Warum einfach, wenn’s auch kompliziert geht

KulturlogeKeine Frage – mit Hartz IV ist eine gesellschaftliche Teilhabe nicht möglich. Wie das florierende »Tafel«- Unwesen zeigt, reicht’s bei manchen ja nicht mal für die Lebensmittel. Da dies aber vorm Bundesverfassungsgericht höchstrichterliche Gnade fand, dehnt sich bürgerliche Mildtätigkeit jetzt auch auf die Kultur aus. »Kulturlogen « sollen jetzt die neutestamentarische Verkündung alltagstauglich machen, wonach der Mensch nicht vom Brot allein lebe.

 

Worum geht’s?

Nicht verkaufte Restkarten von Theater- und Konzertveranstaltungen sollen an jene „armen Mitbürger“ (CZ) verteilt werden, deren amtlich zugestandenes monatliches Kulturbudget mehr als den Kauf einer Kinokarte nicht zulässt. Die Kartenverteilung soll jetzt in Celle ein Verein organisieren; die Gründung wird betrieben u.a. von der CDU-Ratsfrau Hannelore Fundeus. Gegenüber der CZ stellte sie das Projekt so vor: „Eine Kulturloge ist ein Verein, der sich zur Aufgabe macht, denjenigen Menschen eine Teilhabe am kulturellen Leben zu ermöglichen, die dieses sonst häufig aus finanziellen Gründen nicht können. An die Karten kommt der Verein Kulturloge durch Restkarten, die Kulturveranstalter dem Verein zur Verfügung stellen. Dieser leitet die Karten weiter an Kulturinteressierte, die sich vorab bei dem Verein angemeldet haben.“ Ähnlich strukturiert ist wohl auch eins der ersten Projekte dieser Art in Marburg. Bei all der Bürokratie, die Hartz IV-Empfänger_innen sonst gewohnt sind, hört sich dies fast nach einem einfachen Verfahren an. Aber ist es das? Wie sollen Angebot und Nachfrage zusammen kommen? Das Dilemma der Lebensmittel- »Tafeln« dürfte es auch im Kulturbereich geben: Wer Erdbeermarmelade mag und Pflaumenmus hasst, bekommt trotzdem Pflaumenmus – und wer gern ein Stefan Gwildis-Ticket hätte, wird mit einem Angebot für »Sweety-Glitter« nicht unbedingt glücklich werden. Kurz: Es dürfte einen ziemlichen Aufwand nach sich ziehen, Angebot und Interesse passgerecht zusammenzubringen.

Dabei gibt es ein Verfahren, dass erheblich einfacher funktioniert und erprobt ist.

Das Schlosstheater bietet seit Jahren so genannte »Last-Minute-Karten für Ermäßigungsberechtigte « an: „Ermäßigungsberechtigte Kunden, die 20 Minuten vor Vorstellungsbeginn an der Abendkasse ein Ticket erwerben möchten, können die im Verkauf verbliebenen Tickets, unabhängig von der Preiskategorie, zum Pauschalpreis von EUR 6,00 erwerben.“

Ermäßigungsberechtigte Kund_innen sind: Schüler, Studenten, Azubis (bis zum 30. Lebensjahr), Behinderte mit Ausweis und einem GdB von mehr als 50 v.H. und Empfänger von Sozialleistungen (SGBII, AsylbLG). Diese Personengruppe erhält schon auf die »normalen Karten« einen Rabatt von 50 %; aber bei den »Last-Minute-Karten« wird’s eben noch einmal billiger.

Wo liegt der Vorteil eines solchen Modells?

Zum einen gibt es keinen zeitlichen Vorlauf, zum anderen entfällt das ganze Verfahren, Angebot und Nachfrage in Übereinstimmung zu bringen. »Last-Minute-Angebote« sind – wie der Name schon sagt – anschlussfähig bis zur letzten Minute. Voraus geht dann auch nicht ein (unterstelltes) diffuses Interesse an »Kultur«, sondern der Wunsch, etwas Bestimmtes zu sehen oder zu hören. Gerade bei attraktiven Veranstaltungen im popkulturellen Bereich dürfte es anders auch kaum gehen. Der CDKaserne z.B. dürfte es schwer fallen, Tage vor einem »Event« Karten freizugeben – es sei denn der Vorverkauf lässt eindeutige Prognosen zu. Aber 10 Minuten vor Beginn gäbe es an der Abendkasse eine einfache Möglichkeit, z.B.: Sind noch 20 % der Plätze frei, werden 10 % an ermäßigungsberechtigte Besucher_innen vergeben.

Der einzige Einwand gegen eine solche Regelung wäre, dass die Interessierten sich gelegentlich vergeblich auf den Weg machen werden – das wäre bitter für Menschen, die für den Abend z.B. mit Aufwand eine Kinderbetreuung organisiert haben. Aber da würde vielleicht schon ein Vorab-Anruf beim Veranstalter für eine gewisse Sicherheit sorgen.

Letztlich wäre der Aufwand für die Veranstalter geringer – und vielleicht wäre es sogar sinnvoll, die Karten nicht kostenlos, sondern ermäßigt (z.B. 25 % des Preises an der Abendkasse) abzugeben. Das würde dem Ganzen auch den Almosen-Charakter nehmen.

Ein Problem liegt – wie so häufig in diesem Bereich – darin, dass über die Betroffenen geredet (und bestimmt) wird und nicht mit ihnen über ihre Interessen und Bedürfnisse. Über einen Aufruf zur Vereinsgründung zu einer »Kulturloge« in der CZ wird das kaum gelingen. Andererseits gibt es eben leider auch keine repräsentative Interessensvertretung der Betroffenen.