„Unabhängige“ wollen Ratsresolution für Fracking-Freigabe

Im ganzen Land werden die Celler Kirchturmglocken zu hören sein, wenn der Stadtrat Ende April in einer Resolution „die Bundesregierung und den Bundestag eindringlich auf[fordert], die Blockade der Frackingtechnologie zu beenden und unter Beachtung der neusten Erkenntnisse der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe noch vor der Sommerpause 2016 ein Gesetz zu verabschieden, das den Einsatz dieser Technologie ermöglicht.“ Kirchturmpolitik nämlich – so erläutert Wikipedia – bedeutet „bildhaft das Eintreten für das eigene Dorf (eben den "Kirchturm") und Auswirkungen, die nur so weit bedacht werden, wie man den eigenen Kirchturm sieht. Alle weitergehenden Auswirkungen im größeren Maßstab treten dabei in den Hintergrund.“

Eingebracht hat die Resolution die Fraktion „Die Unabhängigen“, jene CDU-Abspaltung, deren politisches Kernthema bisher der Erhalt kostenloser Parkplätze auf dem Schützenplatz war. Begründet wird die Aufforderung an „Berlin“ so:

Eine im Januar 2016 veröffentlichte Studie der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) mit dem Titel Schieferöl und Schiefergas in Deutschland – Potenziale und Umweltaspekte sei zu dem Ergebnis gekommen, dass Trinkwasserschutz und Fracking aus geowissenschaftlicher Sicht miteinander vereinbar seien. Auch habe die Untersuchung die bis 2030 förderbare Erdgasmengen auf 320 Kubikmeter aus Schiefergesteinen beziffert, davon das mit Abstand größte Vorkommen in Niedersachsen. Die Größenordnung übersteige damit deutlich Deutschlands konventionelle Erdgasreserven. Die Schieferöl-Ressourcen würden mit einem Potenzial von 13 bis 164 Millionen Tonnen eingeschätzt, das in etwa der Größenordnung der konventionellen Erdölreserven entspreche.

Deshalb sei es „an der Zeit, die Blockade der Frackingtechnologie zu beenden“. Andernfalls – und da landen wir dann beim Kirchturm – müsse „davon ausgegangenen werden, dass weitere Unternehmen, insbesondere in der in Celle besonders stark vertretenen Erdölzulieferindustrie, noch mehr Entlassungen vornehmen müssen, wie das insbesondere aufgrund des Stillstands der Gesetzgebung im Frackingbereich bereits in erheblichen Umfang erfolgt ist.“

Oberbürgermeister Dirk-Ulrich Mende (SPD) hatte sich schon im vergangenen Herbst lobbyistisch betätigt, als er in einem Beitrag für ZEIT-online verkündete: „Ohne Fracking verspielt Deutschland seine Zukunft.“ (Siehe revista 78, S. 16.) Die von ihm dort vorgenommene Unterscheidung zwischen konventionellem und unkonventionellem Fracking fällt in der Begründung der „Unabhängigen“ ganz weg. Dort wird explizit auch auf Schiefergesteine und Schieferöl-Ressourcen abgehoben.

Kurz zum Hintergrund: Lagerstätten, in denen sich das Gas in Gasblasen sammelt, sind sogenannte konventionelle Lagerstätten. Nach Anbohren der Gasblase kann das Gas entweichen und gefördert werden. Wenn das Gas dagegen in Gesteinsporen eingeschlossen ist, wird von unkonventionelle Lagerstätten gesprochen. Dort kann das Gas herausgeholt werden, wenn zuvor das Gestein mit Hilfe von Chemikalien unter hohem Druck aufgebrochen wurde. Dann kann es aus den Poren austreten und durch die unter dem Druck entstandenen feinen Risse ausströmen. Der Prozess des Herauslösens des Gases unter hohem Druck wird als Hydraulic Fracturing, kurz: Fracking, bezeichnet.

Insbesondere dieses unkonventionelle Fracking soll gesetzlich geregelt werden. Doch seit Mitte letzten Jahres geht es nicht voran. Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) will Fracking in Schiefergestein verbieten, mit der Ausnahme von zwei Probebohrungen. Die CDU/CSU-Fraktion will 16 „Probe“-Bohrungen zulassen, über die zudem eine Expertenkommission und nicht der Bundestag entscheiden soll – letztlich soll so für kommerzielles Fracking in Deutschland eine Tür geöffnet werden.

Ökologisch spricht alles dagegen und ökonomisch nichts für unkonventionelles Fracking.

Der Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU) sieht die BGR-Studie als ungeeignet an für eine wissenschaftliche Diskussion über Fracking-Gefahren. Und auch die rot-grüne niedersächsische Landesregierung antwortete am 19.2.2016 auf eine Anfrage zweier FDP-Landtagsabgeordneter mit ausdrücklicher Bezugnahme auf das BGR-Gutachten:

„Nach Einschätzung der Landesregierung fehlen nach wie vor grundlegende und vor allem belegbare Informationen zur technischen Beherrschbarkeit der Fracking-Technologie in unkonventionellen Vorkommen und den damit verbundenen Umweltrisiken [...] Solange diese Risiken und Auswirkungen nicht zweifelsfrei kalkuliert werden können, ist ein Einstieg in die Förderung von unkonventionellem Erdgas mittels Fracking nicht akzeptabel.“ Und weiter heißt es: „Konkrete Informationen, die einen sicheren und praxisrelevanten Umgang mit der Fracking-Technologie in unkonventionellen Lagerstätten belegen könnten, sind nicht Gegenstand dieser Untersuchungen.“

Das größte Risiko besteht hinsichtlich möglicher Verunreinigungen von Grund- und Trinkwasser durch Chemikalien. Das für den Frack-Prozess verwendete Wasser wird u.a. mit 0,5–2 % Chemikalien vermischt. Mit dem geförderten Gas gelangt auch ein Teil des Frack-Fluids und Lagerstättenwasser, das bereits vor dem Frack im Gestein vorhanden ist, über das Bohrloch zurück an die Oberfläche. Das ist der sogenannte Flowback. Das Lagerstättenwasser kann Reste von Kohlenwasserstoffen (z.B. Benzol) und Elemente wie Quecksilber, Arsen oder natürliche radioaktive Elemente enthalten. Aufgrund dieser gefährlichen Inhaltsstoffe schätzt das Umweltbundesamt dies als wassergefährdend ein.

Vom Fracking gehen nicht nur Gefahren für das Trinkwasser, sondern auch für das Klima aus, denn dabei entweicht noch mehr Methan in die Atmosphäre als bei der herkömmlichen Erdgasförderung. Es gibt z.B. Schätzungen, wonach bis zu fünf Prozent der Fördertürme in den USA Leckagen aufweisen würden. Und Methan ist dummerweise ein viel stärkeres Treibhausgas als CO2. Der Umweltingenieur und Klimagasexperte Anthony Ingraffea von der amerikanischen Cornell University warnt: „Der Vorteil der geringeren CO2-Emissionen von Erdgaskraftwerken wird durch die erheblichen Methan-Leckagen beim Fracking mindestens teilweise wieder zunichte gemacht.“ Gas aus Schiefergestein sei deshalb keine Brücke in eine Zukunft der erneuerbaren Energien, sondern „der Laufsteg in eine weitere Erwärmung“.

Die Krise der heimischen Erdöl-Service-Industrie liegt nicht an der „verzögerten“ Genehmigung der großflächigen Frackings in Deutschland. Die Anwendung der Technologie in den USA hat in Verbindung mit einem hohen Ölpreis und geringerem Wirtschaftswachstum zu einer Überproduktion an Kohlenwasserstoffen geführt. Die Folge ist ein weltweit starker Rückgang der Bohrtätigkeit nach Öl und Gas, worunter eben auch die Celler Öl- und Gas-Serviceindustrie leidet. Ein zusätzliches Angebot aus deutschem Schiefergestein würde sich zum einen nicht rechnen, und zum anderen den Preis weiter nach unten drücken. Erst wenn die Gaspreise wieder deutlich steigen würden, wäre eine Förderung in der EU wirtschaftlich. Zu diesem Ergebnis kam zuletzt das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) über eine Umfrage unter rund 200 Fachleuten aus der Energiewirtschaft. Durch die reichen konventionellen Erdgasvorkommen in Russland, Aserbaidschan, Turkmenistan und Katar sei eine solch rasante Preissteigerung in den nächsten Jahren allerdings nicht zu erwarten.

Dazu kommt, dass das umweltschädlich geförderte Fracking-Gas aus den USA künftig in die EU importiert werden soll. Die EU-Kommission führt zur Zeit Gespräche über Flüssiggas-Importe mit Kanada, den USA, Australien, Japan, Nigeria und Algerien.

Ökologisch und volkswirtschaftlich geht die Resolution, die im Stadtrat verabschiedet werden soll, also absolut in eine falsche Richtung. Es spricht wirklich nichts dafür, angesichts der vorhandenen Risiken jetzt die Ressourcen in Deutschland „anzuzapfen“. Bei fortschrittsgläubigem Denken wäre es vielleicht eine Option, sollte die Erderwärmung abgewendet werden können und Fracking ohne giftige Chemikalien möglich sein – im besten Fall also zum Ende des Jahrhunderts.

Aktuell bedarf es gänzlich anderer Strategien zur Stabilisierung des angeschlagenen Industriesektors in Celle. Der Kreisverband der Celler Linken setzt in einer Erklärung auf die Entwicklung von sicheren, nachhaltigen und wirtschaftlichen Geothermie- und Speichertechnologien. Hierfür seien sofortige Investitionsprogramme des Bundes und der Länder erforderlich. Wirtschaftlich sei nur, was auch für nachfolgende Generationen Bestand habe.

Bis zur Ratssitzung Ende April werden die Fraktionen von CDU, SPD und FDP wahrscheinlich noch versuchen, die sachlich unhaltbare Resolution der „Unabhängigen“ zu verändern – um auf „breiter Basis“ dann doch nur ein falsches Signal zu setzen.