kostenfreie Parkplätze vor ihrer Ladentür. Die Allerinsel- Planungen wollen den Wegfall der kostenlosen Parkmöglichkeiten auf dem Schützenplatz, der innerstädtische Einzelhandel sieht darin eine »Katastrophe«. Und er hat für diese »Logik« einen Bündnispartner in der Mitte-Rechts-Koalition, zu dem sich an diesem Aspekt kurioserweise sogar die Ratsfraktion der Bündnisgrünen gesellt (auch die will kostenloses Parken erhalten). Die Allerinsel-Planungen haben dagegen den positiven Aspekt, dass, wer mit dem Auto kommt, zahlen soll – nämlich Gebühren für die Parkhäuser, von denen ein weiteres im Osten der Allerinsel entstehen soll.
Zu 2.) Für insgesamt nur zwei Wochen im Jahr wird für Schützen- und Frühlingsfest eine riesige Fläche im Herzen der Stadt vorgehalten. (Für Freunde neoliberalen Denkens eigentlich ein schlechter Witz.) Hinzu kommt: Das »Volksfest« hat in den vergangenen Jahren erheblich Federn lassen müssen, was sich z.B. in der zeitlichen Verkürzung und dem ewigen Gejammer der Schausteller wegen sinkender Umsätze ausdrückt. Der größere Teil der Bevölkerung könnte einen Wegfall verschmerzen. Und die »Brauchtumspflege« der Schützenvereine könnte sich wieder in die Stadtteile verlagern, was ihrer gesellschaftlichen Bedeutung auch eher entspricht. – Vorgesehen ist in den Planungen ein kleinerer Festplatz im Nordwesten des Areals. Aber wahrscheinlich sind Bedenken realistisch, dass dies bei einer nahen Wohnbebauung zu Konflikten und zum Aus des Schützenfestes an diesem Ort führen wird.
Zu 3.) Die Allerinsel hat heute den Naherholungswert einer Industriebrache. Deren Charme ist für die Mehrheit der Bevölkerung bekanntlich nicht nachzuvollziehen. Mit einem aufgemotzten Hafen und einem Fußgängerweg entlang des nördlich Allerzweiges würde sich das ändern.
Zu 4.) Das scheinbar attraktivste Argument liegt im Entstehen einer »Öko«-Siedlung. In der Rahmenplanung ist folgendes zu lesen: „Das neue Stadtquartier wird zu einem nachhaltigen, weitestgehend energieautarken und dadurch klimaneutralen Stadtbaustein entwickelt, der Modellcharakter besitzt und Vorbildfunktion für die nachhaltige Stadtentwicklung übernimmt. Es wird gezeigt, dass klimafreundliches Bauen auch mitten in der Stadt funktionieren kann. Alle Gebäude nutzen die Möglichkeiten energiesparender und Ressourcen schonender Bauweise aus. Zusätzlich benötigte Energie wird vor Ort aus regenerativen Energiequellen gewonnen. Auch Grund und Boden sind nicht uneingeschränkt vermehrbar. Daher werden alle Flächen effizient beplant und bewirtschaftet, um den Verbrauch auf ein Mindestmaß zu beschränken.“
Freunde eines ökologischen Umbaus der Gesellschaft mögen hier leuchtende Augen bekommen. Aber schauen wir genauer hin.
Ein Vorzeigeprojekt für nachhaltiges Wohnen?
Der Freiburger Stadtteil Vauban hat zur Zeit bundesweit als Vorbildprojekt eine große Ausstrahlung. Auf einem ehemaligen Kasernengelände entstand dort auf einer Fläche von 38 Hektar ein innenstadtnahes Quartier, in dem Bürgerengagement, Bauen in der Gemeinschaft und umweltbewusstes Leben groß geschrieben werden. Passiv- und Plusenergiebauweise und der Einsatz von Solartechnik sind Standard. Das Wohngebiet ist verkehrsberuhigt und ein großer Teil der Haushalte ist autofrei; private Fahrzeuge werden in einer der beiden Quartiersgaragen abgestellt.
Die Celler Allerinsel hätte mit ihren 22 Hektar vielleicht das Potenzial, daran anzuknüpfen. Was hätte die ganze Stadtgesellschaft davon? Ein derartiges Quartier würde den Weg weisen in eine energieeffizientere Zukunft. Aber: Celle ist nicht Freiburg, es hat nicht die grün-alternativen Milieus, die tatsächlich z.B. über genossenschaftliche Projekte auch »das Soziale« im neuen Stadtteil in anderer Weise herstellen können. Deshalb wird wahrscheinlich nur ein Stadtteil dabei herauskommen, in dem man sich seines energieeffizienten Wohnens rühmt, um so sein Flugkilometerbudget ohne Bauchschmerzen beibehalten oder gar aufstocken zu können. (Ein Rebound-Effekt der anderen Art.)
Wer sich ernsthaft mit den Ansätzen der Postwachstumsökonomie auseinandersetzt, muss angesichts einer alternden und schrumpfenden Stadt Zweifel äußern: Gibt es nicht genug Wohnraum? Wäre es nicht sinnvoller, vorhandene (finanzielle) Ressourcen in die ökologische Bestandssanierung zu stecken? Nur: Die 23 Millionen für den Allerinselumbau stehen eben für andere Zwecke nicht zur Verfügung.
Setzt das Mitte-Rechts-Bündnis im Rat seinen Plan durch gibt’s nicht mehr als einen sanierten Hafen und ein paar Stadtvillen am südlichen Allerarm. Und damit rückt dann nicht »die Stadt« an die Aller, sondern das Leben am Fluss wird dort zum Privileg einiger Reicher. Da ließe sich vielleicht die nächsten 10, 20 Jahren besser damit leben, wenn gar »Nichts« passiert. (H.K.)