Demo EschedeWas geht ab in Eschede

Spontankundgebung gegen JN-Treffen

Nachdem Karfreitag bereits eine Spontankundgebung gegen ein Nazitreffen auf Hof Nahtz stattfand, konnte (sh. revista 60) dieses Aktionsmodell ein wenig weiter erprobt werden: Am 16.06.2012 fand auf Hof Nahtz ein JN-Landestreffen statt. Spontan trafen sich Aktive aus den verschiedenen Gruppen und Initiativen des „Netzwerk Südheide gegen Rechtsextremismus“ und weitere Verbündete, um deutlich zu machen, dass sie alle wollen, dass diese ständigen Nazitreffen ein Ende haben müssen! Während der Kundgebung fanden nur etwa ein Dutzend Fahrzeuge – besetzt mit ein bis drei Personen – den Weg zu dem maroden Hof von Joachim Nahtz.

Einige Demonstrant_innen beobachteten, dass Fahrzeuge auch wieder abdrehten. Laut JN waren neben ihren eigenen Mitgliedern auch Die Düütschen Deerns und Organisatoren des Naziaufmarschs in Bad Nenndorf am 04.08.2012 mit Ständen vertreten. Auch die notorische Holocaustleugnerin Ursula Haverbeck war auf Hof Nahtz. Sie hatte 2010 in Bad Nenndorf noch Redeverbot, dieses Jahr war sie dort auch wieder und durfte reden. Allerdings ging das im Lärm der Protestierenden unter und die Nazi-Technik versagte auch … Weitere Infos zum JN-Treffen in Eschede

182 Opfer rechter Gewalt

Bündnisdemo „Gemeinsam gegen die Nazitreffen“

Am 26. Juni fand zum wiederholten Male eine Sonnwendfeier auf Hof Nahtz statt mit über 200 Neonazis aus dem Norddeutschen Raum. Dass diese Treffen keine harmlosen Brauchtumsfeiern sind, wurde bereits wiederholt dargestellt. Auch dieses Mal reisten wieder etliche Nazis mit ihren Kindern an, um sie am Lebensstil der extremen Rechten teilhaben zu lassen.

Zu den Aktionen gegen das Nazitreffen – angemeldet vom DGB, geplant und durchgeführt von den im Netzwerk Südheide gegen Rechtsextremismus organisierten Gruppen und Personen – kamen insgesamt etwa 500 Menschen. Zu Beginn um 14.00 Uhr fand eine Demonstration vom Bahnhof in Eschede statt, gefolgt von einer längeren Kundgebung in der Nähe der Kreuzung Hermannsburger Straße / Am Finkenberg, der Zufahrtsstraße zum Hof Nahtz. Gegen Abend fand noch ein Staffelgottesdienst auf der Hermannsburger Straße statt, so dass für diesen Zeitraum die Straße für anreisende Nazis gesperrt war. Viele der Demoteilnehmer_ innen blieben zum Gottesdienst und etliche andere kamen extra dafür.

Verlesen der Opfernamen rechter GewaltInhaltlicher Schwerpunkt war das Erinnern an die 182 Todesopfer durch Nazis in Deutschland seit 1990. Nach einer einführenden Rede zu dem Thema, wurden die Namen aller 182 Todesopfer verlesen, für jedes Opfer wurde ein Luftballon steigen gelassen.

Während der Todesopfer gedacht wurde, passierte genau das, was durch die unsäglichen Demoauflagen des Landkreises Celle ermöglicht wurde: die Täter bzw. deren Sympathisanten fuhren ungestört 50 Meter an der Kundgebung vorbei zu ihrem Nazitreffen!

Da die einführende Rede in der bürgerlichen Presse so gut wie keine Erwähnung fand, wollen wir an dieser Stelle einige Passagen zitieren, die uns erwähnenswert erscheinen. Die Rede stand unter der Überschrift Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen.

„Ein mörderisches Verbrechen. Seit 1990 sind über 180 Menschen durch Neonazis zu Tode gekommen, erschossen, erstochen, erschlagen, ertränkt, aus der U-Bahn gestoßen. Sie sind umgebracht worden, weil sie in das rassistische, menschenverachtende Weltbild der Nazis nicht passen, weil sie Ausländer_innen sind, behindert, obdachlos, Linke.“

Dass die Zahl der von der Bundesregierung offiziell mit 53 angegeben Opfer rechter Gewalt so deutlich geringer ist, als die der Opferverbände wurde folgendermaßen kommentiert: „Opferzahlen werden geschönt, um das Problem zu verharmlosen. Verfolgungsbehörden werden zwar immer besser ausgestattet und erhalten immer mehr Befugnisse – z.B. Möglichkeiten zur Überwachung – aber die jüngsten Erkenntnisse um den NSU (Nationalsozialistischer Untergrund) zeigen, dass wir uns darauf wohl nicht verlassen können. Wir müssen nicht nur selber recherchieren, wir müssen vor allem selber aktiv sein, den Nazis den Nährboden entziehen und uns ihnen in den Weg stellen, mit allen legitimen und notwendigen Mitteln.“

Danach wurde ausführlich auf die Tötung von Peter Deutschmann in Eschede eingegangen. Nach einem kurzen Abriss aus Peter Deutschmanns Leben folgte ein Bericht über die Tat:

„Er wehrte sich stets verbal, also völlig gewaltfrei, gegen die ausländerfeindlichen Sprüche der beiden späteren Täter. Das und seine „Anmachereien gegen die Skinheadszene“ war dann auch der Anlass für Marco Siedbürger und Johannes Kneifel, ihn am 09.08.1999 kurz nach Mitternacht aufzusuchen. Sie wollten ihm einen „Denkzettel“ verpassen. Peter Deutschmann wurde niedergeschlagen, als er auf dem Boden lag wurde er mit Springerstiefeln, die mit Stahlkappen versehen waren, mehrmals getreten. Sein Kehlkopf wurde zertrümmert. 22 Verletzungen wurden später an ihm festgestellt. Die beiden Neonazis ließen den hilflosen Mann blutüberströmt zurück, stahlen auch noch sein Telefon, so dass er keine Hilfe holen konnte. Stunden später hörten Nachbarn die Hilferufe, Peter Deutschmann wurde noch ins Krankenhaus gebracht, starb dennoch 24 Stunden nach dem brutalen Überfall.“

In dem Redebeitrag wurde knapp analysiert, wie es zu solchen Taten kommen kann:

Follow your leader„Das Ignorieren neonazistischer Umtriebe wie Ende der 1990er Jahre hier in Eschede ist fatal. Betrachtet man die 182 Morde lässt sich folgendes feststellen: die Mordtaten geschehen nur äußerst selten aus dem nichts heraus. Fast immer gibt es eine Vorgeschichte, die sich in den meisten Fällen stark ähnelt: Ein Verharmlosen und Ignorieren von Neonazis in der Region, eine teilweise Schnittmenge der Wertsysteme zwischen Neonazis und einem Teil der Bevölkerung und dem Fehlen von Widerstandskultur.“

Was mit dem Ignorieren von neonazistischer Aktivitäten in Eschede gemeint ist, wurde eindrücklich dargestellt:

„Es gab damals eine Gruppe junger Neonazis in Eschede. 1997 nahmen alleine aus Eschede 10 junge Neonazis an der sog. Hetendorfer Tagungswoche teil. Die Hetendorfer Tagungswoche war ein in den 1990er Jahren jährlich zur Sonnenwende stattfindendes Treffen von über 100 Alt und Neonazis aus ganz Deutschland. Dreh und Angelpunkt war der bekannte, inzwischen gestorbene Neonazi-Anwalt Jürgen Rieger. Zur siebten und letzten Hetendorfer Tagungswoche waren auch die bis dahin dort nicht so gerne gesehenen sogenannten „Stiefel“-Nazis, also Nazis im damals üblichen Skinhead-Outfit, als Ordnungstruppe geladen, Mitglieder der damals noch recht jungen Kameradschaft 73 aus Celle waren dort und eben auch 10 Escheder Neonazis. … Ende der 1990er Jahre eine Nazigruppe von über 10 Personen in dem kleinen Eschede: Das musste doch wahrgenommen worden sein!“

Folgerichtig wurde die Forderung erhoben, ein Gesellschaftsmodell ohne Ausgrenzung zu entwickeln und zu leben, das folgendermaßen beschrieben wurde:

„Ein Modell von Gleichwertigkeit aller Menschen, ohne Ausgrenzung, eines, das emanzipatorische und alternative Lebensentwürfe stärkt. Diese Werte müssen gelebt werden, von uns allen. Ohne jede rassistische Äußerung, ohne jede diskriminierende Haltung – geschweige denn Handlung. Und das bedeutet auch, sich gegen Ausgrenzungen zur Wehr zu setzen, die gesellschaftlicher Konsens zu sein scheinen: Ausgrenzung durch das Asylgesetz, Ausgrenzung durch die Hartzgesetze, Ausgrenzung durch Elitedenken, wie es z.B. unser Schulsystem fördert, Ausgrenzung dadurch, dass der Wert eines Menschen nur daran fest gemacht wird, was er leistet.“

Und eine weitere und abschließende Forderung war die nach einem Gedenkstein für Peter Deutschmann in Eschede. Rückblick auf die Demo siehe auch Beitrag auf Cellerforum.de.

Gedenkveranstaltung für Peter Deutschmann

Gedenken an Peter Deutschmann

Am 10.08.2012 war der 13. Todestag von Peter Deutschmann. Einige Aktive aus dem Landkreis Celle organisierten eine Gedenkveranstaltung im Ortskern von Eschede, an der 25 Menschen teilnahmen. Es sprachen Vertreter_innen des Netzwerks Südheide gegen Rechtsextremismus, des Forums gegen Gewalt und Rechtsextremismus sowie der Antifaschistischen Aktion Lüneburg / Uelzen. Alle Redner_innen waren sich einig in der Forderung nach einem Gedenkstein für Peter Deutschmann in Eschede sowie für alle 182 Todesopfer rechter Gewalt seit 1990 in Deutschland.

Am Kundgebungsplatz wurde ein Modell des geforderten Mahnsteins errichtet und es war eine kleine Ausstellung installiert. Ein Transparent mit einem Foto des geforderten Gedenksteins wurde aufgehängt, davor wurde das Gesteck für Peter Deutschmann abgelegt.

Vor, zwischen und nach den Redebeiträgen wurde Musik abgespielt, die Peter Deutschmann gerne hörte. Das kam daher, dass ein ehemaliger Freund und Wegbegleiter von Peter Deutschmann nach der Demo am 23.06. die Rednerin ansprach und noch einiges von Peter Deutschmann zu erzählen wusste. Er war am 10.08.selber anwesend und sprach auch kurz über seinen damaligen Freund, beschrieb ihn als freundlichen, lustigen Menschen, mit dem man gut auskommen konnte und der niemals Streit gesucht hat.

Der erste Redebeitrag widmete sich dem Opfer und auch sehr ausführlich den Tätern. Einer von ihnen, Marco Siedbürger, ist mehr den je in der Neonaziszene aktiv, der andere, Johannes Kneifel, hat sich von der Szene verabschiedet und wird jetzt Pastor (sh. revista 57). Der Beitrag endete mit der Forderung nach einem Gedenkstein weil „so ein Stein an den gewaltsamen Tod von Peter Deutschmann erinnern soll und daran, welche Gefahren von Neonazis und Rechtsextremisten ausgehen.“

Die Rede vom Celler Forum gegen Gewalt und Rechtsextremismus war im Kern wie die oben ausführlich Zitierte vom 23.06. des Jahres. Es gab einige Ergänzungen zum Leben von Peter Deutschmann, dank der Erzählungen des genannten Freundes.

„Peter Deutschmann wuchs in Boye auf, hatte eine ältere Schwester. Er lief schon als junger Mann mit Ohrring und langen Haaren herum – damals eigentlich nichts ungewöhnliches – was wohl auch zu seinem Spitznamen Hippie führte. Er machte eine Ausbildung zum Karosseriebauer. Sein Freund beschrieb ihn als gutmütig, einen netten Typen, der gerne geholfen hat. Er sagte auch, dass es sich durch Peter Deutschmanns Leben zog, dass er ausgenutzt wurde. Musik war Peter Deutschmanns Leben. Er war lange Zeit DJ im Club Freedom in Altenhagen, legte Samstags und Sonntags Platten auf. Er hatte großes Expertenwissen. Seine Musikrichtung war klassischer Rock / progressiver Rock, auch Reggae liebte er. Peter Deutschmann war verheiratet, hat eine Tochter. Doch die Ehe scheiterte bald. Nachdem das Freedom dicht machte, betrieb Peter Deutschmann in Bergen mit seiner damaligen Freundin einen Imbiss. Doch auch das scheiterte, das Geld reichte nicht. So musste er sein Auto verkaufen, eine alte Kiste, ein Ford Granada Cabrio mit Riesenhörnern vorne und Plüschsitzen, ein Hingucker, wie sein Freund sagte. Sein Musikexpertenwissen konnte er nicht fortsetzen, er konnte es sich nicht leisten, weiterhin Schallplatten zu kaufen. Ungefähr zu der Zeit verlor er dann auch seine Plattensammlung durch einen Wasserschaden. Peter Deutschmann zog nach Eschede, zuerst wohnte er Richtung Rebberlaher Straße, in einem von der Gemeinde angemietetem Haus für Obdachlose / Wohnungslose, später dann in der Uelzener Straße. Die Freunde hielten noch Kontakt, aber irgendwann rief Peter Deutschmann nicht mehr an, dann passierte das Drama. Der Freund sagte, Love, Peace und Freedom war zwar ihr Credo, sie wollten nix mit den Typen, also den Neonazis, zu tun haben, darauf hatten sie keinen Bock, dennoch war der Freund verblüfft, dass Peter Deutschmann sich gegen Nazis verbal auflehnte.“

Am Ende des Redebeitrags wurde noch einmal betont, dass der Stein sichtbar im Ortskern von Eschede errichtet werden soll und warum ein Gedenkstein in Eschede so wichtig ist:

„Der Stein soll an Peter Deutschmann erinnern, er soll nicht vergessen werden. Und der Stein soll daran erinnern, warum Peter Deutschmann tot geprügelt wurde: es war eine rechtsmotivierte Tat und das soll auch so genannt werden! Und der Stein soll auffordern, sich dem Problem zu stellen, eben nicht weg zu schauen, zu ignorieren!“

In der nachfolgenden Rede der Antifaschistischen Aktion Lüneburg / Uelzen wurde von einem ähnlichen Fall berichtet, der Tötung von Gustav Schneeclaus in Buxtehude. Die Parallelen aber auch der unterschiedliche Umgang mit der Tat wurden dargestellt, sowie der Bezug zu den Nazitreffen bei Nahtz in Eschede herausgestellt:

„Es gibt Parallelen zwischen den Morden an Peter Deutschmann und Gustav Schneeclaus: beide haben sich gegenüber ihren späteren Mördern abfällig über Nazis und Hitler geäußert. Sie sagten die Wahrheit und wurden dafür ermordet. Beide entsprachen nicht unbedingt einem "normalen" Werdegang und gesellschaftlichen Normen. Sie wurden als sozial Randständige an den Rand der Gesellschaft gedacht. In beiden Fällen ist jeweils einer der Täter noch heute in neofaschistischen Kreisen aktiv und auch immer wieder bei Nazitreffen hier in Eschede zugegen. … Die Morde an Peter Deutschmann und Gustav Schneeclaus und andere neofaschistische Gewalttaten und Morde sind die Konsequenz einer extrem rechten Ideologie, in der die soziale Gleichheit und Gleichwertigkeit aller Menschen verneint und in der den Menschen, die nicht in das Weltbild der Neonazis passen, dass Recht auf Leben nicht nur theoretisch aberkannt wird. Auf Hof Nahtz wird diese mörderische Einstellung gelebt und vermittelt. Jedes Nazitreffen auf Hof Nahtz ist deshalb ein Treffen von potentiellen Mördern. Und gehören endlich verhindert! Gab es in der konkreten Tat – den Morden an Peter und Gustav – mehrere Parallelen, so ist die Erinnerung und das Gedenken an Beide von Unterschieden geprägt. In Buxtehude wurde nach kurzer Zeit eine Gedenkplatte am örtlichen Busbahnhof – dem Tatort – installiert. Selbst als der ZOB vor einigen Jahren komplett umgestaltet wurde, konnte erreicht werden, dass diese Gedenkplatte dort verbleiben konnte. Jedes Jahr finden Gedenkveranstaltungen dort statt. Der Antifaschistische Arbeitskreis „Gedenken an Gustav Schneeclaus“ sorgt bis heute mit seiner Erinnerungs- und Mahnarbeit dafür, dass Gustav Schneeclaus nicht in Vergessenheit gerät. Ganz anders hier in Eschede, wo es bislang noch keinen öffentlichen Erinnerungsort gibt und vielmehr viel dafür getan wird, dass z.B. ein Gedenkstein nicht aufgestellt werden kann.“