Raumfahrtstandort TrauenWar-Tech in der Heide

Auf der Internationalen Luftfahrtausstellung 2012 (ILA) in Berlin haben im September der Niedersächsische Wirtschaftsminister Jörg Bode, der Vorstandsvorsitzende des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR), Johan-Dietrich Wörner, sowie Michael Menking, Direktor Orbitalsysteme und Weltraumerforschung bei Astrium, und Andreas Rohne, Direktor für Antriebe und Equipment bei Astrium, ein »Memorandum of Understanding« zum Ausbau des Raumfahrtstandortes Trauen unterzeichnet. „Mit dem Standort Trauen öffnen wir in Niedersachsen ein neues Kapitel in der Raumfahrt. Während am Forschungsflughafen Braunschweig eher die Anwenderseite im Vordergrund steht, können wir hier ein Testzentrum für die Hersteller und die Forschung aufbauen. Das wird auch für die eher strukturschwache Region einen enormen wirtschaftlichen Auftrieb mit sich bringen", erklärte der Minister in Berlin.

In Trauen bei Faßberg im Landkreis Celle besteht seit über 80 Jahren ein Testgelände zur Erprobung von Raketentriebwerken mit entsprechenden Prüfständen. Anfang der 1960er Jahre begann die Nutzung des Standortes im Rahmen der ersten europäischen Raumfahrtprogramme. Derzeit nutzt die Astrium GmbH den Standort zur Herstellung von Komponenten für Höhenforschungsraketen TEXUS und MAXUS sowie des UBoot- Rettungssystems RESUS.

„Der DLR Standort Trauen soll zukünftig wieder verstärkt in das Netz der luft- und raumfahrttechnischen Testanlagen [...] eingebunden werden", erklärte der DLRVorstandsvorsitzende Wörner. „Einen Schwerpunkt wird dabei die Oberstufentechnologie für europäische Trägerraketen bilden, aber auch fortschrittliche Kleintriebwerke für Satelliten und Raumsonden sollen hier getestet werden."

Hierzu wird die Infrastruktur des Standorts umfassend erneuert und erweitert, auch mit finanzieller Unterstützung des Landes Niedersachsen. Ziel ist es, Trauen auch für die Ansiedlung von Industriebetrieben im Umfeld der Luft- und Raumfahrttechnik interessant zu machen. Hierfür investiert das Land Niedersachsen 2,7 Mio. Euro, die Partner DLR und Astrium geben in einem ersten Schritt rd. 8 Mio. Euro dazu.

Die EADS-Tochter Astrium GmbH war beteiligt an der Entwicklung der Trägerraketen Ariane 4 und 5; das derzeitige militärische Kerngeschäft ist die Entwicklung von Rettungssystemen für U-Boote (RESUS). In den vergangenen 30 Jahren sind zudem 50 Höhenforschungsraketen (TEXUS), ausgestattet mit kleinen Laboren, in suborbitale Höhen befördert worden.

40 Mitarbeiter sind derzeit am Standort Trauen tätig, mit bis zu weiteren 65 Arbeitsplätzen rechtfertigt die Landeregierung ihren Millionenzuschuss.

Abgesehen davon, dass die militärische Seite der »Veranstaltung« in der Kommunikation gänzlich verschleiert wird, ist zusätzlich bemerkenswert, wie in den Medien eine gänzlich unkritische Traditionslinie zur Entstehung des Raketenforschungszentrum Trauen im Nationalsozialismus gezogen wird. Ein Beispiel wäre die CZ vom 21.09.2012, in der - gänzlich ohne dass ein einziges Mal der Nationalsozialismus auftaucht – unter der Überschrift „Eugen Sänger baute ehemaliges Raketenforschungszentrum auf“ glorifiziert wird.

Eugen SängerDer österreichische Ingenieur Eugen Sänger (1905– 1964) gilt als »Pionier« auf dem Feld der deutschen Raumfahrtforschung.

Nachdem er Österreich wegen seiner NSDAP- und SS-Zugehörigkeit verlassen hatte, führte ihn sein Weg in die Heide. Ab 1936 baute er für das Reichsluftfahrtministerium ein modernes Raketenforschungsinstitut unter der Tarnbezeichnung »Flugzeugprüfstelle« in Trauen in der Lüneburger Heide auf. Von 1942-1945 war er an der Forschungsanstalt für Segelflug in Ainring tätig. Man arbeitete u.a. an einem Fernbomberprojekt (z.B. für einen Angriff auf New York) und an der Entwicklung von Staustrahljägern, doch wurden diese Arbeiten von den Kriegsereignissen überrollt.

Nach dem Krieg führte Sänger in Stuttgart ab 1954 mit staatlicher Hilfe über das »Forschungsinstitut für die Physik der Strahlantriebe« seine Entwicklungen aus der NS-Zeit fort. 1960 wurde Sänger (neben anderen deutschen Wissenschaftlern) vom ägyptische Staatspräsident Nasser angeworben, wo er für die ägyptische Rüstungswirtschaft an Raketenprojekten beteiligt war, deren Reichweiten theoretisch jeden Punkt in Israel hätten unter Beschuss nehmen können. Daraus entwickelte sich international eine regelrechte »Affäre«. Da Sänger das Institut nicht von seiner lukrativen Nebentätigkeit informiert hatte, wurde er 1961 fristlos gekündigt, offizieller Entlassungsgrund: „eigenmächtige, politisch unkluge und über das zumutbare Maß hinausgehende Mitarbeit an einem ägyptischen Regierungsauftrag“. Sänger kündigte daraufhin 1962 den Ägyptern seine Mitarbeit vorzeitig. (siehe SPIEGEL vom 08.05.1963)

Von all dem ist aktuell nichts zu lesen – und die Astrium GmbH findet ihre Adresse „Eugen-Sänger-Str. 23 29328 Fassberg“ wahrscheinlich höchst repräsentativ.