Unbegleitete jugendliche Flüchtlinge in Celle
Mehr schlecht als recht war im vergangenen Herbst der Umgang des Celler Jugendamtes mit den unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen im Lager Scheuen. Das „Kindeswohl“ - wie es in der Sprache des Kinder- und Jugendhilfegesetzes an oberster Stelle steht – geriet unter die Räder. Inzwischen dürfte allen fachlich in der Flüchtlingsarbeit Tätigen klar sein, welchen enormen Gefährdungen z.B. hinsichtlich sexueller Gewalt unbegleitete Minderjährige in den Aufnahmeeinrichtungen ausgesetzt waren. Inzwischen sind aus den Ministerien Anordnungen ergangen, die gerade diese Gefährdungssituationen ausschließen sollen.
Zur Ratssitzung im Februar hatte die Fraktion Die Linke/BSG der Verwaltung einen umfangreichen Fragenkatalog zur Situation der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge in Celle vorgelegt. Zumindest in quantitativer Hinsicht sind die Antworten der Betrachtung wert.
Im Februar waren 77 unbegleitete minderjährige Ausländer (so die neue gesetzliche Sprachregelung) in Obhut des Jugendamtes, darunter drei Mädchen. Über die Aufschlüsselung in Nationalitäten und Alter geben unten stehende Grafiken Aufschluss:
Die Aufnahmequote orientiert sich seit dem 1.11.2015 am sogenannten Königsteiner Schlüssel. Mitte Februar hatte die Stadt diese Quote mit 164 % deutlich übererfüllt, es werden 31 Jugendliche mehr betreut als nach der Quote erforderlich. Dies liegt daran, dass die Jugendlichen sich zum Zeitpunkt der Gesetzesänderung bereits in Celle befanden und nicht in das neue Verteilungsverfahren einbezogen werden. Wegen der Flüchtlingsunterkunft in Scheuen hatte das Celler Jugendamt im vergangenen November nach dem Landkreis Göttingen (dort wegen der Erstaufnahmeeinrichtung Friedland) in Niedersachsen die meisten Jugendlichen Inobhut zu nehmen.
Inzwischen werden die Jugendlichen (fast) sofort nach ihrer Ankunft in Scheuen durch das Jugendamt Inobhut genommen. Die Unterbringung ist dann aktuell so geregelt, dass 35 Jugendliche in Wohngruppen nur für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge leben, 7 in anderen Einrichtungen der Jugendhilfe, 3 werden ambulant in Wohngemeinschaften betreut, 16 befinden sich in Gastfamilien, 7 bei Verwandten in Celle und 9 bei Verwandten im Aufnahmelager Scheuen.
Für die Standards in den stationären Wohngruppen hat das Landesjugendamt im Januar eine Dienstanweisung („Übergangslösungen zur Unterbringung, Versorgung und Betreuung“) erlassen, die leider hinter bisher gängige Standards der Jugendpflege zurückfällt. Man sei sich allerdings einig, „dass die Maßnahmen zur Bewältigung der aktuellen Herausforderungen nur zeitlich befristete Übergangslösungen darstellen dürfen.“ Die jeweiligen Betriebserlaubnisse sind deshalb auf zwei Jahre befristet.
Die maximale Gruppengröße bei den stationären Betreuungsformen liegt bei 12 Personen. Räumlich gelten folgende Vorgaben: Einzel- oder Doppelzimmer, im Ausnahmefall auch Mehrbettzimmer mit 3 Schlafplätzen; Mindestquadratmeterzahl soll 6 Quadratmeter pro Person nicht unterschreiten. Hinsichtlich des Personals hat der Träger sicherzustellen, dass zur Umsetzung des jeweiligen Leistungsangebots immer eine ausreichende Anzahl von Fachkräften anwesend ist - ein „Personalschlüssel“ ist das gerade nicht.
Nur zum Vergleich, was im November letzten Jahres noch galt: Gruppengrößen bis maximal 10; Zimmermindestgrößen 8 Quadratmeter pro Einzelzimmer. Und beim Personal gab es für eine solche Gruppe die Festlegung auf mindestens 8,5 Vollzeitstellen, davon mindestens 5 pädagogische Fachkräfte. („Empfehlung zu den Mindestvoraussetzungen für die Erteilung einer Betriebserlaubnis; Leistungsangebot: Vorläufige Inobhutnahme gem. „42a SGB VIII vom November 2015“)
Der Zweck dieser gravierenden Absenkung der Standards ist vorrangig die Einsparung von Kosten. Und ja – es mag sein, dass der Arbeitsmarkt an Fachkräften ziemlich leergefegt ist. Dass allerdings so die Interessen der minderjährigen unbegleiteten Flüchtlinge unter dem Vorranggesichtspunkt des Kindeswohls immer gewahrt werden können, darf bezweifelt werden.