Eine Faßberger Demontagegeschichte von Klaus Jordan

Auf der zweiten Rundreise des Netzwerk Südheide gegen Rechtsextremismus am 18. September hielt Klaus Jordan in Faßberg diese Rede zu Eugen Sänger, die wir leicht gekürzt haben. (Bei der ersten Rundreise hatte Jordan Hermann Löns demontiert, siehe revista #75.)
Die Gemeinde Faßberg stellt sich im Internet vor mit den Schlagworten: Militärluftfahrt, Weltraum und Heide. Hingewiesen wird darauf, dass in den 1930er Jahren in Faßberg-Trauen das Zentrum der deutschen Raketen- und Strahltriebswerkentwicklung unter der Leitung von Prof. Eugen Sänger entstanden sei: „Mit seinen Arbeiten legte der Wissenschaftler und Visionär einen wesent-lichen Grundstein für die Reise zum Mond.“
Unter der Überschrift "Ausbau des Rüstungsstandorts Trauen / War-Tech in der Heide" hatten wir in der # 62 vom Nov./Dez.2012 schon mal auf die NS-Vergangen-heit und die Ägypten-Connection Sängers verwiesen.


Wenn’s schon nicht mehr mit so einem alten nationalistischen Schwadronierer wie Löns klappt, dann muss wenigstens eine Wissenschaftsgröße wie Eugen Sänger aufs Podest gehoben werden. – Der war zwar Österreicher, aber das hat ja – wie man weiß – noch nie ein Hindernis dargestellt.

Technik läuft immer. Die Faßberger Marketingleute werben mit der Trauener Raketenversuchsstation und seinem damaligen Leiter Eugen Sänger. Raketenwissenschaft wird zum Alleinstellungsmerkmal. Doch die Sache mit den unsterblichen Wissenschaftshelden hat so seine Tücken. (Foto links: National Air and Space Museum, Smithsonian Institution)

Mir kommt es darauf an, am Beispiel Sängers klarzumachen, dass hinter dem dürren Gestrüpp der „Beweihräucherung“ eines angeblich begnadeten Wissenschaftlers und Pioniers mehr steckt als das, was auf den Marketing Roll-Ups so bildmächtig aufbereitet wird.

Nicht nur, dass seine Tätigkeit in Trauen während der NS-Zeit dazu dienen sollte, eine neue Wunderwaffe zu entwickeln, mit der man Städte an der Ostküste der USA bombardieren wollte; auch nach dem Krieg war Sängers Beteiligung an der Entwicklung von Raketen für das ägyptische Militär, so kurz nach Gründung des Staates Israel sicherlich mehr als nur ein Faux Pas eines weltfremden Forschers. - Aber so wird uns das heutzutage gern verkauft.
Wer sich nicht die Mühe macht oder machen kann, diese Bilder zu hinterfragen, glaubt ans traute Vermächtnis, nach dem Motto: Wer nichts weiß, muss alles glauben!
Als begnadeter Wissenschaftler, der Sänger nun mal war, kann man ja nicht an alles denken. Und schließlich waren seine Visionen und Forschungen auf den Gebieten der bemannten Raumfahrt von unschätzbarem Wert, das andere fällt dann nicht so ins Gewicht.

Sein damaliger Konkurrent Werner von Braun war ja ein ähnliches Kaliber; wusste von nichts, war auch nur zufällig in die SS geraten und ja, von Mittelbau Dorau hatte er schon mal was gehört, nichts Konkretes natürlich.
Man nehme also viele Nebelkerzen, verdränge Unangenehmes in Biographien und setze unverdrossen auf Mainstream und bürgernahe Militarisierung.
Da ist die passend zurechtgestutzte Form von Öffentlichkeit gerade recht und der Segen von oben wird gleich mit abgeholt. Das ist wie am Beispiel der Faßberger Ausstellung zu sehen, bis heute allgemeingültiger Missbrauch – eine Gegenöffentlichkeit findet im überschaubaren Rahmen statt.

Es geht wie bei Hermann Löns um Helden und die Legenden, die um sie gestrickt werden. Diese sind so mächtig, dass es sehr schwer wird, ein „gerechteres“ Bild zu entwerfen. Da stehen auch zu viele Interessen entgegen. Auch heutige Wissenschaftler müssen sich fragen lassen, wie sie es mit ihrer gesellschaftlichen Verantwortung halten, ob bei der Rheinmetall oder der DLR. Und auch hinter Löns steht mindestens eine vermarktungsbereite Touri-Industrie […] Irgendwer hat immer ein Interesse, irgendwas oder irgendwen heraus zu stellen.

Unser Interesse besteht darin, neben der Sichtbarmachung aktueller Erscheinungen auch gegen ein Vergessen anzukämpfen, dass ihre Mitverantwortung am sgn. 3. Reich ignoriert oder leugnet, das Nichts-Tun damals wie heute anzuprangern und falsche Helden zu entlarven.

Konkret: Ohne die tätige Mithilfe großer Teile der Bevölkerung hätte sich ein Regime wie das der Nazis nicht halten und bis hin zum Weltkrieg entwickeln können – und das alles innerhalb kürzester Zeit. [...] Jeder, der in diesem „Spiel“ mitwirkte, trug einen Teil der Verantwortung fürs große Funktionieren. Spätestens nach der Befreiung wäre Zeit gewesen, dieses Funktionieren zu bedauern, zu verwerfen oder wenigsten zu thematisieren.

Eugen Sänger aber interessierte nur seine Karriere, die umfassende Darlegung seiner (raumfahrttechnischen) Utopien und sein wissenschaftliches Vorankommen in einem geschlossenen Kosmos angeblich wertfreier Wissenschaften. Dazu nutzte er seine Seilschaften, Netzwerke, Kumpaneien und Männerbünde. Und dieser Mann ist derartig geschichtsresistent, dass es einen graust:

Eine auch nur annähernde Beschäftigung mit den NS-Verbrechen findet nicht statt. Holocaust, Kriegsverbrechen, Staatsterror – Fehlanzeige, stattdessen ein verquastes soziotechnologisches Weltbild,
in dem ununterbrochen neue Ideen und Erfindungen, neue philosophische und politische Systeme um ihre Durchsetzung ringen,
wo das Werden und Wachsen den großen Gesetzen der Auslese und Ausmerze unterliegen und
im Kampf ums Dasein letztlich die übermenschliche Macht der „Lehren des Genies“ siegen.

Raumfahrt wird als Ideal für jene Energien beschworen, die Mut, Tapferkeit, Intelligenz, Entschlusskraft, Abenteuerlust und Wissen hervorbringen.

Die Sternenferne ist Sängers geistiger Fluchtpunkt. Alles menschliche Tun wird diesem untergeordnet, aber die Kraftanstrengung hin zu einem kosmischen Zeitalter der Menschheit kann trotz Genievorgabe nur über den Umweg der Waffenanwendung möglich werden, da die geistige Trägheit der Menschheit sonst im Wege stehen würde, sprich der Gesellschaft der finanziellen Großaufwand nicht klar zu machen ist.

Denn für Sänger unterliegt Wissensdurst und Schöpferkraft als Grundlage einer Machtfülle zur Unterwerfung der Erde und als elementare Grundeigenschaften des Menschen nicht dem freien Willen. Zum Himmelsstreben gehören die – genialen Menschen! Die Übermenschen! Die Himmelssehnsucht nach den Brüdern über dem Sternenzelt! Und das alles auch noch geadelt als Erfüllung eines Gottesauftrags.

Dem Militärischen kommt dabei eine zentrale Rolle zu: als Katalysator, Machtgarant und Durchsetzungsfaktor – ein williger Diener in seinen Augen.

Ich begnüge mich mit ein paar „Ideen“ aus seinen Büchern:

1962 stellt er fest, dass Europa in dem letzten halben Jahrhundert unendlich viel von seiner einstigen Weltbedeutung verloren hat und fragt – oh welch Anliegen –, ob vielleicht der Geist der Verneinung schuld daran gewesen sei (Verneinung des technischen Fortschritts); hatte doch eine kleine Gruppe begeisterter Menschen im dritten und vierten Jahrzehnt hauptsächlich im deutschen Sprachgebiet mit den praktischen Vorarbeiten des Übergangs der Luftfahrt zur Raumfahrt begonnen. … Als politische Ereignisse dieses hoffnungsvolle Beginnen im Jahr 1945 unterbrachen, genügte aber die Einsicht weitblickender und sachkundiger Männer, die Arbeit unverzüglich fortzusetzen. [...]

Das Militär wandelt sich durch die Raumfahrtindustrie und der damit verbundenen technologischen Blockierung des Krieges von der atavistischen und überlebten Tätigkeit des Krieges zur zivilisatorischen und kulturellen Großtat, meint Sänger. Vergisst aber nicht den Hinweis, dass, wer die Verfügungsgewalt über diese Raumwaffen besitzt, die Chance hat, Weltpolizei zu spielen – während gleichzeitig die technischen Möglichkeiten der Kriegsführung sich aufheben und verschwinden. Militär wird zum Exponenten des Willens der Menschheit – damit liegt er gut im Zeitgeist der 50er Jahre.

Wer sich also in das (immer noch nicht umfassend aufgearbeitete) Labyrinth von Aussagen und Informationshäppchen zum Thema begeben möchte, soll sich auf manch unappetitliche Wahrheit einstellen, historisch Verdrehtes akzeptieren und – ähnlich wie bei Löns – einem schwülstigen Bild von Übermenschen nicht abgeneigt sein.

Doch kein Bild von Sänger ohne seinen praktischen Werdegang – hier eine offizielle Verlautbarung in einer Broschüre des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt e.V.:

1936 wurde Sänger Wissenschaftlicher Mitarbeiter der „Deutschen Versuchsanstalt für Luftfahrt“ (DVL) in Berlin-Adlershof. Noch im gleichen Jahr wechselte Sänger zur „Deutschen Forschungsanstalt für Luftfahrt“ (DFL) und baute bis 1939 die „Flugzeug-Prüfstelle“ in Trauen in der Lüneburger Heide auf. 1942 wurde er jedoch entlassen und war bis Kriegsende Abteilungsleiter bei der Deutschen Forschungsanstalt für Segelflug in Ainring.
Nach dem Zweiten Weltkrieg arbeitete Sänger in Frankreich an der Entwicklung von Raketentriebwerksprüfständen sowie an Grundlagenforschungen zu Raketen- und Staustrahlantrieben. 1954 kehrte er nach Deutschland zurück und gründete in Stuttgart das „Forschungsinstitut für Physik der Strahlantriebe“ (FPS). [...] 1961 gab er die Leitung des Instituts allerdings auf, nachdem seine Beteiligung am ägyptischen Raketenprogramm bekannt geworden war. 1963 übernahm er den ersten deutschen Lehrstuhl für Raumfahrttechnik der Technischen Hochschule Berlin. […] 1964 starb er in Berlin an Herzversagen.

Ein paar „unerhebliche“ Ergänzungen:

1932 Mitglied der NSDAP und Eintritt in die SS (Mitgliedsnr. 1.303.775) – vorausschauend oder gar mutig?
1933 zeitweiliges Verbot der NSDAP (in Österreich) - im Juliputsch 1934 faktisch rehabilitiert
1936 Schnelleinbürgerung (weil nur Deutsche Geheimnisträger sein konnten) und Aufbau Trauens durch Unterstützung von Luftwaffe und Hermann Göring (als Konkurrenzmodell für die vom Heer unterstützte Raketenforschung des Werner von Braun)
1939 scheitert sein Aufnahmeantrag für die deutsche NSDAP, weil er angeblich zu passiv und unpolitisch während der illegalen Zeit in Österreich gewesen sei
1942 versetzt, da seine Raketenforschung (Amerikabomberprojekt - Silbervogel) den Nazis nicht schnell genug war, übrig blieb ein sehr gefragter Wissenschaftsbericht, der sogar Stalin zu einigen erfolglosen Rekrutierungsversuchen anregte.
Wechsel zur deutschen Versuchsanstalt für Segelflug in Ainring, Tarnname – Entwicklung von Staustrahltriebwerken (Ramjet, Sk. P14) – prädestinierte ihn 1945 zum übergangslosen Wechsel nach Frankreich zur dortigen Luftfahrtindustrie

Eine „ganz normale“ Karriere möchte man meinen. Doch es gibt in seinem Lebenslauf zwei Elemente, die hellhörig machen:

Neben seiner frühen NSDAP Mitgliedschaft sind dies seine Netzwerkverknüpfungen und der „Ägyptendeal“:

Sein ihm zuarbeitender Vorstand in Stuttgart ab 1958 war Armin Dadieu – Chemiker und Physiker aus Graz, Freund von Hermann Göring und aktiver illegaler österreichischer Obernazi, Landesstatthalter nach dem Anschluss,

Gauhauptmann der Steiermark und ranghöchster SS-Offizier der Steiermark (SS-Oberführer) – ein hochkarätiger gesuchter Altnazi, eingesperrt und 1948 über die Vatikanconnection nach Argentinien geflohen, war und dort als Leiter div. Forschungs- und Entwicklungsdepartements zum Thema Raketentreibstoffe seine Karriere fortsetzte. Nach seiner Begnadigung 1958 wurde er in Stuttgart an Sängers Institut für Physik und Strahlenantriebe tätig, wurde 1962 Leiter des Instituts für Raketentreibstoffe, um dann 1970 nach Lampoldshausen (Raketenforschungsanlage mit Prüfstand) zu wechseln.

1960 ließ Eugen Sänger sich und elf seiner Leute in Nassers Ägypten anstellen; inklusive seiner wiss. Mitarbeiter Prof. Paul Goercke und Dipl. Ing. Wolfgang Pilz, sowie seinem Geschäftsführer Heinz Krug. Ziel: Aufbau (vor Ort) und Beratung eines ägyptischen Raketenzentrums zur Entwicklung von Höhenforschungsraketen.

Aufgrund massiver israelischer Intervention wurden alle 1961/62 aus dem Institut für Strahlenantriebe entlassen. Sänger bekam kalte Füße und stieg aus (nahm 200.000 DM mit – der Mossad hatte begonnen, die missliebigen Wissenschaftler auszuschalten). – Seinem Rauswurf aus seinem „eigenen“ Institut kam er durch Kündigung voraus. Seine „Sänger Knaben“ aber machten weiter (Leitung Wolfgang Pilz) und entwickelten zwei Raketentyp, die bis Israel reichten. Forscher schätzen, dass bis damals ungefähr 600 Offiziere der Wehrmacht und SS in Ägypten tätig waren.

Der »Spiegel« recherchierte damals:

„Die führenden Köpfe beziehen Monatsgehälter von über 7000 Schweizer Franken. Die Hälfte der Gagen wird in Ägypten in Landeswährung ausgezahlt; der Rest fließt in Franken auf eidgenössische Bankkonten. Ein jährlicher Urlaub von zwei Monaten ist in den Verträgen ebenso vereinbart wie der freie Transport von Familie, Mobiliar und Auto nach Ägypten.“ Zum Arzt des Vertrauens der deutschen Fremdarbeiter wurde Dr. Hanns Eisele, „nach Kriegsende als KZ-Arzt von Dachau und Buchenwald von alliierten-Militärgerichten zweimal zum Tode verurteilt. Er wurde später zu lebenslänglicher Haft begnadigt und schließlich, nach sieben Jahren, 1952, entlassen. […] Seine Praxis ist nach dem Einzug der deutschen Waffenschmiede aufgeblüht.“ (Spiegel 19/63)

In dieses Umfeld siedelte sich Eugen Sänger mit seinen Leuten. Unkenntnis? – Dummheit? – Opportunismus?

Kleines Fazit:

Seine NS-Mitgliedschaft, seine Tätigkeit im Ägypten der Israelbedrohung und seine obskure „Weltanschauung“ (eine auf Technik gewendete nationalsozialistische Ständegesellschaft, siehe Spiegel 38/1963) machen ihn eigentlich als „Vorzeigewissenschaftler“ untauglich.

Die historische Verharmlosung der Verquickung von militärischer und ziviler Nutzung ist fragwürdig, genauso wie die angebliche Wertfreiheit von Wissenschaft ohne deren Einbindung in gesellschaftliche Machtverhältnisse.
Sänger war mindestens ein gnadenloser Opportunist, wenn nicht mehr! Nur seinen Verdienst herauszustellen, ohne seine Verantwortung oder besser Verantwortungslosigkeit zu benennen, ist eine historische Verfälschung. Damit Reklame zu machen mehr als fragwürdig.

Genau wie bei seinem SS-Kollegen Werner von Braun ist das einzig „Bewundernswerte“ ihre Resistenz gegen jede noch so kleine Regung gegenüber den Nazi-Verbrechen.

Das passt zum „Vertuschen und Verharmlosen.“ Verhindert Nachdenken und klare Aussagen und hilft bis in heutige Zeiten den Verantwortlichen in Rüstung und Politik, in aller Ruhe ihren teils fragwürdigen Geschäften nachzugehen.
Es lebe der deutsche Gartenzwerg und seine gnadenlosen Heldengeschichten.