500 Menschen demonstrieren in Eschede
Seit im Winter 2001 das Celler Forum gegen Gewalt und Rechtsextremismus eine spontane Minikundgebung an der Zufahrtsstraße zu Hof Nahtz durchführte, haben sich die Demonstrationen gegen die Nazitreffen in Eschede zu einer Tradition entwickelt und so war die Demo am 17. Dezember 2011 von langer Hand geplant und dieses mal gemeinsam vom DGB/Celler Forum und dem Escheder Arbeitskreis für Demokratie und Menschenrechte angemeldet.
Um Aufmerksamkeit auf dieses Thema zu lenken, wurden dreimal halbseitige Anzeigen in der CZ und im Celler Markt geschaltet; immerhin haben über 90 Personen und Gruppen diesen Aufruf unterstützt und die Finanzierung der Anzeigen ermöglicht.
Dass dann ca. 500 Menschen an der Demonstration teilnahmen hat die Veranstalter_innen doch überrascht und erfreut. Die Beteiligung ist sicherlich auch eine Folge der vorangegangenen Ereignisses in Unterlüß und Hermannsburg sowie dem Bekanntwerden der Naziterrorgruppe. Durch die großen Anzeigen wurde es für viele Menschen deutlich erkennbar, dass sie ihrer Empörung und ihrem Entsetzen Ausdruck verleihen können. So kamen eine Menge Menschen nach Eschede, die vorher noch nie dabei waren. Es war ein bürgerliches, eher etwas älteres Spektrum. Dafür haben die wenigen Jüngeren für Sprechchöre während der Demo gesorgt, sonst wäre das Ganze eher leise über die Bühne gegangen. Aber recht bunt war es, neben Partei- und Organisationsfahnen und Transparenten waren auch jede Menge selbstgebastelter Schilder unterwegs.
Es gab etliche Redebeiträge, in denen u. a. auf die Taten des NSU eingegangen wurde. So sagte Kirsten Lühmann (SPD-MdB) dazu, die Aussage der ermittelnden Behörden, wonach man das, was jetzt ans Licht kam, doch nicht ahnen konnte, erschüttere sie. Sie meinte, man hätte es wissen können. Pastor Jürgen Schnare machte die Erfahrung, dass viele Politiker_innen das Thema Neonazis für überbewertet hielten, „erst das Bekanntwerden der Mordserie des NSU. die unter den Augen der scheinbar blinden Strafverfolger eine Blutspur durch unser Land zog, hat nun eine merkwürdige Hektik ausgelöst.“ Olaf Meyer (Antifa Lüneburg/ Uelzen) machte deutlich, dass die Taten des NSU und in Norwegen Ausdruck menschenverachtender Ideologie ist, und Yilmaz Kaba (Die Linke) betonte, dass die Behörden zuschauten und durch den Einsatz der VLeute eine Kumpanei entstand. Auf das Vorgehen der Behörden wurde auch von Gertrud Truffel (Die Grünen) mit folgenden Worten eingegangen: „Dass der VS gescheitert ist mit seiner Strategie der Aufklärung, ist nun allen bekannt. Das Argument von einem NPD-Verbot Abstand zu nehmen, um die rechte Szene besser beobachten zu können zählt nun nicht mehr.“ So wurde dann von mehreren das Abstellen der V-Leute gefordert bis hin zur Abschaffung des Verfassungsschutzes.
Auf die Brandanschläge in Unterlüß wurde mehrmals Bezug genommen. Die direkt Betroffenen Klaus Jordan (Mahnwache Gerhus) und Pastor Wilfried Manneke sprachen zu Beginn der Demo. Manneke wies auf die Gefahr hin, die von Neonazis ausgeht, und befürchtete, dass mit einer „härteren Gangart“ von ihnen zu rechnen sei. Er bezeichnete den Anschlag auf sein Haus als Bedrohung von Leib und Leben. Aber er lasse sich nicht einschüchtern und forderte auf, Stellung zu beziehen gegen Rassismus und Gewalt. Das betonte auch Klaus Jordan. Er ging auf die große Anzahl weiterer Todesopfer rechter Mörder ein; die Täter würden nach dem Motto „Taten statt Worte“ handeln. Olaf Meyer erinnerte ebenfalls an die 150 bis 180 Toten, die für ihn 150 bis 180 Gründe seien, weiter gegen Nazi zu kämpfen, sich weiterhin den Nazis in den Weg zu stellen mit allen legitimen und notwenigen Mitteln.
Ein weiterer Schwerpunkt in mehreren Reden war der Alltagsrassismus. So betonte Dirk-Ulrich Mende (Celles OB) die Wichtigkeit, gegen Nazigedankengut, intolerantes Gedankengut, gegen Vorurteile aufzustehen und gegen diejenigen anzugehen, die subtil Vorurteile verbreiten. Er rief dazu auf, dagegen einzuschreiten. Klaus Jordan zu dem Thema: „Achtet auf den akzeptierten Fremdenhass, die kleinen Alltagsfaschismen.“ Olaf Meyer bezeichnete den Extremismus in der Mitte als Motor autoritärer und rassistischer Entwicklung, dieser dürfe aus der Kritik nicht ausgespart werden. Dabei ging er über den „Stammtischrassismus“ hinaus. Er kritisierte den Sozialabbau, der zu Rassismus führt, und dass wir in einer Ellenbogengesellschaft leben, die mit Ausbeutung durch das Wechselspiel von Ein- und Ausgrenzung rassistische Ressentiments fördere.
Eschede selber war selbstverständlich auch noch Thema, sowohl Lennard Aldag (DGB) als auch Kirsten Lühmann werteten die Tatsache, dass auf dem Hof Nahtz keine Sonnwendfeier stattfand als Erfolg des ausdauernden Widerstands, betonten aber auch beide, dass dieser anhalten muss, damit auch die weiteren Treffen dort ebenfalls eingestellt werden. Klaus Jordan formulierte deutlich: „Das Ziel des Protestes bleibt: keine weiteren Nazitreffen auf Hof Nahtz! Die Demonstration sei keine „Alibiveranstaltung für’s gute Gewissen“.
Beeindruckend oder besser bedrückend war noch die Darstellung der Situation von Kurd_innen in Europa durch Yilmaz Kaba, die nicht nur von den jeweiligen Nazisstrukturen vor Ort bedroht werden, sondern zusätzlich noch von türkischen Faschisten, wie z.B. den Grauen Wölfen.
Die Demo endete am Bahnhof. Im Anschluss fand noch eine Veranstaltung des Escheder Arbeitskreises für Demokratie und Menschenrechte und der Ev.-luth. Kirchengemeinde Eschede unter dem Titel „Lichter gegen Extremismus“ statt, der von vielen Teilnehmer_innen der Demonstration als Gleichsetzung von Rechts und Links und damit als politisch und inhaltlich völlig neben der Sache kritisiert wird. Nichtsdestotrotz wurde bei dieser Abendveranstaltung dazu aufgerufen, sich vielfältige Möglichkeiten des Protestes gegen die Aktivitäten der extremen Rechten auf Hof Nahtz zu überlegen, die alle ihre Wichtigkeit haben, auch die Demonstrationen. Ebenfalls wurde der Verfassungsschutz kritisiert, seine Glaubwürdigkeit bezweifelt. Zu Nahtz selber wurde gesagt, dass er im Dorf vielmehr erfahren und spüren muss, dass er mit seiner rechten Gesinnung nicht toleriert wird, dass er sich mit seiner Haltung und seinem Tun selber an den Rand der Gesellschaft manövriert.
Zu Beginn der Demo tauchten Dennis Bührig & Co. (Foto links) auf und waren empört, dass sie weggescheucht wurden. Demoteilnehmer_innen berichteten noch über zwei ältere Männer, die zu Beginn durch dumme Bemerkungen aufgefallen wären, aber dies waren dann auch die einzigen »Zwischenfälle«.