Fahdungsplakat BKA Mitglieder NSUNun ist es bereits ein viertel Jahr her, dass die Existenz der rechten Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) bekannt wurde und welche Taten ihr zugeschrieben werden - und schon ist es eigentlich kaum noch Thema, ebensowenig wie die zweifelhafte Rolle des Verfassungs- schutzes.

Der NSU hat 13 Jahre lang unbehelligt im Untergrund gelebt und von dort seine Taten geplant und ausgeführt. Mindestens zehn Tote und zwei Dutzend zum Teil schwer Verletzte haben die Mitglieder des NSU nach aktuellem Ermittlungsstand zu verantworten.

Neun der zehn Toten waren Migranten, dennoch kamen die Ermittler jahrelang nicht auf die Idee, dass es sich um Taten von Nazis handeln könnte, nein es war die Rede von organisierter Kriminalität, Auftragsmord, Schutzgelderpressung. Die Ermittlungen führten dazu, dass Angehörige und Bekannte der Opfer verhört und verdächtigt wurden, den Opfern wurden kriminelle Verstrickungen unterstellt – ein Spiegel des rassistischen Normalzustands, genauso wie die Titulierung der Taten als „Dönermorde“ im bundesdeutschen Blätterwald in den ersten Wochen.

„Wir wussten damals schon, dass es Faschos waren … Aber wir haben ja alle Dreck am Stecken, wir sind alle Dealer und Schutzgelderpresser, und rechte Gewalt gibt es nicht!“, so Kutlu Yurtseven von der Band Microphone Mafia auf seiner Facebookseite.

So eine Terrorgruppe wie der NSU entsteht nicht aus dem Nichts. Gewalt und Terror sind grundlegende Elemente nazistischer Ideologie und Lebenswelten. Selbstüberhöhendes Elitedenken führt fast zwangsläufig zu organisierter Gewaltanwendung gegen Menschen, die dem rassistischen Weltbild nach minderwertig sind oder zumindest hier nichts zu suchen haben und gegen Andersdenkende. Dazu kommen ein gewisser Waffenfetischismus und die Selbststilisierung als politische Soldaten und Kämpfer. Es wird ein Ausnahmezustand imaginiert, der nach radikalen Lösungen verlangt.

Hochrangige Neonazis haben die sowieso schon hohe Gewaltbereitschaft in der rechten Szene wiederholt zusätzlich angeheizt. So drohte der inzwischen verstorbene zeitweilige NPD-Vize Jürgen Rieger einem Kamerateam des NDR: „Warten Sie es doch ab: Wenn der erste Reporter umgelegt ist, der erste Richter umgelegt ist, dann wissen Sie, es geht los. Reporter, Richter, Polizisten, Sie!“ Manfred Roeder, verurteilter Rechtsterrorist der Deutschen Aktionsgruppen und 1998 Bundestagsdirektkandidat der NPD in Stralsund, rief im selben Jahr den Delegierten eines Parteitages zu, dass es „ohne Blut kein neues Deutschland geben wird“.

Der aktive Kern des NSU war das sogenannte Zwickauer Neonazi-Trio: Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt – alle drei aus Jena. Im Herbst 1994 formierte sich in Thüringen die „Anti-Antifa“, aus welcher 1996 der „Thüringer Heimatschutz“ hervorging. Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos gehörten mit André Kapke, Ralf Wohlleben und Holger Gerlach der „Kameradschaft Jena“ des Thüringer Heimatschutzes an, die später als „Sektion Jena“ bezeichnet wurde. Böhnhardt war neben Mundlos stellvertretender Leiter der Sektion. Der 1996 ca. 120 Mitglieder (2001 ca. 170 Mitglieder) starke Thüringer Heimatschutz wurde maßgeblich von dem stellvertretenden Vorsitzenden des NPDLandesverbandes Thüringen, Tino Brandt, aufgebaut, der von 1994 bis zu seiner Aufdeckung 2001 V-Person des Thüringer Verfassungsschutzes war.

Foto: http://www.mut-gegen-rechte-gewalt.de; Marek PetersNeben dem ideologischen Unterbau benötigte die Terrorgruppe auch noch logistische Unterstützung, um im Untergrund existieren zu können. Da wurden von „Kameraden“ Wohnungen und Autos angemietet und Pässe beschafft, wobei laut Spiegel vom 18.12.2011 sich der Thüringer Verfassungsschutz sehr hilfsbereit zeigte. Über Tino Brandt wollte er dem NSU mehr als 2000 Mark für gefälschte Pässe zukommen lassen. Brandt soll bis 2001 für den VS gearbeitet und in der gesamten Zeit für seine Mitarbeit über 200.000 DM, das heißt wöchentlich etwa 800 DM Honorar, kassiert haben.

Als weiterer logistischer Unterstützer des NSU wurde bereits am 13. November 2011 der 37jährige Holger Gerlach aus Lauenau verhaftet. Ihn kannte der NSU ja bereits aus alten „Thüringer Heimatschutz“-Zeiten. Dennoch geriet er erst nach dem Ende der so genannten „Zwickauer Zelle“ ins Visier der Fahnder - trotz der gemeinsamen Vergangenheit beim THS und obwohl damals zumindest Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe noch im Blickfeld des Verfassungsschutzes waren.

Seit Anfang des neuen Jahrtausends lebte Gerlach in Hannover, 2008 zog er nach Lauenau. Auch in seiner neuen Heimat war er in der neonazistischen Szene aktiv. So stand Gerlach, wie erst jetzt durch Medienberichten an die Öffentlichkeit gelangte, in den letzten Jahren nicht nur mit Angehörigen der rechten Szene aus dem thüringischen Jena in Kontakt, sondern hat vielmehr auch in der Region Hannover in Nazi- Strukturen gewirkt.

Offensichtlich hatte er Kontakt zu Neonaziorganisationen wie der „Kameradschaft 77“ Langenhagen, die wiederum eng mit der Celler "Kameradschaft 73" verbandelt war, und den „Freien Nationalisten Hannover“, welche dem Verfassungs- und Staatsschutz als militante neonazistische Gruppe bekannt sind. Zusammen mit Vertreter_innen dieser Gruppen nahm er in Hildesheim an einem länderübergreifenden Koordinierungstreffen verschiedener rechter Organisationen teil.

Ende November 2011 wurde Ralf Wohlleben verhaftet, er gilt als ein weiterer Unterstützer des NSU. Ihm wird Beihilfe zum sechsfachen Mord zur Last gelegt. Im Zuge der Ermittlungen sind neue Vorwürfe gegen den bundesweit bekannten Neonazi öffentlich geworden. Aus einem geheimen Bericht des thüringischen Verfassungsschutzes an die Generalbundesanwaltschaft vom 14. November 2011 geht hervor, dass Wohlheben weit tiefer in die Machenschaften des NSU involviert sein soll als bisher bekannt war. (http://endstation-rechts.de/)

Wie weit die Celler „Kameraden“ informiert oder involviert waren ist unklar.

Dennis Bührig und GeistesverwandteImmerhin war Dennis Bührig (Foto rechts, ganz rechts) aus Celle 2009 in Arnstadt beim „Thüringentag der nationalen Jugend“ als Redner aufgetreten. Dieses Neonazi-Fest wurde von eben diesem oben erwähnten Ralf Wohlleben organisiert, dem potentiellen Unterstützer und Waffenlieferanten der Zwickauer Zelle.

Bührig, der als militant geltende Aktivist der damaligen „Kameradschaft Celle 73“, schlug dort äußerst antisemitische Töne an und huldigte offen seinem Hang zum Nationalsozialismus. Er hetzte gegen die „weltweite zionistische Bedrohung“ und die „Überfremdung“ und rief dazu auf: „Helfen wir alle mit vollem Einsatz, unser Volk auferstehen zu lassen“. Und „zeigen wir der Welt, dass das deutsche Volk sich nicht auf Dauer unterdrücken lässt“. So solle es wie Phoenix aus der Asche auferstehen und die „Ketten der Knechtschaft“ sprengen. In Anlehnung an die nationalsozialistische Waffen-SS ermahnte Bührig: „Kämpfen wir in der Tradition unserer Kameraden“, welche „heute Verbrecher genannt werden“. Mit direktem Bezug auf die Hakenkreuzfahne forderte er: „Tragen wir die Fahne im Herzen unter der unsere Großväter fielen und lassen sie zu neuem Leben erwachsen!“

Auf demselben Fest hatten übrigens auch die Organisatoren des neonazistischen Bad Nenndorf-Aufmarschs einen Stand. Dieses Umfeld der Kameradschaft Weserbergland/Schaumburg zeigte sich mit dem oben erwähnten Holger Gerlach am 18. Juni 2005 bei einer NPD-Demonstration in Braunschweig.

(Randnotiz: Der unverhältnismäßige Polizeieinsatz gegen Antifaschistinnen und Antifaschisten, insbesondere ein Kessel, bei der NPD-Demonstration "Sozialabbau, Rentenklau, Korruption - Nicht mit uns!" am 18. Juni 2005 in Braunschweig war rechtswidrig. Dies stellte zunächst das Landgericht Braunschweig und abschließend, nach einer Beschwerde des Landes Niedersachsen, das Oberlandesgericht Braunschweig fest.)