Nur ein Drittel zweckgemäß verwendet
Kinder und Jugendliche von Familien mit wenig Geld sollen durch Zuschüsse zu Schulmittagessen, Klassenfahrten sowie Beiträge für Sportvereine oder Musikunterricht, für Schulmaterialien und Nachhilfeunterricht etc. gefördert werden. Das ist die Idee des sogenannten Bildungs- und Teilhabepaketes, für deren Umsetzung der Landkreis Celle zuständig ist. Dort heißt die Devise jedoch, nicht unbürokratisch, sondern möglichst bürokratisch. Die Lernförderung wird restriktiv gehandhabt und die Antragsteller_innen haben einen Antragsmarathon zu bewältigen. Das zentrale Ziel des Bildungs- und Teilhabepaketes, die Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben zu ermöglichen, wird vom Landkreis Celle nur unzureichend realisiert.
Die Devise scheint zu lauten „Daumen drauf und die Mittel aus dem Bildungspaket auf die hohe Kante legen“. So konnte der Landkreis von den Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket, die den benachteiligten Kindern zugute kommen sollten, im Jahr 2011 987.000 Euro auf die hohe Kante legen. Lediglich 507.000 Euro wurde an bedürftige Kinder ausgezahlt. Dies bedeutet, dass lediglich 1/3 dem vorgesehenen Zweck entsprechend verwendet wurden und in einer Größenordnung von rund einer Million Euro benachteiligten Kindern die Förderung vorenthalten wurde. Die Million bleibt in der Kreiskasse, denn das Land fordert nicht ausgegebenes Geld, das für Zahlungen aus dem Bildungspaket vorgesehen war, nicht zurück.
Und es ist nicht zu erkennen, dass der Landkreis daran etwas verändern will. Nein, im Sozialausschuss wurde verkündet, dass man auch in den Jahren 2012 und 2013 so verfahren will. Und er prognostiziert in den Jahren 2012 und 2013 ebenfalls Mittel in Höhe von rund 1.000.000 Euro, die nicht an Leistungsberechtigte des Bildungs- und Teilhabepaketes ausgezahlt werden.
Es wird kein Gedanke daran verschwendet, ob das System für die Betroffenen nicht entbürokratisiert werden sollte, eine personelle Verbesserung innerhalb des Antrags- und Informationsbereichs stattfinden sollte, eben den Berechtigten den Zugang zum Bildungspaket durch Beratung und Information zu erleichtern und sie über die sieben Antragsmöglichkeiten zu informieren.
Im Landkreis Celle ist die Einführung des Bildung- sund Teilhabepaketes eindeutig geflopt. Gebracht hat es viel Bürokratie und Verunsicherung, aber keine echte Verbesserung der Chancen von bedürftigen Kindern und Jugendlichen.
Die Strukturen sind einfach nicht hinnehmbar. Sie reichen von der mangelnden Information der Eltern und Institutionen bis zu aufwendigen stigmatisierenden und schlicht absurden Verfahren. Lernförderung gibt es beispielsweise nur, wenn unmittelbar die Versetzung eines Kindes gefährdet ist, die Eltern ein entsprechendes Gutachten der Schule vorlegen und monatelange Bearbeitungszeiten hinnehmen. So kann man sich als Antragsteller nur als Bittsteller empfinden, und es ist demütigend und entwürdigend, Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket zu realisieren. Statt würdelose Antrags- und Prüfverfahren für individuelle Einzelleistungen durchzuführen, sollten die Leistungen ohne absurde Vorbehalte an die Berechtigten ausgezahlt werden.
Es darf nicht sein, dass Kinder nicht am Bildungssystem teilhaben können, weil ihre Eltern finanziell nicht in der Lage sind, das Potenzial der Kinder zu fördern. Es ist unverzichtbar, dass alle gleiche Bildungs- und Förderungschancen haben. Die Politiker_innen des Kreistages sind gefordert, dass die Mittel des Bildungs- und Teilhabepaketes im Jahre 2012 und 2013 in vollem Umfange direkt den bedürftigen Kinder und Jugendlichen gewährt werden. Sie tragen die Verantwortung dafür, dass sonst weiterhin im Landkreis Celle gesetzlich zustehende Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket vorenthalten werden.
Aber auch grundsätzlich bleibt die Kritik: „Leistungen wie Nachhilfe oder Zuschüsse zur kulturellen und sportlichen Teilhabe wurden von vorneherein falsch angelegt. Entweder sind die Hürden zu hoch oder die Zuschüsse zu gering, als dass die Eltern die Leistungen überhaupt in Anspruch nehmen könnten“, kritisiert der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbands Ulrich Schneider. Er fordert eine grundlegende Reform: „Die Teilhabeleistungen müssen vollkommen neu konzipiert werden, um einfach und unbürokratisch für alle Kinder zugänglich zu sein.“
Bildung und Teilhabe – oder Verteilung nach Gutsherrenart?
Zahnpflege statt Nachhilfe
Mit dem »Bildungs- und Teilhabepaket« will Sozialministerin Ursula von der Leyen „2,5 Millionen bedürftigen Kindern aus Geringverdienerfamilien mehr Zukunftschancen“ bieten: „Ab sofort können sie bei Sport, Musik oder Kultur dabei sein [...] Das Bildungspaket folgt der großen Leitidee: Chancen eröffnen. Darauf haben die Kinder ein Anrecht.“
Doch die Bilanz ist ernüchternd; nach Umfragen des Landkreistages und des Städtetages hatten bis März 2012 Leistungen in % der Berechtigten beantragt:
- Teilnahme an gemeinschaftlicher Mittagsverpflegung: 52 % bei den Kreisen und 42 % bei den kreisfreien Städten,
- Aufwendungen für Schulausflüge und Klassenfahrten: 24 % bei den Kreisen und 27 % bei den Städten,
- Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben: 14 % bei den Kreisen und 21 % bei den kreisfreien Städten,
- Schülerbeförderung und Lernförderung: jeweils 5 % bei den Kreisen und kreisfreien Städten.
Der Landkreis Celle hat – unserer Kenntnis nach – bisher weder gegenüber dem Kreistag, noch gegenüber der Öffentlichkeit seine Bilanz detailliert dargelegt. Dass nur 1/3 der verfügbaren Mittel ausgegeben wurden (siehe S. 3), lässt ähnliche Zahlen befürchten.
Erstaunlich ist dies nicht. Es liegt zum einen am Gesetz, dass zum Beispiel Lernförderung nur bei bescheinigter Versetzungsgefährdung vorsieht. Zum anderen aber gibt es in kaum Anstrengungen, das Paket bekannt zu machen. Wer nach Veröffentlichungen des Landkreises zum Thema sucht, stößt in den letzten 12 Monaten auf zwei Mitteilungen zum Umzug der Antragsstelle – das war’s. - Es gibt anscheinend vom Leistungsträger, dem Landkreis Celle, nicht die geringste Motivation, die Leistungen an die Berechtigten zu bringen.
Und man scheint nicht einmal zu wissen, wie viele Anspruchberechtigte es überhaupt gibt. In der CZ vom 10.03.2011 schätzte der Erste Kreisrat Matthias Krüger die Zahl der Kinder, die von dem Paket profitieren könnten, auf etwa 20.000. Zwei Monate später korrigierte der Leiter des Sozialamtes, Ralf Schumann, in der CZ vom 05.05.2011 die Zahl auf etwa 5.800 Kinder. Einen Monat später waren es in einer Sozialausschuss- Vorlage vom 16.06.2011) auf einmal 6.700 Kindern.
Der Landkreis Celle erhielt für das Jahr 2011 als Pauschalabgeltung für die BuT-Leistungen 1,494 Millonen Euro. Die Summe ergibt sich so: Der Bund hob hierfür seine Beteiligungsquote an den Kosten für Unterkunft und Heizung für die Jahre 2011-2013 um jeweils 5,4 Prozentpunkte an. Im Jahr 2011 gab der Landkreis aber nur 507.000 Euro aus. Eine Rückzahlungspflicht besteht für das Jahr 2011 nicht.
Die »eingesparten« Mittel sollen jetzt für andere Zwecke verwendet werden; und zwar insbesondere für
- Maßnahmen der Schulsozialarbeit, die an den Fähigkeiten und individuellen Bedarfen der Kinder und Jugendlichen anknüpfen sowie Zugänge zu außerschulischen Bildungs- und Teilhabeangeboten ermöglichen;
- Maßnahmen zur Unterstützung sozial benachteiligter junger Menschen bei der Überwindung individueller Hindernisse, die der beruflichen Integration im Wege stehen,
- Maßnahmen zur Verbesserung der Angebotsstruktur, nämlich für Schüler/innen im Bereich Versorgung mit Mittagessen und für Kinder und Jugendliche im Bereich außerschulischer Bildung und Teilhabe.
Mit den Zwecken des eigentlichen BuT-Pakets hat dies nichts zu tun, was noch deutlicher wird beim Blick auf einzelne Maßnahmen. So geht es z.B. um die Finanzierung einer Honorarkraft im Bereich Jugendzahnpflege, eine Theateraufführung zum Thema Kariesprophylaxe oder die Beschaffung von fünf Krippenwagen für das Familienbüro des Landkreises. Der Landkreis steckt also Geld, dass eigentlich Kindern aus einkommensschwachen Familien zugute kommen soll, in Maßnahmen, die damit nichts zu tun haben.
Die Ratsfraktion Die Linke/BSG hat dies im Mai zum Gegenstand einer Anfrage gemacht. Die Stadt Celle sei für die Leistungsbewilligungen zwar nicht zuständig, aber so der Fraktionsvorsitzende Oliver Müller (BSG): „Wir sollten nicht so tun, als ob uns der Erfolg des Bildungs- und Teilhabepakets egal ist. Und als Erfolg können wir nur werten, wenn die Mittel zielgerichtet in Anspruch genommen werden. Das ist scheinbar nicht gelungen.“ Jetzt müsse es darum gehen, Ideen zu entwickeln, wie das Teilhabepaket in der Stadt zu einer besseren Umsetzung kommen kann.