Eine menschenleere Celler Innenstadt am frühesten Morgen. Fünf link(s-radikal)e Laternen stehen in der Dämmerung beieinander und beginnen ein Gespräch.

Oma Lilo (an die Dicke gewandt): Wir sollten Männern das Wahlrecht entziehen.

Der lange Lulatsch: Macht mal, ich brauch's nicht.

Die Dicke: Was wäre denn damit gewonnen?

Oma Lilo: Männer stellen über 60 % der AfD-Wählerschaft. Ansonsten  tendieren Frauen mehr zu den Regierungsparteien, d.h. ohne Männerstimmrecht hätte erstaunlicherweise jede Regierungskoalition überlebt.

Der lange Lulatsch: Würden nur Frauen wählen, könnte der Urnengang also gleich abgeschafft werden, oder was?

Oma Lilo (wendet sich mit eingeschnappter Miene ab)

Der lange Lulatsch: Viel dramatischer ist doch, dass die Proleten ihre Ketten mal wieder „vaterländisch polieren“, wie es Ernst Bloch für die Situation nach der Weltwirtschaftskrise 1929 beschrieb. 36 % der Arbeitslosen in Sachsen-Anhalt, 30 % in Baden-Württemberg und 25 % in Rheinland-Pfalz haben die AfD gewählt. Bei den Arbeiter*innen sieht es ähnlich aus: 35 % SA, 28 % in BW und 23 % in RP. Und die AfD ist besonders stark bei den Wähler*innen unter 44 Jahren.

Die Dicke: Kriegen die nicht mit, dass die AfD Hartz IV senken, Mindestlohn weghaben und den Arbeitgeberanteil bei Arbeitslosenversicherung und Rentenversicherung abschaffen will? Der Programmentwurf der AfD liest sich doch wie ein feuchter Traum aller konservativen Superreichen. Dabei ist dies bei weitem nicht alles. Hinzu kommen die Abschaffung der Erbschafts- und Grunderwerbssteuer sowie die Absenkung der Steuern auf 25 Prozent für alle; demnach wäre es völlig egal ob jemand 17 Millionen oder nur 500 Euro im Jahr verdient, alle würden den gleichen Steuersatz zahlen.

Oma Lilo: Nur die allerdümmsten Kälber wählen ihre Schlächter selber.

Der Besserwisser: Das hatte der eben schon erwähnte Bloch ja ein bisschen dialektischer gewendet: „Man würde hier jene Kälber sehen, die ihre Metzger selber wählen, wäre der Geruch vieler dieser Kälber nicht gerade der von Metzgern.“

Die Dicke: Das stimmt wohl leider. Für jene, die Flüchtlingsunterkünfte attackieren, dürfte die AfD erste Wahl gewesen sein.

Der lange Lulatsch: Aber lasst uns kurz noch bei den Arbeitslosen und Arbeiter*innen bleiben. Wir haben immer beklagt, dass sie nur unterdurchschnittlich zur Wahl gehen, ...

Der Besserwisser: … ich nicht …

Der lange Lulatsch: …, und jetzt wählen sie nicht nach ihren Interessen sondern – nach was eigentlich: Protest?

Der Besserwisser: „Schlagen um sich, besonders nach unten, wohin sie zu sinken drohen. [...] Aber viele verbessern sich jetzt, blonden Haares, auch innerlich. Der kleine Mann fühlt sich gern adlig, das ersetzt ihm den Aufstrich aufs Brot. Er fühlt sich [...] bedeutend besser, seit er ein Norde ist oder vollwertig in seiner Blondheit wenigstens dem Blute nach.“

Oma Lilo: Wieder Bloch?

Der Besserwisser: Aus „Erbschaft dieser Zeit“ und da – wie passend – aus dem Kapitel „Sachsen ohne Wald“ aus dem Jahr 1929.

Die Dicke: Zu Rheinland-Pfalz gab es eine Umfrage zur sogenannten „Grundstimmung“. Während bei Parteianhänger*innen von CDU, SPD und Bündnisgrünen über 60 % „eher Zuversicht“ herrschte, überwog bei den LINKEN mit 63 % und bei der AfD mit 89 % „eher Besorgnis“.

Oma Lilo: Also schon die sogenannten Globalisierungsverlierer, oder?

Der lange Lulatsch: Verunsicherte Kerle, die ihre Frauen anbrüllen – im besseren Fall –, und dann plakatieren: „Die Würde der Frauen ist unantastbar.“

Oma Lilo: Und sie sind in großer Zahl von der LINKEN rübergeschwenkt. Von 28.000 Stimmen, die an andere Parteien gingen, wanderten 22.000 in BW zur AfD, in RP 11.000 von insgesamt 14.000 und in SA 29.000 von 49.000.

Der lange Lulatsch: Und die Parteiführung lobte sich – in peinlicher Larmoyanz – dafür, dem Rechtsruck nicht nachgegeben zu haben.

Die Dicke: Wir sollten bei diesem Proleten-Bashing aber nicht vergessen, dass sich allein mit den Abgehängten keine zweistelligen Wahlergebnisse erzielen lassen. Der antimuslimische Rassismus der AfD hat seine Basis doch in der sogenannten Mitte der Gesellschaft.

Oma Lilo: Habt ihr mitbekommen, dass der stellvertretende Vorsitzende des Celler Kreisverbandes der AfD ein junger Rechtsanwalt aus Bergen ist: Daniel Biermann, ein Neffe unseres geliebten ehemaligen Oberbürgermeisters?

Der lange Lulatsch: Das Erstaunliche ist, finde ich, dass der knallharte Kurs der Bundesregierung gegen Geflüchtete diesen Wählerschichten nicht reicht und sie auf ihrem trotzigen „Wir wollen keine Flüchtlinge aufnehmen“ beharren. Da reicht nicht einmal der perfide „Merkel-Plan“.

Klein Jonas: Was ist das für ein Plan?

Der lange Lulatsch: Offiziell war es ja ein „überraschender“ Vorstoß des türkischen Premiers Davuto?lu – und dabei blieb es für die meisten deutschen Medien ja bis heute. Vorgeschlagen wurde er aber durch die European Stability Initiative (ESI), einem internationalen Think Tank.

Der Besserwisser: Der taugt nun wirklich für eine klassische abendländische Tragödie. Griechenland schiebt alle illegal eingereisten Geflüchteten ab, und für jede*n Abgeschobene*n nimmt die EU ein*e Syrer*in legal auf. Nur also, wenn jemand gänzlich aussichtslos sein Leben riskiert, bekommt jemand ganz anderes die Chance darauf, dem Elend der Flüchtlingslager zu entkommen. Sowas kann man sich auch nur im Abendland ausdenken. Aber das ist schon so absurd, dass man's nicht mal auf die Theaterbühne bringen könnte.

Oma Lilo: Sich selbst opfern, um eine*n gänzlich unbekannte*n Andere*n zu retten. Das ist ja nicht einmal ein moralisches Dilemma, das ist eine hochgradige Perfidie. Und die sich diese Konstellation ausgedacht haben, gerieren sich als Bekämpfer des Schlepper(un-)wesens, der humanitären, weil gefahrlosen Einreise – und haben doch nichts anderes im Sinn, als mit diesem Trick die Festung Europa wieder für ein paar Jahre uneinnehmbar zu machen. Irgendwie auch genial.