Unser Beitrag zum Reformationsjahr und der Reformation in Celle

Zum Luther-Jahr anlässlich des 5oo. Geburtstages des großen deutschen Fürstenfreundes brachte im Jahr 1983 die Alternativzeitung „Celler Zündel“ einen Artikel von Dietrich Höper. An der Durchsetzung der Reformation im Lüneburger Land war, so Höpers Argumentation, der damalige Herzog Ernst vor allem auch deshalb interessiert, um die Verschuldung des Herzogtums auf Kosten  der katholischen Klöster zu lösen.

Da wir nicht wirklich darauf hoffen können, dass dieser Aspekt in den großen Ausstellungen zum Reformationsjubiläum hinreichend gewürdigt wird, veröffentlichen wir den Artikel mit Dietrich Höpers Zustimmung erneut:

Wenn das zum "Lutherjahr" erhobene 1983 mit dem 1o. November, dem Geburtstag des Reformators, seinen Höhepunkt und sein Ende erreicht, wollen wir dies nicht unerwähnt lassen. Wir haben uns darum mit einer der Wirkungen der lutherischen Lehre im Lüneburger Land beschäftigt. Dabei ist ein Bild herausgekommen, das entgegen vielen schönfärbenden Berichten den großen Förderer der Reformation in Celle, Herzog Ernst, den später sogenannten Bekenner, nicht gerade uneigennützig erscheinen lässt (siehe Grabplatte, unten rechts).

Eineinhalb Jahre nach Luthers 95-Thesen-Anschlag im sächsischen Wittenberg bekriegten sich in der 'Hildesheimer Stifts-Fehde' die Herzöge von Wolfenbüttel und Calenberg mit ihrem Vetter dem Herzog von Braunschweig-Lüneburg (dem 'Celler Herzog’), Heinrich dem Mittleren, und seinem Ver­bündeten, Bischof Johann von Hildesheim.

Es ging in diesem Krieg nicht um Glaubensfragen oder sonst eine 'höhere Sache', sondern allein um politische Macht und mögliche Aushebung der jeweiligen Herrschaftsterritorien.

Trotz des militärischen Sieges über seine Gegner Ende Juni 1519 in der Schlacht bei Soltau erlitt Heinrich der Mittlere eine Niederlage – er hatte bei der Kaiserwahl zum Nachfolger des verstorbenen Maximi­lians den Verlierer, den französischen König Franz, unterstützt und sich dafür die Ungnade des frisch auf den Thron erhobenen Kaiser Karl V. eingehandelt. Um seine Haut zu retten, übertrug Heinrich seinen Söhnen Ernst und Otto die Regierungsgeschäfte und setzte sich nach Frankreich ab.

Er hinterließ ein Land, das durch die üppige Hofhaltung seines Herzogs und durch die Kriegslasten aus der 'Stiftsfehde' völlig verschuldet war. Bis auf die Stadt und das Amt Celle waren alle Besitztümer des Braunschweig-Lüneburgischen Fürstenhauses verpfändet.

Der 1497 geborene Herzog Ernst, er hatte mehrere Jahre in Wittenberg studiert (vor allem die Theorien des römischen Rechtes über die absolute Gewalt der Fürsten) und dort Luther kennengelernt, trat im Frühjahr 1521 die Regierungsgeschäfte unter für ihn äußerst ungünstigen Bedingungen an.

Neben den drückenden Schulden lastete die inzwischen vom Kaiser ausgesprochene Reichsacht über dem Fürstentum Lüneburg und ausgerechnet die Gegner aus der 'Stiftsfehde', die Herzöge von Calenberg und Wolfenbüttel, wurden mit der Vollziehung der Acht beauftragt. Sie hätten quasi die Herrschaft im Fürstentum ausüben sollen.

Allerdings besaßen die jungen Celler Her­zöge Ernst und Otto im Bruder ihrer Mutter einen starken Förderer. Ihr Onkel nämlich war der damals wohl mächtigste unter den deutschen Fürsten, der Kurfürst Friedrich von Sachsen, später mit dem Namen 'der Weise' versehen. Unter seiner Herrschaft wurde die Universität Wittenberg gegründet, und er ließ Martin Luther den neuen evangelischen Glauben lehren. Dank Friedrichs diplomatischem Eingreifen wurde zwischen den verfeindeten Herzoghäusern im Herbst 1521 im sog. Feldvertrage zu Braunschweig ein Vergleich dahingehend geschlossen, dass beide Parteien ihre Gefangenen herausgeben, die Celler Herzöge das eineinhalb Jahre zuvor eroberte Schloss Wölpe wieder dem Herzog von Calenberg zurückgeben und dieser dafür genauso wie sein Mitstreiter Heinrich von Wolfenbüttel sich beim Kaiser für die Aufhebung der Reichsacht einsetzen sollten. Auch wenn die Aufhebung der Acht erst fünf Jahre später erfolgte, hatte sie mit dieser Abmachung ihre praktische Bedeutung verloren, und Ernst, dessen Bruder Otto ihm weitgehend die Regierungsgeschäfte über­ließ, konnte sich ganz der Sanierung seiner Hoffinanzen widmen.

Aus dem Lüneburger Land ließen sich nur wenige Erträge ziehen. Der 1531 zum Superintendent des Herzogtums ernannte Urbanus Rhegius, aus Süddeutschland gebürtig, z.B. schilderte die Kargheit des Landes und seiner Bewohner als unfruchtbare Heide, mit kleinen Dörfern und „räucherischen Hütten“, in denen es aussah, wie in einer "Arche Noah", in denen „Hunde, Katzen, Kühe, Kälber, Rosse, Säue, Hühner, Schafe, alles beieinander“ wohnte und in denen „der Bauer auf Stroh lag, alten stinkenden Speck aß und Brot so hart wie ein Bettstein“. (1)

Nennenswerte Quellen größeren Reichtums besaßen da nur die Klöster mit ihren Ländereien und die Stadt Lüneburg mit ihren Salzvorkommen und -verarbeitungsstätten, deren Besitz sich die patrizischen Familien der Stadt mit dem Klerus teilte.

Was konnte in dieser Lage dem Fürstenhaus mehr dienen als eine Säkularisierung, d.h. Verweltlichung der kirchlichen Güter? Diesen Gedanken jedenfalls fasste der herzogliche Kanzler Förster, der nach der Flucht Heinrichs des Mittleren vorübergehend die Regierungsgeschäfte hauptverantwortlich geführt und später Sohn Ernst in die Politik einge­führt hatte.

Neben dem Gewinn der Klöstergüter und kirchlichen Besitzstände versprach die Entmachtung des Klerus darüberhinaus einen ungeheuren innenpolitischen Machtzugewinn für den Herzog. Zur Ausschreibung und Erhebung von allgemeinen Steuern nämlich war dieser nach gültigem Recht auf die Zustimmung der Vertreter der Stände, des Adels, der Geistlichkeit und der Städte, im Landtag ange­wiesen. Obwohl Adel und Kirche von der Abgabenlast frei waren, stellten sie die übergroße Mehrheit im Landtag.

Von den Städten waren nur Celle, Uelzen und Lüneburg von Bedeutung. Und die reichste von ihnen, Lüneburg, war eng mit den Prälaten der in ihren Mauern befindlichen Klöstern verbunden, besaßen diese doch ein Viertel aller Lüneburger Salzpfannen. Wen wundert's, dass die Stadt sich den herzoglichen Geldforderungen weitgehend zu entziehen wusste, zumal ihr enger Verbündeter, der Abt des Klosters St. Michaelis zu Lüneburg, an der Spitze des Landtages stand und dessen Verhandlungen leitete.

Herzog Ernst, nach eigenem Bekunden seit spätestens 1522 Lutheraner, schien der neue Glaube das geeignete Instrument zu sein, in seinem Fürstentum die katholi­sche Kirche auszuschalten und ihre Be­sitztümer einzuziehen, ihre Verbündeten – vor allem Lüneburg – dadurch zu schwä­chen und letztlich auch seine eigene Herrschaft ideologisch abzusichern. Predigte doch Luther seinen Anhängern, ihren jeweiligen weltlichen Obrigkeiten (und das hieß zu seiner Zeit: fast immer den Territorialfürsten) treue Untertanen zu sein und nur in der Wahl ihres Glaubens Freiheit zu besitzen.

In der Durchführung ihrer Pläne gingen Ernst und sein Kanzler Förster vorsichtig, aber gezielt vor. Als der Leibarzt der herzoglichen Familie, Wolf Cyclop, bereits Anfang des Jahres 1524 öffentlich einen theologischen Streit im lutherischen Sinne mit den in Celle, im Kloster an 'Heiligen Kreuz' lebenden Franziskanern über deren Werkgerechtigkeit aufnahm, erhielt er vom Hof nicht die geringste Unterstützung. Der Herzog scheute noch die offene Auseinanderset­zung mit der katholischen Kirche.

Er wollte durch langsame Infiltration von protestantischen Predigern die evangelische Partei unter den Celler Bürgern erst größer werden lassen, ehe er zuschlug. Außerdem fürchtete er wohl, die Wellen der Bauernkriege könnten seine Untertanen durch zu plötzliche Erschütterungen im Glauben erfassen und diese womöglich sich auch gegen ihn selber erheben lassen. So schützte er z.B. im Mai 1525 durchaus noch die alte Kirche in Lüneburg, als er dem Rat der Stadt befahl, "nachdem sich unlängs viele geschwinde Läufe und Aufruhr begeben", dafür zu sorgen, dass "das Wort Gottes verkündet und so geübt und gehalten werde, wie das seit langer Zeit gebräuchlich gewesen" - allerdings mit dem Zusatz: "bis von christlicher Obrigkeit eine andere Ordnung in der Christenheit eingerichtet werde". (2)

Mit wohldurchdachten Einzelmaßnahmen allerdings, wie den Landtagsbeschlüssen von 1524 und 1527, dass die Klöster ge­naue Inventarlisten über ihren sämtlichen Besitz an seinen Hof abzuliefern hätten, konnte er dann nach dem Grundsatz, die Klöster gehörten erblich dem Fürsten und schlechte Verwalter müssten abgesetzt werden, verfahren und deren Güter nach und nach vereinnahmen.

Die für den weiteren Verlauf entscheidende Auseinandersetzung zur Durchsetzung der Glaubensreformation (sehen wir einmal von den Geschehnissen in der Stadt Lüneburg ab) wurde der sog. Barfüßerstreit zu Celle.

Ende 1526 forderten die in der Stadt in­zwischen zahlreich vertretenen evangeli­schen Prediger nach vorausgegangenen, heftigen Angriffen auf ihre Lehre durch die Franziskanermönche die Abschaffung der täglichen Messe in alter Gestalt. Ernst kam diesem Verlangen noch im Dezember desselben Jahres mit dem Verbot der Messe nach. Für die Mönche war diese Auflage natürlich unannehmbar. Sie beschwerten sich in Briefen und Unterredungen einerseits beim Herzog und versuchten andererseits durch verstärkte Agitation die Celler wieder völlig auf ihre Seite zu ziehen. Bei den niederen Ständen erzielten sie dabei, nicht zuletzt aufgrund ihrer eigenen kargen Lebensweise und ihrer damit verbundenen Glaubwürdigkeit, große Erfolge; Grund genug für den Fürsten, der sich seine langfristigen Pläne nicht durchkreuzen lassen wollte, jetzt mit starker Hand vorzugehen. Er forderte die Barfüßer auf, ihr Kloster aufzugeben, und drohte ihnen, falls sie dies nicht täten, mit der gewaltsamen Entfernung aus der Stadt. Die Franziskaner zogen es vor zu weichen und gaben damit das entscheidende theologische Bollwerk der katholischen Kirche in Celle auf.

Hiernach konnte die Einführung der Reformation im Herzogtum zügig vorangetrieben werden. Einzig in der Stadt Lü­neburg und in einigen Nonnenklöstern trafen die Reformatoren auf nennenswerte Widerstände, doch auch diese waren schließlich 1532 endgültig gebrochen. Braunschweig-Lüneburg galt als eines der ersten Fürstentümer, das vollständig dem neuen evangelischen Glauben anhing. Herzog Ernst konnte seine fiskalischen Ziele erreichen und wurde bald zu einem der wichtigsten Köpfe des 'Schmalkaldischen Bundes', des Zusammenschlusses der evangelischen Fürsten.

(1) Zitiert nach: Adolf Wrede, "Ernst der Bekenner, Herzog von Braunschweig und Lüneburg", erschienen als Schrift Nr. 25 des Vereins für Reformationsge­schichte in Halle 1888, S. 5.
(2) Aus dem Sendschreiben Herzog Ernsts an den Rat von Lüneburg, zitiert nach Wrede,a.a.0., S. 29.