„Ja wo laufen sie denn?“

„Es ist gut leben im Celler Land. Welt und Umwelt sind hier in Ordnung.“ Mit diesem Slogan warb die Celler CDU in den 1970er Jahren für sich und die Stadt. Hierin spiegelte sich ein grundkonservatives Lebensgefühl. Doch es hat seit langem Risse. RWLE Möller hat dies mit seinem Ölbild „Celler Welt“ (aus dem Jahr 1981) thematisiert. Er persifliert eine der ersten bildlichen Darstellung Celles aus dem Jahr 1606: „Christus mit Weltkugel“. Beim "Salvator" ist in der Weltkugel ein Teil des Celler Schlosses zu sehen. Möller ersetzt ihn durch den langjährigen CDU-Oberbürgermeister Helmuth Hörstmann, und in der Weltkugel: das Karstadt-Gebäude – nicht nur ein Sündenfall der Altstadtgeschichte, sondern auch ein Verweis darauf, dass der Konsum regiert.

Die CDU ist nach der Abspaltung der „Unabhängigen“ in den vergangenen fünf Jahren erstaunlicherweise nicht homogener geworden und hat die sich bietenden Modernisierungschancen kaum genutzt. Am deutlichsten wurde dies vielleicht in der Diskussion um die Straßennamensumbenennungen, wo es Teilen der Fraktion erlaubt blieb, gegen jede Vernunft die Legende von der sauberen Wehrmacht nachzubeten.

Die SPD-Ratsfraktion hat sich in der ablaufenden Ratsperiode vor allem darin gefallen, alles was von „ihrem“ OB kam, bedingungslos zu verteidigen – wobei es für sie nicht einmal bei der Frage „Privatisierung der Abwasserwirtschaft“ ein Stoppschild gab. So ist auch ihr Kommunalwahlprogramm unter dem Motto "Zukunft für Celle", neben Lobpreisungen des großartigsten Oberbürgermeisters aller Zeiten, ziemlich substanzlos. Neue Initiativen lassen sich an einer Hand abzählen. Vieles bleibt allgemein oder geradezu kryptisch.

In Bezug auf Wohnungen für Flüchtlinge heißt es z.B.: „Es müssen auch unkonventionelle Lösungen für eine mittelfristige Unterbringung in Wohnquartieren im Rahmen einer abgewogenen Integration gefunden werden.“ Was soll das sein: unkonventionelle Lösungen für eine mittelfristige Unterbringung? Und in welcher Maßeinheit wiegt man Integration ab?

Zum Thema Re-Integration in den Arbeitsmarkt findet sich folgende Formulierung: „Wir wollen Bürgerarbeitsprojekte einführen, in denen Langzeitarbeitslose in den normalen Arbeitsprozess für kommunale Arbeit und Dienstleistungen eingebunden werden.“ Was soll das sein: Bürgerarbeit? Es gibt unterschiedlichste Konzepte - wobei es in der Regel aber ja nichts anders ist als der Ein-Euro-Job.

Im Rahmen der Haushaltskonsolidierung hat die SPD bisher grundsätzlich die Linie der Verwaltungsspitze unterstützt, wonach z.B. etliche kostenträchtigen Bereiche auf die Sportvereine abgewälzt werden sollen. Da wirkt dann dieses Versprechen ziemlich hohl: „Gerade der Sport ist von unschätzbarer Bedeutung für Integration und Teilhabe. Die Sportvereine können sich deshalb auf unsere Unterstützung verlassen.“

Absolut kurios ist die Passage zum Klimawandel. „Das Landschaftsbild und der Charakter Celles als Stadt mit einer vielfältigen Flora und Fauna sollen erhalten bleiben. Wir selbst müssen deshalb auch aktiv unseren Beitrag zur Eindämmung der Folgen des Klimawandels leisten.“ Was könnte der Sinn dieser beiden immerhin durch ein „deshalb“ verbundenen Sätze sein? Es gibt anscheinend kein Verständnis für die Verantwortung früh-industrialisierter Gesellschaften für die Erderwärmung. Das Problem wird dahin verkürzt, dass die Folgen „eingedämmt“ werden sollen. In dem Zusammenhang ist dann folgende Idee konsequent: „Der Effekt des Klimawandels kann durch die Begrünung geeigneter Dächer in der Stadt Celle abgemildert werden.“ Dagegen ist sicher nichts zu sagen, aber es geht nicht wirklich um Klimawandel, sondern bestenfalls um die Verbesserung von Stadtklima.

Opposition – wichtiger denn je

Die Fraktion aus dem Bündnis Soziale Gerechtigkeit (Oliver Müller) und Die Linke (Behiye Uca) hat in den vergangenen fünf Jahren eindrucksvoll gezeigt, wozu eine kritische Opposition taugt. Sie hat die Gespräche der Verwaltungsspitze im Rathaus mit dem Gelsenwasser-Konzern öffentlich gemacht und sich also Input-Geber für die Bürgerbewegung gegen die Privatisierung der Abwasserwirtschaft bewährt. Sie hat immer wieder auf kostenträchtige Fehlplanungen in der Stadtentwicklung hingewiesen. Sie hat auf das rechtswidrige Verhalten der Verwaltung bei unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen hingewiesen und jugendhilfegerechte Lösungen eingefordert. Sie hat in Sachen Klimaschutz viele kleine und größere Initiativen gestartet. Die Fraktion hat sich öffentlich auf die Seite der Trialog-Gegnerinnen gestellt. Sie hat eine Ratsresolution gegen TTIP initiiert und eine für Fracking inhaltlich fundiert kritisiert und abgelehnt. Und und und.

Dass Die Linke und das Bündnis Soziale Gerechtigkeit (BSG) jetzt gegeneinander kandidieren, ist Gründen geschuldet, die im engen „Partei“-Verständnis der Linken liegen. Für die Wähler*innen eröffnet sich so aber ja auch eine zusätzliche Option.

Programmatisch stützt sich Die Linke in Celle auf das landesweite Kommunalwahlprogramm. Celle-bezogene Aspekte gibt es fast keine. Und der Vorschlag, die Stadt möge eine Gesellschaft mit dem Namen „InnoCell 2025“ gründen, um „innovative Modelle einer Stadt der Zukunft im Einklang und in Abstimmung mit den Gemeinden des Kreises“ zu entwickeln, klingt zwar schön – es wird aber nicht erläutert, wie und was da laufen soll.

Die kommunalpolitische Kompetenz liegt in breiterer Weise sicher beim BSG. Das hat zwar nur ein Programm mit zehn Kernpunkten vorgelegt, aber die beziehen sich tatsächlich alle auf Celler Probleme und spezifische Lösungsansätze. Das BSG hat fundierte Zielsetzungen in Sachen Klimaschutz und Mobilität und ist einzige Wählergruppe, die den Skandal thematisiert, dass offiziell jedes vierte Kind in Celle in Armut lebt. Um überhaupt auszuloten, welche Möglichkeiten zur Veränderung dieser Situation es auf kommunaler Ebene gibt, wird ein „Runder Tisch“ vorgeschlagen.

Eine Anmerkung zu der Fraktion Bündnis '90/Die Grünen: Sie hat sich zuletzt wieder ein bisschen aus ihrem realpolitischen Mainstreamkurs gelöst. In der lokalen Flüchtlings- und Klimapolitik, in Sachen TTIP/CETA und Anti-Privatisierung gibt es Übereinstimmungen mit „linke“ Positionen. Und im Kreistag sind die Bündnisgrünen die einzige Opposition gegen die Gutsherrenpolitik von Landrat Wiswe – mit Stärken im Klima- und Naturschutz, aber auch Schwächen in der Sozialpolitik.

„Die Unabhängigen“ haben ein Thema: Die Allerinsel für Schützen und Frei-Parken zu erhalten. Dass sie sich dafür gelegentlich in harscher Weise mit der Obrigkeit anlegen, hat zwar Unterhaltungswert. Aber als Fans der Kriegsverbrecher Rommel und Stülpnagel sind sie selbstverständlich unwählbar.

AfD: Freie Fahrt für freie Bürger

Die AfD hat sich immerhin ein Kommunalwahlprogramm zusammengestrickt, in dem – neben den üblichen ausländer- und islamfeindlichen Ressentiments – vor allem gegen ökologische „Ideologie“ gewettert wird.

Wichtig ist ihnen das Schweineschnitzel: „Maßnahmen, wie der Verzicht auf Schweinefleisch in Kantinen, das Abhängen von Bildern in Ausstellungen und öffentlichen Einrichtungen, Ausschluss muslimischer Mädchen von Sportunterricht und ähnlichen Anliegen, die den fundamentalen Forderungen muslimischer Verbände genügen sollen und zu einem schrittweisen Umbau unserer Gesellschaft führen, lehnen wir kategorisch ab.“

Sozialchauvisnismus darf nicht fehlen: „Nutznießer des hart erarbeiteten Wohlstandes müssen vor allem diejenigen sein, die ihn geschaffen haben.“Konsequenterweise will man deshalb die Kinder gern gut sortiert und abgepackt beschulen: „Schüler und Eltern müssen deshalb künftig wieder das klassische 3-gliedrige Schulsystem vorfinden. [...] Einen flächendeckenden und ideologisch motivierten Ausbau von Gesamtschulen zu Lasten anderer Schularten lehnen wir ab.“

Was der deutsche Mann anscheinend neben Claudia Roth am meisten hasst, ist die Gängelei im Straßenverkehr: „Eine mutwillige Behinderung des Individualverkehrs ist nicht selten ideologisch bedingt und wird von uns nicht mitgetragen. [...] Tempo-30-Zonen in Haupt-Durchgangsstraßen sind weder sinnvoll noch wünschenswert. Die AfD will die unnötigen Radfahrspuren (z.B. Sprengerstraße) auf Celles Straßen wieder beseitigen. [...] Geschwindigkeitskontrollen sind ausschließlich als Ermahnung zu verantwortungsvollem Handeln einzusetzen. Sie sind nicht dazu gedacht, zusätzliche Einnahmen zu generieren. Kontrollen, an nicht sicherheitsrelevanten Straßen werden zu Recht als Schikane empfunden und haben zu unterbleiben.“ Einen Widerspruch zu ihrem Selbstbild sehen sie dabei in folgendem Satz nicht: „Die AfD steht als Rechtsstaatspartei für Recht und Ordnung.“ Dass der Begriff „Rechtsstaat“ eigentlich das Gegenteil der gemeinten „Law & Order“-Politik ist, nämlich auf die Begrenzung staatlicher Eingriffe in die „Freiheits“-Rechte der Bürger*innen zielt, werden AfD-Anhänger*innen nie verstehen.

Noch zwei Sätze zur Partei DIE PARTEI: Normalerweise würden wir eine Kandidatur der Satire-Fraktion immer begrüßen. Leider sind die Kandidaturen von BSG und Die Linke keine Selbstläufer und wenn durch DIE PARTEI hier entscheidende Stimmen fehlen würden, wäre es schade.

Und fast vergessen: FDP und Wählergemeinschaft konkurrieren vor allem um Einzelhändler*innen, Immobilienbesitzer*innen und Gutbetuchte. Naja – auch Boye braucht schließlich eine Repräsentanz im Stadtrat.