Kommt die Zwischennutzungsagentur?

Prima Idee, aber wir als Stadt haben kein Geld und als Verwaltung keine Ressourcen. Wenn's andere für lau hinbekommen, … So könnte kurz und knapp die Stellungnahme der Verwaltung zusammengefasst werden zu einem Antrag des Bündnis Soziale Gerechtigkeit (BSG) aus dem Kommunalwahlkampf. Oliver Müller hatte vorgeschlagen, die Leerstände in der Altstadt mit einer Zwischennutzungsagentur anzugehen.

Die Hoffnung der Verwaltung ist jetzt, dass sich jemand findet, der es macht. Sie selbst jedenfalls strebe „gegenwärtig nicht an, als zusätzliche freiwillige Aufgabe einer Kommune die Aufgaben von Zwischennutzungsagenturen als eigene Aufgabe finanziell und organisatorisch abzubilden.“ Sie unterstütze vielmehr private Initiativen zum Aufbau einer Zwischennutzungsagentur und setzt dabei auf ein sich in der Gründung befindliches Kreativnetzwerk „CelleCreativ“.

Erfreulich allerdings ist, wie intensiv sich die Verwaltung mit dem Thema befasst hat. Auf sechs Seiten wird die Idee der Zwischennutzungsagentur ausführlich vorgestellt und abgewogen. (Damit – aber das nur nebenbei – macht OB Nigge ernst mit seinem Versprechen, alle Ideen zu prüfen, egal von wem sie kommen.) Behandelt wird die Zwischennutzungsagentur in der Sitzung des Ausschusses für Wirtschaftsförderung und Stadtmarketing am 24. Mai, also nach unserem Redaktionsschluss.

Zum Hintergrund verweist die Verwaltung auf die Entstehungsgeschichte. Im Osten Deutschlands seien Leerstände in den 1990er Jahren ein gravierendes Problem geworden. In Leipzig sei es dann mit dem Verein „HausHalten e.V.“ zur ersten Gründung einer solchen Agentur gekommen. Es geht darum, zwischen Eigentümer*innen leerstehender Immobilien und Interessierten potenziellen Nutzer*innen zu vermitteln. Die Nutzer*innen bezahlen nur einen geringen Mietzins. Im Gegenzug dafür führen sie die nötigen Instandsetzungsmaßnahmen durch und wirken dem Verfall entgegen.

Die Vorteile und und Stärken des Konzepts beschreibt die Verwaltung so:

„Aus diesem Konzept können beinahe alle Parteien profitieren: Kreative haben die Möglichkeit Räume zu günstigen Mietzinsen zu nutzen. Weiterhin bekommen Kreative und Kulturschaffende viel Aufmerksamkeit durch die Lagen in der Innenstadt. [...] Durch Ausstellungen und Präsenz von Kunst und Kultur wird die Innenstadt belebt und wird als freundlicher, positiver, frischer und jünger wahrgenommen. Auch die Eigentümer müssen sich nicht mehr um die Gebäudeunterhaltung kümmern und bekommen durch die Miete Einnahmen. Diese ist zwar weitaus geringer als würde „klassisch“ vermietet werden, aber die Immobilie wird belebt. Die Nutzer zahlen nicht nur eine geringe Miete, sondern geben auch durch ihre Kreativität und Arbeitskraft etwas an die Vermieter zurück. Die Eigentümer können außerdem mit der gemeinwohlorientierten Zwischennutzung für sich werben und die Immobilie dadurch attraktiver machen. […] Durch Zwischennutzungen wird das Erscheinungsbild der Innenstadt aufgewertet und deren Attraktivität für die Bevölkerung und Gäste der Stadt erhöht. Durch die damit einhergehenden höheren Besucherfrequenzen können sich auch positive wirtschaftliche Effekte auf benachbarte Geschäfte einstellen. Kunden weichen für den Einkaufsbummel seltener auf andere Städte aus und so können auch die anderen Geschäfte von der Zwischennutzung profitieren.“

Die Aufgabe einer Zwischennutzungsagentur besteht also darin, auf der einen Seite potenzielle Nutzer*innen zu identifizieren und auf der anderen Seite die leerstehenden Ladenlokale in der Innenstadt, deren Eigentumsverhältnisse sowie die baulichen Randbedingungen auszumachen. Dann müssen die Eigentümer*innen kontaktiert und über die sich bietende Chance der Zwischennutzung informiert werden. Wenn interessierte Eigentümer*innen und motivierte Kreative gefunden sind, agiert die Agentur als Vermittlerin zwischen beiden Parteien: „Welcher Leerstand ist für welches Projekt/für welche Art von Nutzung geeignet? Über welchen Zeitraum hinweg soll der Raum gemietet werden und zu welchen Konditionen? Auch in rechtlichen Fragen kann die Agentur beiden Parteien helfen und zum Beispiel Vertragsmuster fertigen.“

Wichtig für eine konfliktfreie Zwischenraumnutzung seien klar definierte und formulierte Verträge. Dies sei notwendig, um die Eigentümer*innen abzusichern. Denn sie hätten vorwiegend Interesse daran, ihre Räumlichkeiten an langfristige Verträge zu binden. Deshalb dürfte für den Fall eines Mietangebots die Immobilie nicht durch die Zwischennutzung blockiert werden. Die Nutzer*innen müssten also flexibel und bereit dazu sein, die Räumlichkeit eventuell in kurzer Zeit wieder abzugeben.

Ein spezielles Celler Hemmnis sieht die Verwaltung in Brandschutzverordnungen: „Einige Gebäude in der Innenstadt erfüllen diese Bestimmungen nicht und ohne einen sicheren Brandschutz dürfen die Räume nicht genutzt werden, auch nicht für eine temporäre Zwischennutzung. Die Brandschutzmaßnahmen sind teilweise kostentechnisch sehr umfangreich und würden sich deshalb für eine Zwischennutzung nicht lohnen.“

Die Verwaltung holte auch Einschätzungen von Innenstadtakteuren ein: „Eigentümer von Immobilien in der Celler Innenstadt zeigen sich in der Tendenz verhalten positiv gegenüber Zwischennutzungen. Der Wunsch nach ansprechenden Mieteinnahmen steht zwar im Vordergrund. Je nach individueller Interessenlage und „Leidensdruck“ sind Einzelne einer Zwischennutzung nicht abgeneigt. Allerdings sehen auch sie oft die rechtlichen Fragestellungen und besonders die Frage nach der Höhe der Miete als problematische Aspekte.“
Auch die Einzelhandelsvertreter*innen wären grundsätzlich sehr positiv gestimmt, wenn es darum geht, die Innenstadt vital zu erhalten und halten auch eine Zwischennutzungsagentur für ein sinnvolles Mittel. Dabei sei auch der Hinweis gekommen, das Nutzerklientel nicht auf Kunst und Kulturschaffende zu beschränken, sondern auch einen Fokus auf junge Gründer*innen und Start-ups zu legen, die Leerstände beleben können.

Die Verwaltung kommt zu dem Fazit: „Können diese Hemmnisse überwunden werden, ist das Konzept einer Zwischennutzungsagentur eine vielversprechende Chance, dem Leerstand in der Celler Innenstadt entgegenzuwirken.“

Kommentar
Zentralität ist mehr als Konsum

Gefühlte drei Mal im Jahr sind die Leerstände in der Altstadt ein Thema für die Cellesche Zeitung – und damit auch für Verwaltung und Politik im Rathaus. Dann ist das Gejammer groß über amazon & zalando, über Denkmalschutz und Parkplätze … Eins ist klar: Die Zentren sind in Städten, die nicht gerade zu den Boomtowns gehören, gefährdet. Dabei geht es nicht darum, ob zusätzlich ein dritter oder vierter Drogeriemarkt und ein weiterer Klamottenladen kommen. An dieser Stelle muss deshalb Henri Lefèbvre ("Die Revolution der Städte") zitiert werden:

„Die Zentralität ist nichts Indifferentes, im Gegenteil, sie bedarf des Inhalts. Dieser Inhalt jedoch kann irgendein Inhalt sein. Anhäufung von Projekten und Produkten in Lagern, Berge von Obst auf den Märkten, Menschenmassen, Leute, die sich gegenseitig auf die Füße treten, Zusammenballungen vielfältiger, nebeneinander, übereinander liegender, zusammengetragener Objekte: das macht die Stadt aus.“

Lefèbvre spricht von „Projekten und Produkten“. Es geht also nicht darum, den allgegenwärtigen Konsum noch bis in die letzte Nische auszuweiten. Im Gegenteil. Ein Stadtzentrum ist etwas anderes als ein gigantisches Warenhaus. Wo es dazu wird, wie z.B. in den Shopping Malls, verschwindet jegliche Differenz, weil da wirklich alles zur Ware geworden ist und alle zu Konsument*innen.

In Celles Altstadt geht es längst nicht mehr um den Verlust von Zentralität, es geht um die Wiedergewinnung und Wiederaneignung durch die Bürger*innen, die in ihren Bedürfnissen eben immer noch mehr sind als Konsument*innen. Die Zwischennutzung leerstehender Immobilien kann ein erster Schritt sein, die Stadt wieder mit Leben zu füllen.