Interview mit Hubert Brieden zu einer Ausstellung in der Volkshochschule

Die Volkshochschule Celle zeigt vom 12. September bis zum 31. Oktober die Ausstellung „Ein voller Erfolg der Luftwaffe“. Thema ist die Vernichtung der baskischen Stadt Guernica am 26. April 1937 – die Geschichte eines deutschen Kriegsverbrechens. Hubert Brieden vom Arbeitskreises Regionalgeschichte e.V. hat die Ausstellung mit erarbeitet und gibt am Eröffnungstag um 19 Uhr eine Einführung in die Ausstellung. Wir sprachen vorab mit ihm über regionalgeschichtliche Hintergründe.

??: Am 26. April 1937 wurde die baskische Stadt Guernica/Gernika durch deutsche Kampfflieger der Legion Condor während des Spanischen Bürgerkrieges fast vollständig vernichtet. Dieses Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung einer unverteidigten Stadt löste weltweit Entsetzen aus. Pablo Picasso schuf unter dem Eindruck der Vernichtung sein wohl bekanntestes Bild, nannte es einfach „Guernica“ und machte diesen Namen bis heute zum Synonym für faschistischen Terror und die Schrecken des Luftkrieges. Mit Veröffentlichungen und der Ausstellung versucht der AK Regionalgeschichte seit gut 20 Jahren darauf aufmerksam zu machen, dass der Fliegerhorst Wunstorf einer der wichtigsten Flugplätze für die Ausbildung der Bombereinheiten der Legion Condor war, die im wesentlichen für diese Kriegsverbrechen verantwortlich war. Wie seid ihr zu diesem Forschungsschwerpunkt gekommen?

!!: Im Rahmen unserer Forschungen zur NS-Geschichte des Altkreises Neustadt am Rübenberge (heute Teil der Region Hannover) erzählte uns 1983 ein Zeitzeuge, dass der Fliegerhorst Wunstorf etwas mit dem Spanischen Bürgerkrieg und der Legion Condor zu tun habe. Genaueres wusste er aber nicht. In einer regionalen Militärchronik wurden die Erinnerungen des Zeitzeugen bestätigt, allerdings waren die Angaben recht vage, unpräzise und teilweise auch falsch. Wir haben daraufhin in den regionalen Archiven recherchiert, aber keinerlei Hinweise gefunden. Außerdem fragten wir beim Lufttransportgeschwader 62 der Bundeswehr an, ob ihnen irgendwas bekannt sei. Der Presseoffizier antwortete, dass es seinen Informationen nach keinerlei Verbindung zwischen Fliegerhorst Wunstorf und der Legion Condor bzw. dem Spanischen Bürgerkrieg gegeben habe. Er habe extra nochmal die Wehrmachtsveteranen befragt, die das bestätigt hätten.

Daraufhin sind wir ins Bundesarchiv/Abteilung Militärarchiv nach Freiburg gefahren, um dort in den Restbeständen von Akten der Legion Condor zu recherchieren. Anhand der teilweise noch vorhandenen Personalbe-standslisten der Legion Condor konnten wir nachweisen, dass der größte Teil des in diesen Listen genannten Personals der schweren Bombereinheiten vom Fliegerhorst Wunstorf gekommen war. Heute wissen wir es noch genauer: Ca. 70 % der schweren Bomber- und der Aufklärungseinheiten der Legion Condor kamen vom Fliegerhorst Wunstorf aus dem Traditionsgeschwader Boelcke. Personal dieses Geschwaders, das auch auf Fliegerhorsten in Langenhagen und Delmenhorst stationiert war, unterstützte seit 1936 den Militärputsch in Spanien. Anfang 1938 wurde auf dem Fliegerhorst Wunstorf eine Extra-Ausbildungsstaffel für die Legion Condor aufgestellt.

Für unsere Arbeit war ein Buch des Militärhistoriker Klaus A. Maier wichtig, der sich als erster in Deutschland intensiv mit dem Bombardements von Gernika beschäftigt hatte, aber nicht mit der Geschichte des Fliegerhorstes Wunstorf. Ansonsten mussten wir selber recherchieren und konnten schließlich auch nachweisen, dass Wunstorfer Flieger an der Vernichtung Gernikas beteiligt waren. Die Veteranen hatten offensichtlich gelogen.

??: Sehr viele Menschen kennen Picassos Bild „Guernica“, aber die Zahl derer, die auch die Verantwortlichen für die Bombardierung der baskischen Stadt kennen, dürfte in Deutschland nicht allzu groß sein. Wie kommt es zu dieser erinnerungspolitischen Leerstelle?

!!: Die Geschichte der Wehrmacht wurde nach dem Zweiten Weltkrieg verschwiegen und vertuscht. Spuren und Beweise wurden systematisch vernichtet. Die Kommandantur des Fliegerhorstes Wunstorf ließ vor dem Einmarsch der Alliierten Akten verbrennen. Bei der Remilitarisierung stützte sich die Bundesregierung überwiegend auf Wehrmachtspersonal. 1959 bestand das Offizierskorps der Bundeswehr zu etwa 3/4 aus ehemaligen Wehrmachtsoffizieren. Über deren Vergangenheit und deren Beteiligung an Massenverbrechen wurde eisern geschwiegen. Gleichzeitig wurden schon Anfang der 1950er Jahre Veteranenverbände gegründet, die das Bild von der sauber gebliebenen Wehrmacht verbreiteten. In Wunstorf organisierte der „Traditionsverband Geschwader Boelcke“ 1952 und 1953 bereits wieder Aufmärsche durch die Stadt. 1956 wurde die „Kameradschaft Legion Condor“ gegründet. Solche Veteranenverbände pflegten beste Kontakte zu Bundeswehroffizieren und trafen sich über Jahrzehnte regelmäßig in Bundeswehrkasernen. Noch in den 1980er Jahren erklärte der „Traditionsverband Geschwader Boelcke“, der alte „Boelcke-Geist“ solle an die jüngere Generation weitergegeben werden. Die „Kameradschaft Legion Condor“ fand, dass das „Wirken der Legion Condor in Spanien“ – so wörtlich – der „bundesdeutschen Jugend als Vorbild dienen“ solle. Menschen, die es in den 1950er Jahren wagten, die Nazi-Wehrmacht öffentlich zu kritisieren, wurden niedergemacht und weggemobbt. So ist es im Umkreis des Fliegerhorstes Wunstorf geschehen. Die mörderische Rolle des deutschen Militärs im Zweiten Weltkrieg durfte öffentlich nicht thematisiert werden In dieser allgemein akzeptierten Tabuisierung der jüngsten Militärgeschichte wird besonders deutlich, dass der Militarismus in Westdeutschland weiterlebte. Die Geschichte der Militärstandorte und der zugehörigen Wehrmachtseinheiten ist bis heute eines der am wenigsten erforschten Kapitel der NS-Geschichte. Das öffentliche Schweigen eröffnete den Tätern Raum, um ihre „Heldengeschichten“ oder ihre Märchen von der „sauberen Wehrmacht“ zu verbreiten.

??: Bis in die 1980er Jahre hinein kennen wir den Begriff „Nestbeschmutzer“. Damit sollte diskreditiert werden, wer sich im regionalen Bereich mit NS-Verbrechen beschäftigte. Habt ihr das auch so erlebt?

!!: Als wir Anfang der 1980er Jahre mit den Forschungen zur NS-Geschichte begannen, hat man uns vorgeworfen, wir würden den Frieden in der Stadt stören, seien „Nestbeschmutzer“ und anderes mehr. Solche Beschimpfungen trafen uns nicht besonders, weil wir mit den Nazis nichts zu tun hatten und zu tun haben wollten und – um im Bild zu bleiben – nicht in deren Nest saßen. Sie haben versucht, uns mundtot zu machen, indem man uns Druckkostenzuschüsse verweigerte oder uns als Dozenten aus Volkshochschule rauswarf. Das war gelegentlich hart, weil unsere materiellen Grundlagen zerstört wurden, aber sie konnten uns nicht einschüchtern – die Zeiten waren vorbei. Viele Leute wollten endlich über die NS-Geschichte informiert werden und unterstützten uns. In der Garnisonsstadt Wunstorf gibt es Leute, die den Geist der 1950er und 1960er Jahre immer noch nicht überwunden haben, aber sie sind nicht mehr in der Lage den öffentlichen Diskurs zu dominieren oder Leute einzuschüchtern – obwohl sie es immer wieder versuchen. Die Kommandantur des Lufttransportgeschwaders 62 in Wunstorf, die jahrelang unsere Forschungsergebnisse bestritten oder relativiert hat, gibt sich inzwischen liberal, streitet nichts mehr ab und will in diesem Jahr sogar einen Gernikagedenkstein auf dem Fliegerhorstgelände aufstellen lassen. Gleichzeitig bleiben in einem kleinen Museum der Bundeswehr, - der Ju-52-Halle - die Wehrmachtsverbrechen weiterhin ausgeblendet. In Wunstorf ist es politisch immer noch nicht möglich, die Oswald-Boelcke-Straße – von den Nazis zu Ehren des Boelckegeschwaders so benannt – in Gernikastraße umzubenennen. Heute versucht man nicht mehr, Leute zum Schweigen zu bringen oder öffentlich die Wehrmachtsverbrechen zu relativieren. Man gibt sie zu, errichtet sogar einen Gedenkstein und mag dennoch nicht von der militaristischen Traditionspflege lassen. Man muss inzwischen wohl eine Art von historischer Schizophrenie konstatieren.

??: Ihr habt in Kooperation mit dem Bildungswerk ver.di im April 2017 eine Reise nach Gernika organisiert. Was habt ihr da erfahren und erlebt?

!!: Wir haben seit Anfang der 1980er Jahre regelmäßig Reisen nach Gernika organisiert und es sind gute Kontakte und auch Freundschaften entstanden. Uns war es immer ein Anliegen, Kontakte zu den Opfern des deutschen Militarismus aufzunehmen und zu pflegen, ohne dass dabei die Geschichte ausgeblendet würde. Seit 1997 unterstützt uns dabei auch das Bildungswerk ver.di. In Gernika wurden wir von Anfang an sehr freundlich aufgenommen. Man war froh, dass sich in Deutschland Leute mit der Geschichte des Bombardements auseinandersetzten. Der Name Wunstorf ist in Gernika bekannt, genau wie der Name Gernika in Wunstorf. Es ist also durchaus möglich, auch mit geringen Mitteln öffentliche Diskurse zu führen. In Kooperation mit dem baskisch-deutschen Kulturverein Baskale aus Bilbao wurde unsere Ausstellung, die jetzt in Celle zu sehen ist, ins Baskische und Spanische übersetzt und inzwischen in vielen Orten des Baskenlandes gezeigt. Die Beschäftigung mit der regionalen Geschichte hat uns internationale Kontakte eröffnet und unseren Blick erweitert.

Hubert Brieden, Tim Rademacher: Guernica, ?om?a, Warschau, Coventry - Deutsche Geschichtspolitik, Traditionspflege in der Garnisonsstadt Wunstorf, “Verges-sene” Geschichte in Hannover-Langenhagen, 339 Seiten, Paperback, zahlreiche Abbildungen und Karten, 16,50 €, ISBN: 978-3-930726-15-8
„… ein voller Erfolg der Luftwaffe.” Die Vernichtung von Gernika/Guernica am 26. April 1937. Geschichte und Gegenwart eines deutschen Kriegsverbrechens, 19 Seiten, A4-Format, farbig, 3. überarbeitete Auflage, 2,- €, ISBN: 978-3-930726-23-3
Hubert Brieden, Mechthild Dortmund, Tim Rademacher: Gernika (Guernica)/Bizkaia und Wunstorf/Region Hannover. Über die Schwierigkeiten beim Umgang mit der Militärgeschichte in Deutschland und Spanien, 40 Seiten. Großformat, vierfarbig, zahlreiche Fotos, 9,- €, ISBN 978-3-930726-30-1