Wilder Westen in der Heide?

ExxonMobil Erdgasbohrung in Lünne, Foto aus ZDF-Doku "ZDFzoom - Gefährliche Gier)

1858 begann das Erdölzeitalter mit der ersten erfolgreichen Ölbohrung der Welt in Wietze, 20 km westlich von Celle. Einige Jahre später brach in der Region ein Ölboom aus, Bohrbetriebe und Zulieferindustrie siedelten sich an und Celle entwickelte sich zum Öl- und Erdgaszentrum Deutschlands und blieb es bis heute.
Aufgrund Peakoil, wachsendem Energiehunger weltweit sowie stetig wachsender Rohstoffpreise für fossile Brennstoffe rückt die Ausbeutung auch unkonventioneller (nicht direkt erschließbarer) Lagerstätten für Erdgas zunehmend ins Visier der Erdöl- und Erdgasindustrie. Ein riesiger Markt: 95 % des deutschen Erdgases wird in Niedersachsen gefördert, wofür Unternehmen nur im Jahre 2010 Förderabgaben in Höhe von 569,54 Mio EUR zahlten. Seit Mitte der 1990er Jahre wird auch »Hydraulic Fracturing« als „innovative Technik“ zur Ausbeutung der jetzt wirtschaftlich gewordenen Lagerstätten für die unkonventionelle Erdgasförderung in Deutschland eingesetzt. Es gab seitdem mehr als 300 Bohrungen mit Fracking-Technik, vor allem in Niedersachsen.

In der Branche gibt es eine wahre Goldgräberstimmung, angetrieben durch die Erfahrungen in den USA (Dick Cheney ebnete der Fracking-Industrie als USVizepräsident der Bush-Administration durch neue Gesetze und Abbau von Personal in den Umweltbehörden den Weg zur hemmungslosen Ausbeutung unkonventioneller Erdgasvorkommen in den USA. Mittlerweile liegt der Anteil gefrackter Gasbohrungen in den USA bei über 90 Prozent) von der auch Unternehmen aus dem Landkreis Celle, wie Halliburton, ITAG, Exxon Mobil, RWE Dea, Baker Hughes oder Cameron profitieren wollen. Ein gutes Dutzend Unternehmen hat in ganz Deutschland schon Claims zur Exploration & Förderung abgesteckt.

Hydraulic Fracturing, auch Fracking (engl.: Aufbrechen) genannt, ist eine Tiefbohrtechnik-Methode, bei der durch das Einpressen von Flüssigkeit (Fracfluide) in eine Bohrung unter extrem hohem Druck (über 1000 bar) in einer Gesteinsschicht Risse erzeugt werden, um die Gas- und Flüssigkeitsdurchlässigkeit zu erhöhen, mit dem Ziel, das in der Gesteinsschicht gebundene Erdgas, insbesondere Schiefergas, wirtschaftlich fördern zu können. {youtube}oHQu3SeUwUI{/youtube}

Die verwendete Frac-Flüssigkeit besteht aus Wasser und zugesetzten, wassergefährdenden Chemikalien, die z.T. als gefährlich, giftig und sehr giftig klassifiziert sind und Substanzen enthalten, die krebserregend oder hormonaktiv sind, das Nervenssystem angreifen sowie nierentoxisch wirken. Es werden ca. 600 verschiedene Chemikalien beigemengt, die genaue Zusammensetzung ist aber »Betriebsgeheimnis« des jeweiligen Förderunternehmens. Das Einpressen der Frac-Flüssigkeit erfolgt durch betonverschalte Rohre, die durch grundwasserführende Schichten führen. Technisch bedingt verbleibt ca. die Hälfte des kontaminierten sog. Lagerstättenwassers irreparabel und unwiederbringlich im Boden. Nach Angaben von Exxon Mobil wurden allein im Erdgasfeld Söhlingen in Niedersachsen 21,5 Mio. Liter Wasser sowie 1.000 Tonnen Chemikalien eingesetzt.

»Risiken und Nebenwirkungen«

  • Mögliche Kontaminierung des Grund- und Trinkwassers durch undichte Rohrleitungen mit u.a. Benzol (wie bereits in Völkersen und Söhlingen in Niedersachsen geschehen).
  • Freisetzung von radioaktiven Isotopen und Schwermetallen, wie Radium oder Quecksilber.
  • Entsorgung der Abwässer umwelttechnisch unzureichend (Hinabpumpen in vermeintlich abgeschlossene Erdschichten als Endlager oder sogar Verdunstung).
  • Erdbeben, ausgelöst durch Fracking (Großbritannien im April und Mai 2011, Niedersachsen 2007).
  • Unkontrollierte Diffusion des verpressten Prozesswassers im Untergrund.
  • Schlechte Klimabilanz, da bei unkonventioneller Gasförderung Methan über das Grundwasser in die Atmosphäre entweicht. Methan ist als Treibhausgas etwa 20 mal so wirksam wie Kohlendioxid (CO2)

Moratorien und Verbote

Frankreich hat im Juni 2011 als erstes Land in Europa den Einsatz von Fracking verboten. In anderen europäischen Ländern hat sich mittlerweile massiver Widerstand organisiert, so dass die Bohrunternehmen vom Einsatz des Fracking-Verfahrens absehen. In Großbritannien und den Niederlanden ist bereits ein Moratorium gegen den Einsatz von Hydraulic Fracking gefordert bzw. erlassen.

In Großbritannien wurde nach zwei Erdbeben, die in unmittelbarer Nähe von Probebohrungen auftraten, der Einsatz von Fracking bis auf weiteres eingestellt.

In Deutschland haben Nordrhein-Westfalen, Baden- Württemberg und Thüringen die Bearbeitung aller Anträge zur unkonventionellen Gasförderung auf Eis gelegt bzw. abgelehnt. NRW hat im Bundesrat eine Änderung des Bergrechtes vorgeschlagen, die u.a. verpflichtende Umweltverträglichkeitsprüfungen für alle Bohrungen mit Hydraulic Fracturing fordert.

Niedersachsens Alleingang

In Niedersachsen sind für 2012 bereits mehrere Frackings angekündigt. Von Seiten der Bergbehörde und des verantwortlichen Wirtschaftsministeriums gibt es keine Bedenken gegen das Verfahren. Wirtschaftsminister Bode (FDP) lehnt verpflichtende Umweltverträglichkeitsprüfungen vehement ab. Das Wirtschaftsministerium unterstützt die Industrie durch eine Senkung der Förderabgabe von 36 auf 32 Prozent. Für fehlgeschlagene Bohrungen erhalten die Unternehmen bis zu 2 Millionen Euro Prämien. Unkonventionelle Gasförderung wurde sogar komplett von der Förderabgabe freigestellt.

Wirtschaftsminister Jörg Bode (FDP) auf Nachfrage eines Reporters der Sendung ZDFzoom bei einem Ortstermin in Wathlingen:

ZDFzoom: „Welche Befürchtungen haben Sie denn, wenn Sie jetzt grundsätzlich immer Umweltverträglichkeitsprüfungen anordnen würden?“

Jörg Bode, nds. Minister für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr, Foto: © Martina NolteJörg Bode: „Nun es ist so, dass wir hier natürlich auch eine Branche haben, wo 18.000 Arbeitsplätze allein in Niedersachsen von abhängen. Und die [Branche] entscheidet nach wirtschaftlichen- und nach Zeitgesichtspunkten, wo sie investiert und wo sie neue Bohrfelder tatsächlich erschließt, und wenn wir die Arbeitsplätze nicht gefährden wollen, müssen wir bei versiegenden Quellen durchaus auch die Zeitfrage für eine Entscheidung bei einem derartigen Unternehmen berücksichtigen.“

Arbeitsplätze (Wählerstimmen) sind halt wichtiger als die irreparable Schädigung der Umwelt und Vergiftung der betroffenen Menschen vor Ort.

Anspruch und Wirklichkeit

ITAG Unternehmensleitsatz: Gesundheit, Sicherheit und Umwelt: „Wir geben Gesundheit, Sicherheit und Umwelt den Vorrang und kommen so unserer Verpflichtung als Unternehmen nach, ein verantwortliches Mitglied der Gemeinschaft zu sein.“ (veröffentlicht auf der Webseite der ITAG GmbH www.itag-celle.de)

Wann stellen sich die ITAG und der Rest der Celler Erdgasförder- und Zulieferindustrie dieser Verpflichtung und beenden aufgrund der unabsehbaren Folgen für Mensch und Umwelt den Einsatz von Hydraulic Fracturing? Oder müssen aufgrund der möglichen Anwendung der Technik auch im Landkreis Celle erst die »Täter« zu »Opfern« werden?

gegen GasbohrenWeiterführende Infos gibt’s hier:
Initiative gegen Fracking: http://www.gegengasbohren.de/
Infoseite Fracking http://www.unkonventionellegasfoerderung.de/
Doku ZDFzoom vom 09.11.2011 zum Thema Hydraulic Fracturing in der ZDF-Mediathek