Bei der Bildungswoche des Rosa-Luxemburg-Clubs wird der Hamburger Historiker Arndt Neumann zum Thema »Bedingungsloses Grundeinkommen« (BGE) referieren.
Neumann, Jahrgang 1978, arbeitet über soziale Auseinandersetzungen in der Bundesrepublik der 1960er und 1970er Jahre. Neben seiner Arbeit als Historiker beschäftigt er sich als Aktivist bei Euromayday Hamburg mit prekären Arbeits- und Lebensbedingungen. Von ihm ist in der edition nautilus der Band »Kleine geile Firmen. Alternativprojekte zwischen Revolte und Management « erschienen. In einem Interview beantwortete er einige Fragen zum BGE.
??: Es gibt ja einige Modelle, die in der öffentlichen Diskussion als »Grundeinkommen« gehandelt werden? Kannst Du kurz die Grundelemente des »Bedingungslosen Grundeinkommens « (BGE) beschreiben?
!!: Zentrales Ziel des bedingungslosen Grundeinkommens ist die Entkoppelung von Lohnarbeit und Einkommen. Auch ohne Lohnarbeit soll ein menschenwürdiges Leben möglich sein. Damit dieses Ziel auch wirklich erreicht werden kann, hat das »Netzwerk Grundeinkommen « vier grundlegende Kriterien festgehalten: (1) individueller Rechtsanspruch, (2) keine Bedürftigkeitsprüfung, (3) kein Arbeitszwang, (4) in einer Höhe, die die Existenz sichert und gesellschaftliche Teilhabe ermöglicht. Kurz gesagt: Das bedingungsloses Grundeinkommen ist das Gegenteil von Hartz IV.
??: Worin unterscheidet sich dann das BGE von Modellen wie dem Konzept der »Solidarischen Bürgergeldes« des früheren thüringischen Ministerpräsidenten Dieter Althaus?
!!: Schon in den 1960ern hat sich der Vordenker des Neoliberalismus Milton Friedmann für das Konzept einer negativen Einkommenssteuer eingesetzt. Unter einer bestimmten Einkommensschwelle sollten die Bürger keine Steuern mehr bezahlen, sondern im Gegenteil Geld von den Steuerämtern erhalten. Diese negative Einkommenssteuer sollte alle anderen Sozialleistungen ablösen. In dieser Tradition steht heute auch Dieter Althaus. Dabei sind die Grenzen zwischen negativer Einkommenssteuer und bedingungslosen Grundeinkommen alles andere als trennscharf. Der Unterschied liegt vor allem in der Höhe des ausgezahlten Mindesteinkommens. Die neoliberalen Konzepte setzten dieses möglichst gering an, um einen möglichst hohen Anreiz zur Arbeitsaufnahme zu schaffen. An die Stelle des staatlichen Zwanges soll der ökonomische Zwang zur Arbeit treten. Demgegenüber treten linke Befürworter des bedingungslosen Grundeinkommens für möglichst hohe Zahlungen ein.
??: Wo lässt sich eigentlich die Entstehung der Idee des BGE in Deutschland verorten? Wo liegen die Ursprünge?
!!: Die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommen hat viele Vorläufer. Entscheidend für heute sind jedoch die Debatten, die in den 1980ern in Westeuropa angesichts der Krise des industriellen Kapitalismus geführt worden sind. Im Mittelpunkt standen dabei die widersprüchlichen Auswirkungen der Automatisierung der Industriearbeit. Gerade weil die gesellschaftliche Teilhabe an Lohnarbeit gebunden war, führten die mit der mikroelektronischen Revolution verbundenen gewaltigen Produktivitätssteigerungen nicht in das »Reich der Freiheit«, sondern zu Massenarbeitslosigkeit und Verarmung. Mit der Entkoppelung von Lohnarbeit und Einkommen sollte die menschenleere Fabrik ihren Schrecken verlieren und eine Gesellschaft ermöglicht werden, die nicht länger auf dem Zwang zur Lohnarbeit, sondern auf selbstbestimmter Tätigkeit beruhte. Nicht ohne Grund trug eines der wichtigsten Bücher der damaligen Debatte, das von André Gorz verfasst wurde, den Titel »Wege ins Paradies«.
??: Wir haben jetzt an der Spitze einer im Bundestag vertretenen Partei, nämlich der Linken, mit Katja Kipping eine ausdrückliche Befürworterin des BGE, während ihr Ko-Vorsitzender Bernd Rixinger in dieser Frage eher eine Position der Gewerkschaftsmehrheit vertritt, d.h. dem BGE sehr skeptisch gegenübersteht. Was ist eigentlich die Kritik der Gewerkschaftsmehrheit am BGE?
!!: Für die Gewerkschaften ist gesellschaftliche Teilhabe nur über Lohnarbeit denkbar. Daran hat sich trotz der Krise der Arbeitsgesellschaft in den vergangenen Jahrzehnten nichts geändert. Alle gewerkschaftlichen Forderung, vom Mindestlohn, über staatliche Beschäftigungsprogramme bis hin zu Arbeitszeitverkürzung, zielen letztendlich auf Vollbeschäftigung. All denen, die heute arbeitslos oder prekär beschäftigt sind, soll durch gerecht bezahlte Lohnarbeit ein würdiges Leben ermöglicht werden. Aber gerade weil Vollbeschäftigung nicht in Sicht ist, werden die Gewerkschaften immer mehr zu Gewerkschaften der Kernbelegschaften und damit eines immer kleiner werdenden Teils der Gesellschaft. Eine Gewerkschaft der Arbeitslosen, Praktikanten, Teilzeitbeschäftigten und prekären Selbstständigen würde für ein bedingungsloses Grundeinkommen eintreten.
??: In Diskussionen, die wir so im Umfeld des Rosa- Luxemburg-Clubs führen, gibt es Skepsis gegenüber dem BGE – unabhängig von der Durchsetzbarkeit – vor allem in folgenden Richtungen: »Warum soll das denn für alle gelten, die Reichen haben das doch nicht nötig«. »Dann macht doch niemand mehr die Knochenarbeit«. »Dafür ist doch gar nicht das Geld da.« Was sagst du dazu?
!!: Zu den Reichen: Natürlich brauchen Millionäre kein bedingungsloses Grundeinkommen. Aber nur wenn das Geld an alle ausgezahlt wird, kann auf eine Bedürftigkeitsprüfung und damit auf entwürdigende Kontrollen und Schnüffeleien wie bei Hartz IV verzichtet werden. Zu den Knochenjobs: Wenn es keinen staatlichen und ökonomischen Zwang zur Arbeit mehr gibt, dann müssen eben andere Anreize geschaffen werden, zum Beispiel durch hohe Löhne. Und diese hohen Löhne würden wiederum den Anreiz erhöhen, die Knochenjobs zu automatisieren. Zum Geld: Armut beruht in dieser Gesellschaft nicht auf einem grundsätzlichen Mangel, sondern auf der ungleichen Verteilung des Reichtums. Ohne höhere Steuern für Besserverdienende wird es kein bedingungsloses Grundeinkommen in angemessener Höhe geben. Aber das ist ja nicht unbedingt das Problem.
??: Lass uns noch kurz über Fragen von Durchsetzbarkeit des BGE sprechen. Welche Bedingungen und Voraussetzungen braucht es aus deiner Sicht, um eine politische und gesellschaftliche Situation zu haben, die das BGE mehrheitsfähig macht?
!!: Um grundsätzliche gesellschaftliche Veränderungen durchzusetzen, braucht es starke sozialen Bewegungen und breite gesellschaftliche Allianzen. Schon jetzt reicht die Bandbreite der Befürworter von der globalisierungskritischen Bewegung, über die Piratenpartei bis hin zu dem anthroposophischen Unternehmer Götz Werner. Aber nur in Verbindung mit alltäglichen Kämpfen von Erwerbslosen, Prekären und Kreativen kann das bedingungslose Grundeinkommen tatsächlich zu einer realpolitischen Forderung werden.