Wohin geht die Reise? Konzern oder Gemeinwesen

„Alles Luschen?“ fragte unser Titelgestalter ursprünglich mit unten stehendem „Titel“-Foto nicht ohne Grund zur Wahl des/der Oberbürgermeisters/in. Jetzt ist diese Frage fast belanglos. Denn nachdem wir (siehe S. 3) aufgedeckt haben, dass der CDU-Kandidat Dr. Jörg Nigge weite Teile seines Programms abgeschrieben hat, ist er im bürgerlichen Verständnis als Kandidat für dieses Amt untragbar geworden.
Dabei war die CDU so stolz auf ihren jungen Streber. Wer sich in der Kommunalpolitik auskennt, merkte schon ohne den Copy&Paste-Skandal: Er ist ein Scheinriese. Viele öffentliche Äußerungen von ihm machten deutlich, dass da wenig ist außer heißer Luft.

Unter normalen Umständen wäre es für Mende trotzdem nicht leicht geworden, seinen Sessel zu behaupten. Seine Wahl vor fünf Jahren hatte mit der nach Biermanns unrühmlichem Abgang desaströsen CDU zu tun. Dazu kamen antifeministische Ressentiments aus der Wählerschaft gegen dir CDU-Kandidatin Susanne Schmidt. Mende hatte es im Wahlkampf verstanden, über ein ungekünsteltes Zugehen auf Menschen Sympathien zu gewinnen. So bestand die Hoffnung, dass die Arroganz, die das Rathaus unter Biermann und von Witten über Jahrzehnte ausgestrahlt hatte, sich verflüchtigen könnte. Und ein bisschen was davon hat sich auch umgesetzt.

Seine realpolitische Bilanz dagegen ist sehr durchwachsen. Es ist vor allem sein Verständnis von der Stadt als Konzern, das problematische Entscheidungen hervorbringt. Erinnert sei an seine Geheimverhandlungen mit dem Gelsenwasser-Konzern über Privatisierungsmöglichkeiten bei der Abwasserwirtschaft. Es brauchte eine kleine Bürger*innen-Bewegung um dieses Projekt (vorerst) in der Ablage verschwinden zu lassen. Ausfluss dieses Denkens ist jetzt aber die Ausgliederung von Teilen der Verwaltung in Eigenbetriebe, mit dem unverbrämten Zweck den Haushalt zu sanieren – zu Lasten der Gebührenzahler*innen.

Selbstverständlich hält er an allen bekloppten Beschlüssen des Rates fest (z.B. gegenläufige Befahrbarkeit des Nordwalls) und zeigt auch mal eine äußerst unangenehme autoritäre Seite (z.B. juristischer Streit mit dem Rat über Dezernatsverteilung).

Aber es gibt einiges, dass ihm positiv zuzurechnen ist. Man vergleiche nur sein Reden und Handeln in Sachen Migration mit dem von Landrat Wiswe. Als vor vier Jahren Ressentiments gegen Sinti und Roma sich gesellschaftlich Raum eroberten, hat er auf der Maikundgebung des DGB klar Position gegen diesen sozial-chauvistischen Rassismus bezogen. Er hat sich an einer Aktion gegen eine NPD-Kundgebung beteiligt. Er hat sich gegen Wiswe für die Abschaffung der Gutscheinregelung für Asylbewerber*innen stark gemacht.

Die Verwaltung hat früh auf die steigenden Flüchtlingszahlen reagiert und mit der Vortragsreihe in der Exerzierhalle einen vernunftgesteuerten Dialog initiiert. Und Mende setzt auf das Prinzip der dezentralen Unterbringung (was angesichts der leerstehenden Bundeswehrimmobilien aber auch eine win-win-Situation ergab). Aber ehe uns unsere Leser*innen daran erinnern müssen: Einmal hat er sich auch auf die Seite der de Maizieres und Wiswes geschlagen, als ihn die CZ mit der Aussage zitierte, die Abschiebung ausreisepflichtiger Flüchtlinge würde durch Atteste von „Privatärzten“ erschwert.

Die Initiativen der Stadt in Sachen Klimaschutz sind überschaubar. Aber in wirklich unverkennbarem Unterschied zur Landkreisverwaltung ist man im Rathaus dem Thema gegenüber aufgeschlossen. Auch wenn steuerliche Gesichtspunkte eine große Rolle spielten, können Rat und Verwaltung für sich verbuchen, die Stadtwerke mit dem Verkauf von Strom und Gas wieder zu einem lokalen Akteur auf dem Energiemarkt gemacht zu haben (gegen den Widerstand Wiswes).

Und vielleicht noch ein letztes: Zu Biermanns Feindbild gehörte eindeutig das Bunte Haus. Unter Mendes Ägide ist Normalität eingekehrt. Das Bunte Haus wird als Träger von Jugend- und Kulturarbeit gesehen und auch so behandelt. Als vor einigen Jahren Renovierungsarbeiten fällig waren, deren Unterlassung den weiteren Betrieb gefährdet hätten, hat die Verwaltung nicht lange gefackelt, sondern ihren Job gemacht und die erforderliche Arbeiten in Auftrag gegeben.

Bei einer Wiederwahl wird entscheidend sein, in welche Richtung er die Stadt bewegen will: Konzern oder Gemeinwesen. Auf den Prüfstand wird sein Handeln  aber nicht noch einmal kommen. Die Amtszeit von Oberbürgermeistern ist zwar auf fünf Jahre begrenzt worden. Aber da Mende sich vor Ablauf seiner eigentlich Amtszeit wieder zur Wahl stellt, gilt in Fällen wie seinem eine Sonderregelung: Er kann bis ins Jahr 2026 weitermachen. Dann wäre er 69 Jahre alt. Denkbar also, dass er vorher den Chefsessel räumt – oder schon am 11. September räumen muss. Wir werden sehen.

Warum wir nichts zu Alexandra Martin, der Kandidatin der Wählergemeinschaft, schreiben? Es handelt sich um eine rein instrumentelle „Schein“-Kandidatur – mit ihrer Aufstellung bezweckt die WG einzig, im Wahlkampf nicht gänzlich unterzugehen. Aber wer allen Ernstes ein „Allwettereinkaufserlebnis durch Überdachung der Rabengasse/Piltzergasse/Prinzengasse“ fordert, hat den Schuss nicht gehört. Die „Vision“ hatte Old Biermann schon mal und die Feuerwehr hat ihm schnell klar gemacht, dass wenn eins in der Altstadt nicht geht, dann „Überdachen“. Im Übrigen: Wir haben Regenschirme.