„Wenn wir alle Möglichkeiten der Altbauten ausschöpfen, brauchen wir keinen Neubau.“

Celle will wachsen. Und um dieses Wachstum zusätzlich zu stimulieren, sollen Neubaugebiete ausgewiesen werden. Das jedenfalls gab Oberbürgermeister Dr. Jörg Nigge noch vor seiner Amtseinführung zu Protokoll: „Das große Interesse am Neubaugebiet Kieferngrund hat gezeigt, dass der derzeitige Bedarf das Angebot übersteigt. Es wird daher eine vorrangige Aufgabe sein, noch in diesem Jahr Baugebiete auszuweisen.“ (CZ, 14.01.2017) Der Vorsitzende des Ausschusses für Wirtschaftsförderung und Stadtmarketing, Michael Bischoff (CDU), sekundierte: „Mit dem neuen Oberbürgermeister werden wir auch wieder neue Baugebiete bekommen.“ Damit begab sich der neue Rathauschef und die CDU-Fraktion in Widerspruch zu einem Marketingkonzept „Celle als Wohnstandort / Positionierung als attraktiver Lebensmittelpunkt“, das die Verwaltung im vergangenen Jahr erarbeitet hatte. Sowohl die eine wie die andere Position erfolgt fast ausschließlich unter Gesichtspunkten von Nachfrage und Bedarf. Ökologische Kriterien fallen unter den Tisch. Wir werden im Folgenden die Standpunkte vorstellen und um eine Perspektive der Nachhaltigkeit erweitern.

Es ist noch nicht lange her, da war die Diskussion bestimmt von düsteren demografischen Prognosen. Weniger und älter – so wurde die Zukunft hinsichtlich Celles Bevölkerung beschrieben. Vor allem der Zuzug durch Geflüchtete hat diese Prognose durchkreuzt, zumindest für den Fall, dass sie in Celle bleiben (wovon aber nicht unbedingt auszugehen ist). Erstmals seit längerem hatte die Stadt Ende 2015 wieder über 70.000 Einwohner*innen. Auf dem Wohnungsmarkt entstanden trotzdem kaum Engpässe, denn durch den Abzug der britischen Truppen waren ja vor kurzem viele Immobilien frei geworden.

Das „Marketing-Konzept“ der Verwaltung ist trotzdem von der „Vision“ getragen, bis zum Jahr 2025 ein Bevölkerungswachstum auf 75.000 zu generieren. Dabei geht es um drei Zielgruppen:

1. Paare oder Einzelpersonen in der zweiten Lebenshälfte,
2. Junge Paare, die in Celle leben und in Hannover arbeiten,
3. junge Familien.

Für die erste Zielgruppe sieht die Stadt die besten Chancen, weil mit der Bebauung der Allerinsel und des Geländes der ehemaligen Feuerwehrhauptwache qualitativ hochwertige Angebote in der bevorzugten Zentrumsnähe zur Verfügung stehen werden.
Zur zweiten Zielgruppe heißt es im Marketing-Konzept: „Die Nachfrage nach Wohnraum in der Stadt und Region Hannover ist derzeit so stark, dass sie durch das kurz- und mittelfristig vorhandene Angebot aller Voraussicht nach jedoch nicht gedeckt werden kann. Celles Chancen auf eine Wahrnehmung als guter Alternativstandort werden hierdurch gestützt.“ Die Zielgruppe sei vor allem an Mietimmobilien interessiert. Celles Nachteil sei, dass Bedürfnisse bei der Freizeitgestaltung „nur bedingt“ erfüllt werden könnten: „Scene-Lokale, Kneipen, Nachbarschaftstreffs, Kultur- und Künstleraktivitäten wie sie in Großstädten oder studentisch geprägten Städten vorkommen, sind in Celle rar.“ Ein weiterer dämpfender Aspekt sei die fehlende Anbindung an den GVH Verbund der Region Hannover.
Bei der Frage „Neubaugebiete“ geht es dann um die dritte Zielgruppe: die jungen Familien. Während in Großstädten wohl eine Tendenz zu beobachten ist, dass junge Familien zentrumsnahes Wohnen bevorzugen, ist die Situation im Landkreis Celle konträr:
„Neubaugebiete sind so stark nachgefragt wie noch nie. Baugrundstücke mit guter Anbindung an den Wirtschaftsraum Hannover, aber auch Wolfsburg/Braunschweig boomen. Starke Zuwächse dieser Zielgruppe wurden bisher da generiert, wo dieses Segment auch in entsprechendem Umfang angeboten wird. Das in den nächsten Jahren in Celle bereitstehende Angebot an Bauplätzen wird die Nachfrage bei angenommener anhaltender Tiefzinsphase nicht decken können.“

Die Fachverwaltung sieht gleichzeitig eine Konkurrenz zu den Landkreisgemeinden. Gemeinden mit Anschluss an den Raum Hannover, aber auch an den Raum Wolfsburg / Braunschweig haben in den letzten Jahren Einwohner*innen-Zuwächse zu verzeichnen. Dies sei auf die Ausweisung von Neubaugebieten und Nachverdichtungen zurückzuführen. In Lachendorf, Wietze, Wathlingen, Nienhagen und Adelheidsdorf würden zusätzliche Neubaugebiete ausgewiesen. Das Marketing-Konzept der Fachverwaltung zieht daraus eine andere Konsequenz, als sie – wie eingangs zitiert – dem neuen Oberbürgermeister vorschwebt: „Die Konzentration der Gemeinden auf das Segment Neubau von Einfamilienhäusern birgt für Celle die Chance, im Segment Eigentums- und Mietwohnungen zu punkten.“
Und für die Zielgruppe der jungen Familien wird konzeptionell vorgeschlagen, den vorhandenen Altbestand an Einfamilienhäusern gewissermaßen der kommenden Generation zu übergeben:

„Mittel- bis langfristig besteht für Celle eine Möglichkeit, jungen Familien die Vorteile einer Wohnimmobilie aus dem Bestand nahezubringen. Die ältere Generation ist zunehmend geneigt, sich frühzeitig mit den Vorstellungen von Wohnen in der zweiten Lebenshälfte zu befassen. Es werden Überlegungen angestellt, sich von Pflichten und Lasten zu befreien und daher das Einfamilienhaus gegen eine komfortable Wohnung zu tauschen. Diese Häuser stehen in der Folge wieder Familien zur Verfügung. Sinnvoll ist es, den Nachnutzern unabhängige Beratungsleistungen und Begleitung bei der in der Regel notwendigen Sanierungen und Modernisierungen anzubieten. Möglicherweise auch bei großen Grundstücken über Teilungsmöglichkeiten zu informieren.“

Das klingt durchdacht. Schon heute sind in einigen Stadtquartieren Leerstände zu beobachten. Diese Leerstände würden nicht weniger werden, sondern zunehmen, wenn am Markt eine zusätzliche Konkurrenz durch Neubaugebiete entsteht.
Leider ist nicht unbedingt zu erwarten, dass eine Ratsmehrheit sich einfach von den guten Argumenten überzeugen lässt. Im Stadtrat sitzen mehrheitlich Menschen, zu deren Lebensplan wie selbstverständlich das Eigenheim gehörte. Hier die Perspektive zu ändern und sich nicht den Einflüsterungen der Bau- und Banklobby zu beugen, dürfte einigen schwerfallen. So äußerte etwa SPD-Fraktionschef Jörg Rodenwaldt: „Wir müssen verhindern, dass Häuslebauer in den Landkreis abwandern.“ Seine Fraktion schlug vor, den Bereich des Sportplatzes der ehemaligen Kaserne an der Hohen Wende für 40 Bauplätze vorzusehen.

Immerhin unterstützt die Fraktion Die Linke/BSG die Verwaltungslinie. Sie hat beantragt, dass im Ausschusses für Wirtschaftsförderung und Stadtmarketing über das Konzept „Jung kauft alt“ informiert wird. Vor zehn Jahren beschloss die NRW-Gemeinde Hiddenhausen, dass junge Familien beim Kauf einer Altbauimmobilie finanzielle Zuschüsse von der Gemeinde bekommen. Um die Nutzungsmöglichkeiten und die damit verbundenen Umbau- und Sanierungskosten von Gebrauchtimmobilien fachkundig abschätzen zu lassen, fördert die Gemeinde die Erstellung eines Altbau-Gutachtens. Dieses Konzept ist inzwischen von über 50 Städten und Gemeinden übernommen worden, u.a. von der Stadt Bergen im Landkreis Celle.

Förderprogramm der Stadt Bergen „Jung kauft Alt – Junge Menschen kaufen alte Häuser“

Die Stadt Bergen fördert den Erwerb von Alt-immobilien im Stadtbereich. Es gibt zwei Förder-möglichkeiten: Zum einen einen einmaligen Zuschuss für die Erstellung eines Altbaugutachtens im Vorfeld des geplanten Erwerbs einer Altimmobilie. Zum anderen wird der Erwerb einer Altimmobilie mit einer jährlichen Förderung über eine Laufzeit von max. 5 Jahren gefördert.

In beiden Fällen muss die Immobilie mindestens 25 Jahre alt sein (ab Bezugsfertigstellung). Für beide Fördermöglichkeiten ist der Grundbetrag der Förderung 600,- €. Durch zum Haushalt des Antragstellers gehörende Kinder erhöht sich der Grundbetrag um 300,- € je Kind bis zu einer max. Förderung von 1.500,- € bei Altbaugutachten / pro Jahr bei Altbauerwerb. Kommen während der Laufzeit der Förderung eines Altbauerwerbs Kinder hinzu, so erhöht sich auf Antrag die Förderung ab der Geburt ebenfalls um 300,- € (max. bis 1.500,- € pro Jahr).

Verbietet das Bauen!

In der Konkurrenz zwischen den Städten und Gemeinden treten übergeordnete Aspekte schnell in den Hintergrund. Dabei ist eigentlich eins unstrittig: Der stete Flächenverbrauch für neue Siedlungs- und Verkehrszwecke entzieht Flächen den natürlichen Kreisläufen. Die Zersiedlung erzeugt auch mehr Verkehr. Die Bundesregierung will den Flächenverbrauch bis 2020 daher auf 30 Hektar pro Tag senken. (Zum Vergleich: Ein Fußballfeld ist etwa 0,7 ha groß.) Und auch wenn das Tempo des Flächenneuverbrauchs in den letzten Jahren zurückgegangen ist, ist der Verbrauch aktuell noch doppelt so hoch.

Eine Umwandlung von Freiflächen, vor allem von landwirtschaftlichen Flächen in Siedlungs- und Verkehrsflächen hat verschiedene negative Auswirkungen auf die Ökologie:

  • Zerschneidung und Fragmentierung von Natur- und Lebensräumen, was den Erhalt der biologischen Vielfalt gefährdet.
  • Schädigung von Böden, da Filter-, Puffer- und Lebensraumfunktion nicht oder nur begrenzt erhalten werden.
  • negative Auswirkungen auf den Wasserhaushalt durch Versiegelung.
  • Zersiedlung führt zu mehr Verkehr und entsprechenden Schadstoffemissionen.

Dazu kommen negative soziale Auswirkungen:

  • Flächenausweisungen im Außenbereich führen fast zwangsläufig zu Leerständen im Siedlungsbestand.
  • längere Wege zum Arbeitsplatz, Schulen, Versorgungseinrichtungen und andere Infrastrukturen, sind häufig nurmehr mit dem Auto zu erreichen.

Der Architekturfachmann Daniel Fuhrhop forderte deshalb vor zwei Jahren mit einer Streitschrift „Verbietet das Bauen!“ Er meint: „Wir müssen die Grenzen des Wachstums endlich auch beim Bauen erkennen. Bauen scheint bislang so selbstverständlich wie in der Redewendung, dass ein Mann drei Dinge in seinem Leben tun müsse: ein Kind zeugen, einen Baum pflanzen und ein Haus bauen. Abgesehen davon, dass eine solche Regel heute für Männer und Frauen gelten müsste, hat der Hausbau in dieser Reihe nichts mehr zu suchen. Irgendwann haben wir genug Häuser gebaut. Bauen ist kein Grundrecht.“

Deshalb fordert er eine radikale Kehrtwende: „Bauen wir also nicht mehr neu, sondern kümmern wir uns um unsere vorhandenen Häuser: Abriss verhindern, Leerstand beseitigen und die Häuser weiter, neu und besser nutzen. Wenn wir alle Möglichkeiten der Altbauten ausschöpfen, brauchen wir keinen Neubau.“

Dabei entzaubert er diverse Mythen, so auch das scheinbar ökologische Bauen. Denn jenseits des Selbstverwirklichungsdrangs der Bauherr*innen scheint der Neubau als einziges rationales Argument die bessere Ökobilanz auf seiner Seite zu haben. Dem Klima aber würde er aus drei Gründen trotzdem schaden: Verkehr, Fläche und Energie. Die Argumente zu längeren Verkehrswege und Flächenverbrauch sind schon genannt. Und auch bei der Energiebilanz lohnt ein genaueres Hinschauen: „Die vermeintlich ökologischen Häuser [schaden] dem Klima wegen der für den Bau benötigten Energie: Ihre Baustoffe wurden abgebaut oder hergestellt, dann zur Baustelle transportiert und dort verbaut. All die dafür erforderliche »graue Energie« ist in Form der Steine und Materialien im Haus gespeichert. »Neubauten sparen niemals Energie«, schrieb darum schon 1995 der Architekt Günther Moewes in seiner Streitschrift »Weder Hütten noch Paläste«.“ In seiner lesenswerten Streitschrift listet Fuhrhop am Ende 50 „Werkzeuge, die den Neubau überflüssig machen“ auf, die untergliedert sind in folgende Kapitel: Modernisieren statt abreißen, Altes und Neues richtig bewerten, Leerstand kennen, Leerstand nutzen, Leerstand beseitigen, Keine Platzverschwendung privat, Nichtbauen, Umbauen, Mut zur Nähe, Gemeinschaftlich wohnen, Umzüge fördern, Beliebte Regionen abwerten …, … weniger beliebte Regionen aufwerten. Dabei handelt es sich größtenteils um Empfehlungen, die auch und gerade auf der kommunalpolitischen Ebene diskutiert werden sollten.

Quellen:

Celle.Dein Zuhause. Wohnen - Leben - Wohlfühlen. Positionierung Celles als attraktiver Lebensmittelpunkt (Autorin: Christina Jung, FD 04, Stadtmarketing)

Daniel Fuhrhop: Verbietet das Bauen!, ISBN-13: 978-3-86581-733-4, oekom Verlag München 2015. 192 Seiten, 17,95 €.

Von Daniel Fuhrhop gibt es auch einen blog, siehe: http://www.verbietet-das-bauen.de/