Abschied von der Welt von gestern?
Die Schildbürger vergaßen bekanntlich bei ihrem Rathausneubau die Fenster, weshalb sie versuchten, das Sonnenlicht mit Eimern einzufangen und ins Innere zu tragen, was fehlschlug. Ein moderner Schildbürgerstreich ist jetzt den Planern der Celler Ostumgehung gelungen: Millionen sind verbaut, doch das bisher fertiggestellte Drittel verliert jegliche Funktionalität, sollte das OVG den Bauabschnitt über die Aller im Hauptsacheverfahren scheitern lassen.
Vor diesem Hintergrund ist das geringe Maß an Aufregung, das der Beschluss hervorgerufen hat, erstaunlich. Oder vielleicht auch nicht – schließlich stehen 85 % »der« Politik hinter der Irrsinns-Planung. So schlossen sich dann auch alle Parteienvertreter von CDU, FDP und SPD im Kern der Losung des nds. Wirtschaftsministers Jörg Bode an, der meinte: „Denn nicht nur die Natur, sondern auch die Menschen haben ein Recht auf Schutz vor Lärm und Abgasen.” Jedes vernunftbegabte Wesen sollte sich deshalb doch wohl an die Vermeidung von Lärm und Abgasen machen, und nicht an eine Verlagerung, die die einen schützt, aber Natur und Menschen anderswo genau diesem Übel aussetzt.
Doch genau darum geht es nicht bei einer Planung, die ihren Anfang vor über 50 Jahren nahm. Seit den späten 1960er Jahren geht es in Celle darum, sich der Probleme in einzelnen Ortsteilen statt mit angepassten Lösungen durch eine vom Bund finanzierte Ortsumgehung zu entledigen.
Und die Planer wollen nicht wahrhaben, dass die Durchschneidung der Alleraue ihnen dabei einen Strich durch die Rechnung machen kann. Im Jahr 1984 waren sie ein erstes Mal gescheitert. Damals hatte eine in der Breite eher wertkonservativ aufgestellte Bewegung, zu der sich u.a. über den damaligen Herausgeber Georg Pfingsten auch die Cellesche Zeitung zählte, die Planungen ebenfalls vor dem OVG zu Fall gebracht. Der Irrsinn war seinerzeit noch eine Umdrehung größer. Die Allerquerung sollte in Höhe der Lachtemündung erfolgen und viele hielten den Ausbau der Pfennigbrücke zu einer Autostraße für zwingend. Die Gegner argumentierten damals: „Oberster Gesichtspunkt bleibt die Erhaltung des Naherholungs- und Landschaftsschutzgebietes an der Oberaller zwischen Pfennigbrücke und Altencelle. [...]Dem Moloch Verkehr darf nicht mehr geopfert werden, als unbedingt notwendig ist. Wesentlich ist nicht, daß der Autofahrer durch die Benutzung einer kreuzungsfreien Autostraße beim Umfahren von Celle ein paar Minuten gewinnt, sondern daß dem Bürger von Celle ein unvergleichliches Naherholungsgebiet erhalten bleibt.“ (CZ, 11.06.1976)
Das kann heute mehr denn je Gültigkeit beanspruchen. Die Verkehrswende ist vor dem Hintergrund des Klimawandels ein Muss. Und die Ostumgehung ist nun einmal das genaue Gegenteil: Die Planung fördert den motorisierten Individualverkehr und zerstört ein Landschaftsschutzgebiet.
Das Klimaschutzkonzept der Stadt weist in aller Harmlosigkeit darauf hin: „Der heutige Verkehr ist zu ca. 95 Prozent von fossilen Brennstoffen abhängig. Folge sind u.a. Beeinträchtigungen der Umwelt sowie der Gesundheit und der Lebensqualität der Menschen durch Luftverschmutzung und Klimaveränderung. So gehen in Deutschland rund 20 Prozent der direkten CO2- Emissionen auf das Konto des Verkehrs, ca. 95 Prozent davon werden im Straßenverkehr erzeugt. [...] Das Potenzial, das durch die städtische Verkehrsplanung beeinflusst werden kann, ist ebenfalls beachtlich, denn ein sehr hoher Anteil des Verkehrs hat einen regionalen Bezug. 85 % aller Wege im Personenverkehr sind kürzer als 20 Kilometer. Darunter sind zum Beispiel viele Wege von Berufspendlern aus dem Stadtumland in die Stadt oder Einkaufs- und Freizeitwege der Städter ins Umland. Durch Optimierung des ÖPNV Angebots und Verlagerung auf den nicht motorisierten Verkehr ergeben sich damit für Celle hohe Verkehrsminderungs- und CO2 Einsparpotentiale."
Aber nicht einmal für die Bündnisgrünen ist dies ein zentrales Argument. Der Fraktionschef Bernd Zobel hob vor allem darauf ab, dass man „die als Alternative von den Grünen favorisierte Westumgehung stärker [hätte] berücksichtigen müssen.“
Grundsätzlich äußerste sich dagegen die Ratsfraktion Die Linke/BSG: „Die Planer sind in maßlosem Vertrauen auf ihre Sicht der Dinge vorgegangen und haben – im Grunde genommen überflüssige – Streckenabschnitte gebaut, ohne die berechtigten Bedenken zu berücksichtigen. Der Schaden, den sie damit verursacht haben, könnte letztlich erheblich sein. Das wäre wirklich mal was für das Schwarzbuch des Steuerzahlerbundes.” Nach Auffassung von Behiye Uca (Die Linke) ist die Ostumgehung eine Planung von vorgestern: „Wir alle wissen, dass die Welt von übermorgen Mobilität ohne PKW und LKW herstellen muss und dass diese andere Mobilität deshalb keine neuen Straßen braucht.” Neue Straßen würden Individualverkehr nie verringern, sondern immer vergrößern. Deshalb gehe das ganze Projekt in eine falsche Richtung. Statt zielgerichtet Belastungen in einzelnen Stadtteilen zu minimieren, habe das Festhalten an einer überdimensionierten und zu recht kritisierten Planung jetzt zu einer völlig absurden Situation geführt.