16,8 Millionen Euro für ein überflüssiges Verkehrskonzept

Celler Verkehr 2014?

Was Celles Stadtplanern schlaflose Nächte bereitet, ist mir ja tatsächlich passiert: Im vergangenen Sommer holte mich im Hehlentorgebiet ein Bekannter mit dem PKW ab. Wir wollten nach Beedenbostel. Und siehe da: Der eher an großstädtische Verhältnisse Gewöhnte nahm nicht die 180°-Kehre auf dem Neumarkt, um über die Fritzenwiese in die Blumlage/Braunschweiger zu kommen. Er ließ sogar noch die 77er-Straße links liegen, um endlich beim Wederweg abzubiegen. – Nun ließ ich mir darüber keine grauen Haare wachsen, ja ich fand es nicht einmal erwähnenswert. Aber die »Herren der Ringe« halten dies für eine Zumutung. Sie meinen: Hätten wir nur die Chance gehabt, wären wir doch gleich in den Nordwall abgebogen – und hätten dadurch vielleicht zwei bis drei Minuten »gespart« und unseren Umweltfrevel um gefühlte 0,2 % geringer halten können.

Dies beschreibt gleichwohl nur einen kleinen Teil der »Magie«, die künftig von der beidseitigen Befahrbarkeit des Nordwalls (»Äußerer Ring«) ausgehen soll. So wird ja damit auch der zweitgrößte Planet des Sonnensystems, in dessen Zentrum Karstadt strahlt, in den Zauber der Ringe eingebunden.

Das alles ist selbstverständlich Quatsch. Wenn sich die Sehnsucht der Stadtplaner nach der Ostumgehung erfüllt, hat ein beidseitiger Nordwall eine »Bedeutung« für vielleicht gerade mal 5.000 Einwohner_innen des Stadtteils Hehlentor. Die wissen aber schon heute um die Möglichkeit der Fritzenwiese. Für Menschen aus Groß-Hehlen, Scheuen, Vorwerk und selbst die aus Norden kommenden »Fremden« hat dann doch wohl die »Orts«-Umgehung Vorrang.

Kurzum: Die beidseitige Befahrbarkeit des Nordwalls ist völlig überflüssig. Und sie ist verbunden mit dem riesigen Abrissaufwand einer ganzen Straßenseite. Das alles mit Kosten, die für den Zweck an Wahnsinn grenzen. Selbst für die Anwohner_innen der Fritzenwiese ist der Nutzen begrenzt: Den Lärm, den sie heute von Norden haben, werden sie künftig vermehrt von Süden bekommen - direkt in ihre Gärten. Wo ist da der Vorteil?

Das Ganze ist ein fast zehn Jahre altes "Projekt" (siehe Seite 4 in der Printausgabe); geplant unter Voraussetzungen, die sich geändert haben bzw. ändern werden. Die Ostumgehung gehört dazu, aber auch andere Aspekte: Das Verkehrsaufkommen ist in den vergangenen Jahren um 5 - 10 % gesunken und es wird angesichts sinkender Bevölkerungszahlen weiter zurückgehen. Die "Verödung der Altstadt" war an die Wand gemalt worden; davon ist heute nur noch eingeschränkt die Rede.

Die Nachteile spielen im Rathaus kaum eine Rolle: Für Fußgänger_innen und Radfahrer_innen wird sich die Situation nicht verbessern, sondern eher verschlechtern. Die historische MTV-Halle soll ganz oder teilweise abgerissen werden.

Im vergangenen Jahr nahmen sechs Architektenbüros an dem Wettbewerb "Altstadt Celle - Leben in der Mitte" teil. Der Wettbewerb sollte die Grundlage für ein Handlungskonzept der nächsten 15 Jahre sein. Auf Nachfrage wandten sich vier der sechs Büros ausdrücklich dagegen, den Bereich Nordwall gegenläufig auszubauen. Ihre Argumente: Der innerstädtische PKW-Verkehr hat abgenommen und wird weiter abnehmen. Mit einem neuen Straßenangebot aber wird das konterkariert. Mobilität sollte nicht im Anspruch münden, auf dem kürzesten Weg vor jede Ladentür zu kommen. Und: Mit einem gegenläufig befahrbaren Nordwall "verkleinert" sich die Altstadt, weil der ganze Bereich Fritzenwiese - und damit das Ziel "Leben an der Aller" - abgekoppelt wird.

Zum Gesamtkonzept gehört dann ja noch ein "Kreisverkehr" in Höhe Hafenstraße, den die Planer so wichtig finden, weil's bisher doch so schwer sei, auf die Allerinsel zu kommen. Nun erleben wir auch dort trotz riesigem Parkplatz keine unübersichtlichen Stauungen. Was auch nicht so verwundert, denn immerhin gibt's dort ja auch die Möglichkeit, über die Biermannstraße zu verschwinden. Auch der "Kreisel" hat eher "magische" als tatsächliche Qualität.

Der Norwall Umbau kostest mehr als 16 Mio EURDem ganzen faulen Zauber stehen Kosten in Höhe von 16,8 Millionen Euro gegenüber. Die im Kern ausgegeben werden sollen für die bloße Veränderung einer Wegführung. Eigentlich nur dafür, dass der Nordwall die Funktion der Fritzenwiese übernimmt. Häuser werden abgerissen, über Monate wird der Neumarkt zur Baustelle. Und auch wenn diese 16,8 Millionen "nur" zu einem Drittel aus dem städtischen Haushalt finanziert werden; auch die restlichen 2/3 sind Steuergelder. Aber bis auf die Bündnisgrünen und Die Linke/BSG sind im Stadtrat alle Fans von Schuldenbremsen dafür.

Ein Stressfaktor für Verwaltungsspitze und Ratsmehrheit scheint zu sein, dass Fördermittel für die Allerbrücke mit der Auflage des gegenläufigen Nordwall- Ausbaus verbunden waren. Hier droht – so die Behauptung aus Ratskreisen – eine Rückzahlung. Die Gegnerschaft formiert sich aktuell über eine Facebookseite ("GEGEN den Umbau am Nordwall CELLE"), was die »Herren der Ringe« vor allem deshalb nervt, weil sich ein Großteil der jugendlichen Besucher_ innen des »Rio's« dort tummelt und sich ein eigenes Bild von »Celles Zukunft« macht.

Weit über 1,5 Millionen Euro dürfte die Stadt mittlerweile dafür ausgegeben haben, Grundstücke und Immobilien am Nordwall zu kaufen - um sie abzureißen. Damit geht es Stadtbaurat Hardinghaus nicht schnell genug, denn damit soll anscheinend begonnen werden, noch bevor eine Bewilligung der Fördermittel vorliegt. Fakten schaffen, nennt man das wohl. Wenn's schief geht, dürfte Celle allerdings mal einen Stadtbaurat namens Hardinghaus gehabt haben.

Nordwall 2014An zwei Punkten kann das Projekt scheitern: Es soll Eigentümer geben, die nicht verkaufen wollen. Wenn die Stadt gezwungen ist, eine Enteignungsverfahren einzuleiten, muss sie plausibel begründen, warum sie eine Straße bauen will, die niemand braucht.

Eine weitere Chance liegt darin, dass die beantragten Fördergelder nicht bewilligt werden - ein bisschen Unruhe in der Stadt kann dabei nur hilfreich sein.