Den Bock zum Gärtner machen
Den Bock zum Gärtner machen bedeutet, dass Leute sich mit etwas befassen, wofür sie absolut nicht geeignet sind. Dies ist beim »Bock« der Fall. Die Neonazi-Schülerzeitschrift »Bock« will auf Missstände aufmerksam machen und bietet „Vorschläge“, wie sich – gerade Jugendliche – dagegen zur Wehr setzen könnten. „In der neuen 16-seitigen Ausgabe wettern die Macher im Gestus des »Rebellen« – getreu dem Image der »Autonomen Nationalisten « – bemüht militant und ironisch gegen die »Bananenrepublik «“, so die TAZ am 10. März 2011 zur dritten Ausgabe der im Großraum Hannover an Schulen verteilten Zeitschrift.
Der »Bock – Das Sprachrohr der Gegenkultur« ist im Januar 2012 zum vierten Mal erschienen. Es spricht speziell die Jugend an und gibt sich gewohnt rebellisch. Die Schreiber beschäftigten sich in den bisherigen Ausgaben ausführlich mit dem »Problem« einer multikulturellen Gesellschaft. Die Strategie, damit an Jugendliche zu gehen, ist leider nicht ungeschickt. In der Zeit der Adoleszenz stellen Jugendliche die bisher erfahrenen Werte oft auf den Prüfstand und probieren neue Wege aus. Rebellion gegen das »System« ist dann eine verlockende Möglichkeit – nur ist die Kritik am »System« von der extremen Rechten absolut nichts Fortschrittliches: Sie ist menschenverachtend, ausgrenzend, nationalistisch. Die »Bock«-Schreiber bezeichnen sich selber als Nationalisten und verweisen auf das Deutsche Rechtsbüro (DRB) und auf »Besseres Hannover«. „Das Deutsche Rechtsbüro ist eine Selbsthilfegruppe zur Wahrung der Rechte, insbesondere der Grundrechte, 'politisch unkorrekter' Deutscher" - so stellt sich das DRB auf seiner Internetseite vor. Es bietet Listen mit Anwälten an, die Klienten aus der extremen Rechten wohlgesonnen gegenüberstehen. Auch führt das DRB juristische Schulungen durch, Aktivisten treten als Referenten auf Treffen und Seminaren der extremen Rechten auf.
»Besseres Hannover« ist eine Gruppierung von sogenannten »Freien Kräften« und pflegt enge Kontakte zu den Kameradschaften im Raum Hildesheim, Celle, Schneverdingen und auch dem Weserbergland. Der ehemalige Hannoveraner NPD-Funktionär Marc-Oliver Matuszewski gilt als ihr Anführer. Gegen ihn wird als Drahtzieher von E-Mail und Link zum Video mit „rechtsmotiviertem Inhalt“ an die niedersächsischen Sozialministerin Aygül Özkan (CDU) ermittelt, zeitgleich fand bei ihm eine Hausdurchsuchung statt. Anlass der Ermittlung ist, dass am 15. Dezember letzten Jahres der Sozialministerin ein Video der Neonazi-Gruppierung »Besseres Hannover« zugesandt wurde – mit einem braunen Bären und der Aufschrift »Der AbschieBär« als Eyecatcher. Hüpfend und tanzend stampft darin ein Neonazi im Bärenkostüm durch Hannover, hebt vor einem Dönerladen-Besitzer den Arm zum Hitlergruß oder winkt Flugzeugen in Richtung Istanbul symbolisch hinterher. Im Begleittext zum Video heißt es unter anderem: „Wir kündigen hiermit an, dass wir für die Durchsetzung unserer politischen Ziele und zur Bewahrung unserer Kultur im nächsten Jahr eine neue Waffe einsetzen werden.“
In der aktuellen Ausgabe des »Bock« beklagen sich die Neonazis, dass sie in der Schule „mindesten fünfmal bis zum Abitur“ mit dem deutschen Faschismus im Dritten Reich konfrontiert würden. Die »Bock«-Macher proklamieren eine neue Form des Nationalismus. „Für uns ist Hitler am 30. April 1945 gestorben. Also nervt uns nicht immer mit dem immergleichen Sermon.“ Und weiter: „Wir sind die deutsche Jugend, die Kommenden. … die Neue Nation ist unser Ziel.“ (»Bock«, Nr. 4, S. 13).
Eine ganze Seite im aktuellen Heft ist Rudi Dutschke gewidmet, der dort als „Nationalrevolutionär“ betitelt wird. Eines der vorgestellten Dutschke-Zitate lautet „Ich halte das bestehende parlamentarische System für unbrauchbar. Das heißt, wir haben in unserem Parlament, keine Repräsentanten, die die Interessen unserer Bevölkerung – die wirklichen Interessen unserer Bevölkerung – ausdrücken.“
Wie gesagt, es geht im »Bock« um Systemkritik, aber die Systemkritik der 1966 gegründeten »Außerparlamentarischer Opposition« (APO), der Dutschke angehörte, richtete sich gegen Rechts. Ihrer Ansicht nach war das gesellschaftspolitische System der Bundesrepublik und seine Einrichtungen durchsetzt von ehemaligen Nazi- Funktionären. Die sollten durch Leute auf einem »langen Marsch durch die Institutionen« ersetzt werden, um eine grundsätzliche Reform und eine Veränderung des gesamten gesellschaftlichen Klimas zu bewirken. Dem »Establishment«, den Autoritäten in Schule, Universität oder Elternhaus wurde der Kampf angesagt. „Unter den Talaren Muff von 1000 Jahren“ – die Studentenparole brachte es auf den Punkt: Endlich sollte die braune Vergangenheit vieler Professoren an bundesdeutschen Universitäten aufgearbeitet werden. Nach über einem Jahrzehnt wurde die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit lautstark eingefordert.
Auch wenn die »Bock«-Macher behaupten, für sie wäre Hitler gestorben, so bewegen sie sich doch in einem Umfeld, das sich positiv auf den Nationalsozialismus bezieht. Z.B. sind die »Freien Kräfte Celle« und »Besseres Hannover« immer wieder aktiv, wenn es um die Umdeutung der deutschen Geschichte geht. So sind sie jedesmal in Bad Nenndorf und Dresden anzutreffen und machen auf ihren Internetseiten Werbung für diese Naziaufmärsche. Dutschke ging es nicht um Umdeutung der deutschen Geschichte, sondern um deren Aufarbeitung und darum, die Täter von damals zur Verantwortung zu ziehen.
Neben dem Annektieren von »Idolen« der Linken wird auch versucht, Themen der Linken zu den eigenen zu machen. Deutsch-Nationale sollen regional einkaufen und essen. Das wollen Andere auch, doch die Nazis sehen „Regionalismus als Gegenbewegung zur völkervernichtenden Globalisierung“, wobei sie den „EU-gebeutelten Bauern“ von nebenan im Auge haben und nicht die Länder, deren Agrarwirtschaft und deren Autonomie platt gemacht werden für den Reichtum der wesentlichen Industrienationen.
Zusätzlich gibt der »Bock« Tipps, wie sich Jugendliche im Alltag in Sinne der »Bock«-Macher verhalten können: Unauffällig gekleidet, also nicht sofort als Nazi erkennbar, sollen sie immer Aufkleber parat haben, die sie überall verkleben können, auf politischen Plakaten (selbstverständlich von Andersdenkenden) sowie in der Schule. Für den Erwerb von Aufklebern wird auf die Nazigruppierung »Besseres Hannover« hingewiesen.
Ein weiterer Vorschlag ist, „in der Zeitungsabteilung im Supermarkt Kiffermagazine, Schwulenzeitungen und allgemein linke Blätter so umzusortieren, dass man sie nicht mehr sieht und sie nicht mehr gekauft werden.“ Dafür soll man an Kiosken nach „nationalen Blättern“ fragen, damit sie dann wenigsten für einige Zeit im Programm sind. Da wird gleich neben der praktischen Handlungsanweisung wenig subtil rübergebracht, wer außer Linken noch zum Feindbild gehört.
Also: Augen auf bei scheinbarer »Systemkritik«. Geht den Nazis nicht auf den Leim!!
Wünschenswert wäre, wenn an den Schulen aufmerksam geschaut würde, was vor den Türen so verteilt wird, und wenn Schüler_innen und Lehrer_innen sich bereits im Vorfeld überlegten, was sie tun, wenn der »Bock« an ihrer Schule verteilt wird. Es könnten ja durchaus schon „braune“ Mülltonnen bereit stehen und Infozettel fertig sein, die dann an die Mitschüler_ innen verteilt werden, damit sie wissen, was für ein Müll da in die Tonnen wandert.