Mehr als Kosmetik – mal sehen?
Nun liegt es vor, das »Integrierte Klimaschutzkonzept mit Aktionsplan« für die Stadt Celle«. Ein erster Schritt zu einem zusammenhängenden und zielorientierten Handeln ist damit immerhin getan. Bis 2050 soll Celle danach bezogen auf den Primärenergieverbrauch eine »energieautarke Stadt« werden. Bis zum Jahr 2020 soll eine Reduzierung der CO2-Belastung um 40 Prozent erreicht werden. Es bleibt die Frage, ob dies zu schaffen ist mit den Maßnahmen, die sich im wesentlichen im Rahmen von Konzepten der »schwachen Nachhaltigkeit « bewegen. Jetzt ist »die Politik« gefragt, vor allem aber sind starke Impulse aus der Gesellschaft erforderlich, um wenigstens den vorgelegten Aktionsplan umsetzen zu können. Denn Klimaschutz steht auf der Prioritätenliste längst noch nicht auf Platz 1. Wir wollen im Folgenden die wesentlichen Bestandteile des Konzepts vorstellen und uns an eine Kritik wagen.
Das Ziel ist definiert. Celle will in Anlehnung an das bundesweite Ziel bis 2020 seinen CO2-Ausstoß um 40% mindern. Als Referenzjahr wird mit Bezug auf das Kyoto-Abkommen das Jahr 1990 gewählt. Es gilt das Territorialprinzip, d.h. die CO2-Emissionen werden aus dem Verbrauch der Primärenergieträger innerhalb des Stadtgebietes errechnet. Erhoben wird ausschließlich der direkte Endenergieverbrauch, also Strom und Heizenergieträger – sowie über Durchschnittswerte der Treibstoffverbrauch im Verkehr. Ausgeblendet wird bei einer derartigen Bilanzierung völlig, dass die Autos produziert werden mussten, bevor sie Sprit verbrauchen – die Produktion muss sich dann Wolfsburg zurechnen lassen. Während sich Celle durch in Freiburg gegessenes WASA-Knäckebrot belastet sieht.
Die CO2-Bilanzierung wurde mit dem Programm Eco Regio Smart durchgeführt, das viele Kommunen in Deutschland nutzen. Abhängig ist die Ermittlung von den eingespeisten Daten. Danach ergab sich für das Jahr 2010 ein Gesamtenergieverbrauch von etwa 3.300.000 MWh, was etwa 10 Tonnen CO2 pro Jahr und Einwohner entspricht und damit leicht über dem Bundesdurchschnitt liegt. Regionale Daten für das Jahr 1990 ließen sich nicht ermitteln, so dass hierfür nur Basisdaten zugrunde gelegt werden konnten. Das sollen etwa 10,5 Tonnen CO2 pro EW und Jahr gewesen sein. Leider lässt sich das nur aus einer Grafik ablesen. Aber: Seit 1990 sollen in der Stadt 6,5 % »eingespart« worden sein. Das wiederum ist deutlich weniger als im Bundesdurchschnitt, wo von 1990 (12,7 t) bis 2010 (9,7 t) eine Minderung um 23 % erfolgte.
Richtig ärgerlich ist, dass im Klimaschutzkonzept nirgendwo quantifiziert ist, wo die Stadt im Jahr 2020 landen will. Aber – selbst berechnet – landen wir bei rund 6,5 Tonnen CO2 pro Kopf und Jahr. Und das ist eine Herausforderung, die für die nächsten acht Jahre mehr erfordert als ein bisschen Klimakosmetik. Gegenüber der bundesweiten Entwicklung muss Celle grob gesprochen ein doppeltes Tempo vorlegen.
Wie soll das machbar sein? Klimapolitik in Deutschland ist ein »top-down«-Projekt, d.h. der Gestaltungsrahmen wird im wesentlichen durch Bundesgesetze geprägt. Einen direkten Zugriff haben Städte zunächst einmal als »Verbraucher« nur auf ihren eigenen Gebäudebestand und Technikpark. Da können sie Vorbild werden. Darüber hinaus aber haben sie als »Planer« gewisse Möglichkeiten z.B. hinsichtlich der energetischen Anforderungen in Neubaugebieten (Passiv- oder Plus- Energie-Häuser aus Auflage) und können versuchen, angebotsorientiert Mobilität zu verändern (ÖPNV und Fahrrad statt PKW-Individualverkehr). Schließlich können sie Rahmenbedingungen für den Ausbau regenerativer Energien schaffen (Flächenausweisung für Windkraftanlagen) oder selbst in Erneuerbare investieren. Auch die energetische Beratung von Bürger_innen können sie sich zur Aufgabe machen.
All diese Felder werden im Celler Klimaschutzkonzept behandelt. Konkreter wird es dabei nur in so genannten Teilprojekten, die in der Realisierungs- oder Planungsphase stecken. Darunter sind einige durchaus beachtlich. Dazu gehört die »energetische Stadtteilsanierung « Heese-Nord. Dort wollen vier Wohnungsbaugesellschaften ihren rund 1200 Wohnungen umfassenden Bestand mit dem Ziel sanieren, den Heizenergiebedarf um ca. 45 % zu senken. Damit kann der CO2 Ausstoß jährlich um insgesamt 1.700 t gesenkt werden, was auf die ganze Stadt bezogen aber nur etwa 21,4 kg pro Einwohner bringt. Aus den Erfahrungen dieses Modellprojekts lassen sich hoffentlich Folgeschritte für den übrigen Mietwohnungsbestand der Gesellschaften ziehen.
Die Geothermie hingegen, um die in Celle ein großes Ballyhoo gemacht wird, ist aktuell kaum mehr als Schaufensterdekoration. Die Tiefengeothermie steckt in den Kinderschuhen und auch die oberflächennahe Geothermie spielt keine Rolle: Ganze 63 Anlagen sind in den Jahren 2005 – 2010 in Celle hinzugekommen. Für das Neubaugebiet »Kieferngrund« gibt es jetzt eine »Förderung«. Ein interessantes Kleinprojekt ist in diesem Bereich vielleicht noch, dass derzeit geprüft wird, die EDV-Anlage der Stadt geothermisch zu kühlen.
Dass die Stadt schon aus Kostengründen die Optimierung der eigenen Gebäude im Blick hat, ist klar. Das gehört zum Geschäft, wie etwa das Klärwerk zeigt, wo durch die Gasgewinnung aus Biomasse und anschließender Verstromung in eigenen Blockheizkraftwerken ca. 50 % des Strombedarfs und 100 % der benötigten Wärmeenergie selbst erzeugt wird. Das ist nicht unwichtig, da – was überraschen mag – das Klärwerk 31 % des Energiebedarfs der Stadtverwaltung frisst. Und auch die Straßenbeleuchtung ist mit 21 % ein Faktor, der logischerweise nach permanenter Optimierung schreit.
Insgesamt aber ist die Stadtverwaltung nur mit einem Prozent am Gesamtenergieverbrauch Celles beteiligt. Den größten Bedarf hat »die Wirtschaft« mit 47 %, gefolgt von den Haushalten (27 %) und dem Verkehr (25 %). Der Einfluss auf »die Wirtschaft« ist bekanntlich angesichts der bestehenden Eigentumsordnung beschränkt, da sollen es ja immer die Marktkräfte richten. Und in gewisser Weise ist auch die Verkehrspolitik in Deutschland »marktgesteuert«, abhängig von Preisen und Angeboten. Aber selbstverständlich lässt sich Mobilität postfossil »lenken«, z.B. durch ein Straßennetz, das keinen Anreiz zu motorisiertem Individualverkehr gibt, und parallel einen Ausbau der Angebotsstruktur für ÖPNV und den Langsamverkehr, sprich Fußgänger_ innen und Fahrrad. Immerhin nimmt das Klimaschutzkonzept hier ein Reduzierungsszenario von 20 % als realistisches Ziel an. Wie? „Dabei wird es verstärkt auf eine regionale bzw. überregionale Vernetzung ankommen, um die Angebotsstrukturen des ÖPNV zu optimieren und insbesondere den Berufsverkehr zu reduzieren. [...] Eine weitere Verteuerung des Kraftstoffes, eine Verknappung des Parkplatzangebotes, ein verbessertes ÖPNV Angebot sowie eine weitere Attraktivitätssteigerung des Radwegenetzes könnten neben gezielter Aufklärungsarbeit ein probates Mittel sein, eine Reduzierung des Verkehrs zu erreichen. Zwar wird damit das in den letzten Jahren stark gewachsene Mobilitätsbedürfnis der Menschen stark beeinträchtigt; andererseits müssen die Mobilitätsbedürfnisse und lokalen Wirtschaftsinteressen auch mit den Anforderungen an Umwelt und Gesundheit vereinbar sein.“ Der Konjunktiv wird es dem Rat ermöglichen, hier zuzustimmen. Aber Parkplätze reduzieren und ÖPNV finanzieren? Das wird wohl nichts. Obwohl eine Tendenz auch die Autolobby überraschen wird: „So ist der Anteil des Fahrradverkehrs von 1978 bis 2006 von 12 % auf 27,3 % angewachsen.“
Dem carbonbasierten Energieverbrauch steht auf der anderen Seite die Möglichkeit des Ausbaus regenerativer Energie gegenüber. Die Reduzierung der CO2- Emissionen geht eben auf der einen Seite durch Innovation und Effizienz, auf der anderen durch den Ersatz der fossilen Energieträger. Da hat die Stadt Celle einiges vor sich, aber noch nicht viel vorgenommen. „2010 wurden insgesamt 43.819 MWh Strom aus Erneuerbaren Energien eingespeist. Die von der SVO Energie GmbH durchgeleitete Strommenge betrug 342.476 MWh. Der Anteil an Erneuerbaren Energien beträgt etwa 12,8 %.“ (Das ist im Vergleich zum bundesweiten Strommix wenig, dort waren es im Vergleichsjahr 16,8 %.) In Celle entfallen aktuell 49 % der Stromeinspeisung auf Biogas, gefolgt von der Windkraft mit 42 %, Solaranlagen und Wasser mit jeweils 4 %. Bis auf Wasserkraft gibt es überall Potentiale.
Im Einzelnen:
Viel wichtiger muss Windkraft werden. Bei Hustedt gibt es derzeit die einzigen drei Windkraftanlagen (Gesamtleistung von ca. 4,5 MW) betrieben. Hier sollte ein »Repowering« angestrebt werden. - Neue Anlagen mit je 3,2 MW Leistung würden pro Anlage ein Einsparpotential von 86 kg CO2 pro Einwohner_in bringen. Bei einem kleinen Windpark mit fünf Anlagen dieser Größenordnung käme es zu einer CO2-Reduzierung um bis zu ca. 4,3 %. Konsequenz: Die Stadt muss weitere Flächen für Windkraftanlagen ausweisen.
Derzeit gibt es acht Biogasanlagen mit einer gesamten Leistungsgröße von ca. 3.500 KW elektrischer Leistung. Von den Anlagenbetreibern wird eine kurzfristige Erweiterung auf 5.400 KW angestrebt. Problem: „Die für den Anbau von Energiepflanzen benötigte Fläche würde sich dadurch schätzungsweise von bisher 1400 ha auf voraussichtlich 2.400 ha erhöhen. Bei einer im Flächennutzungsplan insgesamt ausgewiesenen Fläche für die Landwirtschaft von ca. 6.670 ha würde sich der Flächenanteil für Energiepflanzen von 21 % auf 32 % ausdehnen.“ Immerhin ergibt sich aber eine mögliche CO2-Einsparung von ca. 270 kg je Einwohner in Celle bzw. ca. 2,5 %.
Über Photovoltaikanlagen wurden 2010 in Celle gut 1.700.000 kWh eingespeist. Damit wird rein rechnerisch der CO2 Ausstoß um 0,26 % pro EW/a reduziert. Auch hier bestehen Ausbauchancen, die aber stark von den Renditeerwartungen abhängt (und die wiederum von der EEG-Förderung durch den Bund).
Das Klimaschutzkonzept wird »abgerundet« durch 105 Maßnahmenvorschläge, zu denen zum einen das CO2-Einsparpotential grob bewertet wird (indirekt, +, ++, +++) sowie mit der Priorität 1 oder 2 versehen sind. Diese Vorschläge sind allerdings sehr allgemein gehalten. Es gibt kein Umsetzungskonzept und auch keine Kostenschätzungen. Hier ist dann »die Politik« gefordert, den Katalog abzuarbeiten bzw. durch weitere Vorschläge zu ergänzen.
Wie das gehen könnte, hat die Fraktion Die Linke/ BSG nach Vorlage des Klimaschutzkonzepts vorgemacht. Sie fordert zum einen die Gründung einer Klimaschutzagentur nach dem Vorbild anderer Städte, zum anderen ein städtisches Investitionsprogramm in die Erneuerbaren Energien – finanziert über die neu und zusätzlich durch die SVO-Beteiligung erzielten Gewinne (siehe Kasten). Hier wird sich zeigen, ob Verwaltungsspitze und Stadtrat sich tatsächlich an die Umsetzung des Klimaschutzkonzeptes machen wollen. Ein wichtiger Aspekt spielt im Klimaschutzkonzept nur eine sehr untergeordnete Rolle: Suffizienz und kultureller Wandel der Lebensstile. Was heißt das? Das Celler Klimaschutzkonzept setzt im Sinne »schwacher Nachhaltigkeit« auf Innovation, Effizienz und die Ersetzung fossiler Energieträger durch regenerative. Im Gegensatz dazu zielt Suffizienz auf den Konsum von Gütern, d.h. auf Lebensstile, die sich durch einen geringeren Verbrauch an Produkten (und damit Ressourcen) auszeichnen. Damit wird die rein energetische Betrachtungsweise aufgesprengt; gefragt wird z.B. nach Ernährungsveränderung (»Weg vom Fleisch«), nach Mobilitäts- »Verzicht« (drastische Reduzierung des Flugverkehrs), nach einer Regionalisierung von »Wirtschaft«, nach Arbeitszeitverkürzung etc. etc. Das ist als »starke Nachhaltigkeit« heute fester Bestandteil jeder ernstzunehmenden Diskussion um Klimaschutz. Erforderlich hierzu wäre aber eine gesellschaftliche Anstrengung, die über die Kinderschminke von »Earthday«-Lichtabschalten weit hinausgehen muss. Machen wir uns also nichts vor: Das städtische Klimaschutzkonzept ist in vielem unausgereift, was nicht wundern muss. Wo sonst bei jeder Kleinigkeit gutachterliche »Expertise« eingeholt wird, ist es mit schmalsten personellen Ressourcen im Rathaus entstanden. Dass jetzt mit kommunalem Klimaschutz ernst gemacht würde, ist nach ersten Reaktionen aus den bürgerlichen Ratsfraktionen nicht unbedingt zu erwarten. – Positiv: Klimaschutzfonds der Stadt zur Förderung regenerativer Energie wird aufgrund der SVO-Beteiligung künftig mit rund 450.000 Euro jährlich gefahren. Allerdings sind die Vergaberichtlinien in Teilen wenig geeignet, gezielt dort zu fördern, wo es etwas bringt. |
ANTRAG KLIMASCHUTZ Auf Grundlage des »Integrierten Klimaschutzkonzeptes mit Aktionsplan« strebt die Stadt Celle an: a.) die Gründung einer Klimaschutzagentur; sowie b.) die Auflage eines Investitionsprogramms für erneuerbarer Energien. Die Verwaltung wird beauftragt, Zu a.) auf Grundlage der Erfahrungen anderer Städte mit Klimaschutzagenturen deren Organisation- bzw. Gesellschaftsmodelle, Arbeitsfelder und materielle Ausstattung vorzustellen und eine den Celler Erfordernissen angepasste Lösung auszuarbeiten. Zu. b) dem Rat zur Beratung Vorschläge für ein Investitionsprogramm in erneuerbare Energien (Windenergie, Photovoltaik etc.) sowie Energieeffizienz (BHKW) für den Zeitraum 2013 – 2020 vorzulegen. Begründung: Zu a.) Eine Klimaschutzagentur kann unabhängig Bürgerinnen und Bürger sowie klein- und mittelständische Betriebe, das Handwerk und den Handel in der Stadt über Möglichkeiten der Energieeinsparung, Energieeffizienz und den Einsatz erneuerbarer Energien beraten und über Fördermittel und Finanzierungsmöglichkeiten informieren. [...] Zu b.) [...] Mit den erheblichen zusätzlichen Einnahmen durch die Beteiligung an der SVO kann die Stadt ein eigenes Investitionsprogramm auflegen. Die Voraussetzungen sowohl hinsichtlich der Organisationsform (z.B. Anbindung an Stadtwerke) wie auch der im angegebenen Zeitrahmen machbaren Projekte in der Region sind zügig zu prüfen. |
Link zum Integrierten Klimaschutzkonzept der Stadt Celle (Entwurfsfassung)
350 ist die vielleicht wichtigste Zahl in der Welt.
Wissenschaftler_innen gehen davon aus, dass bei anhaltenden CO2-Konzentrationen von über 350 ppm der Klimawandel katastrophisch werden kann. Auf der website www.350.org/de finden sich Infos und Aktionen.