"Die Pflanzenschützer“ werben für Unkrautvernichtungsmittel

Die Agrarindustrie steht unter Druck. Auch wenn die EU-Kommission im Juli vorgeschlagen hat, die Zulassung des Unkrautvernichters Glyphosat für zehn Jahre zu verlängern, reicht es inzwischen nicht mehr, die Lobbyisten in Brüssel ihre Arbeit machen zu lassen. Die Beunruhigung in Teilen der deutschen Bevölkerung ist groß. Deshalb wird in jüngster Zeit auch die Öffentlichkeit bearbeitet.

Dagegen ist grundsätzlich nichts zu sagen. Wenn aber die Medien bei den Kampagnen der Agroindustrie mitspielen, ohne Ross und Reiter zu nennen, wird es grenzwertig. So geschehen in der Celleschen Zeitung am 15. Juli 2017.
Unter der Überschrift „Unkraut raubt Nährstoffe / Celler Landwirte werben für Verständnis: "Ohne Pflanzenschutz keine Qualität"“ wurde eine Kampagne der Initiative "Die Pflanzenschützer" vorgestellt, ohne dass der dahinterstehende "Industrieverband Agrar e. V. (IVA)" auch nur in einem Nebensatz auftauchte. Der IVA, so ist auf der Website zu lesen, „vertritt die Interessen der agrochemischen Industrie in Deutschland. Zu den Geschäftsfeldern der 54 Mitgliedsunternehmen gehören Pflanzenschutz, Pflanzenernährung, Schädlingsbekämpfung und Biostimulantien.“

Dieser Lobbyverband hat im Jahr 2015 die Aktion "Schau ins Feld!" ins Leben gerufen. Worum geht es dabei?

Landwirt*innen legen ein „Schaufenster“ an. Sie verzichten auf einem Teil ihrer Felder auf jegliche Pflanzenschutz-Maßnahmen. Der beabsichtigte Effekt – so auch auf der Website zu lesen: „Im Laufe des Wuchses treten die Folgen der Nicht-Behandlung der Kulturpflanzen immer deutlicher zu Tage – gerade im direkten Vergleich zum Rest der Ackerfläche, den die Landwirte wie gewohnt mit Pflanzenschutzmitteln behandeln.“

Insgesamt beteiligten sich in diesem Jahr über 1.000 Betriebe. Für die Kampagne präsentierten Steffen Timme und Jan-Hendrik Hohls ihr „Versuchsfeld“ in Nindorf (Bergen). Auf einem 15,5 Hektar großen Zuckerrübenfeld waren auf einer neun Quadratmeter große Parzelle am Wegesrand keine "Pflanzenschutzmittel" gespritzt worden. Das erwartbare Ergebnis: „Die Rüben, die auf dem Feld gespritzt worden sind, sind um ein Vielfaches größer als die, die aus einer nicht gespritzten Parzelle stammen.“ Das, so die Landwirte, demonstriere, wie wichtig der Einsatz von Pflanzenschutz sei. An den „Versuchsfelder“ wurde dann überall im Land eine Tafel platziert, die unter der Überschrift „Ernte in Gefahr“ auf die Ertragseinbußen bei unterschiedlichen Feldfrüchten hinwies. Und die beiden Landwirte verkündeten, dass Produkte aus biologisch betriebener Landwirtschaft nicht ausreichen würden, um die Weltbevölkerung zu ernähren. (siehe screemshot der website.)

Wie gesagt – Klingeln gehört zum Geschäft; dass aber unterbleibt zu benennen, wer den Klingelbeutel gefüllt hat – nämlich die Agroindustrie –, ist eine Irreführung der Öffentlichkeit. Die ließ sich aber nicht so einfach veräppeln. Drei Leser*innenbriefe veröffentlichte die CZ eine Woche darauf.

Uwe S. kritisierte die Berichterstattung der CZ: „Wurde eventuell über Ihrem Artikel „Unkraut raubt Nährstoffe“ der Hinweis „Anzeige“ vergessen? Anders kann ich mir den von Ihnen veröffentlichten Werbeartikel für den Industrieverband Agrar (Monsanto, BASF und Co.) – genau der steht nämlich hinter den vermeintlichen „Pflanzenschützern“ – nicht erklären. Dass eine Rübe in einem Feld voller anderer Pflanzen nicht gedeiht, finde ich wenig überraschend. Dass zur Bio-Landwirtschaft etwas mehr gehört, als ein Feld sich selbst zu überlassen, sollte aber auch allen Beteiligten klar sein. [...] Im Übrigen gibt es im Bioladen um die Ecke durchaus ganz normale Rüben zu kaufen – ohne Giftrückstände. Eine Analyse der Universität Berkeley von über 100 Studien zeigt zudem, dass sich mit geeigneten Bewirtschaftungsmethoden der Ertragsunterschied minimieren lässt.“

Peter F. sah eine „schlichte Volksverdummung“: „Unsere Landwirte in der industriellen Landwirtschaft haben sicher keinen leichten Stand mit den unzähligen Auflagen sowie Verboten, dass sie sich jedoch vor den Wagen der „Giftmischer-Lobby“ spannen lassen und mit derartigen Demonstrationen eine schlichte Volksverdummung ins Feld führen, ist völlig unverständlich. Die Folgen sind allseits sichtbar und spürbar: Insekten- und Artensterben, Gefährdung unser aller Gesundheit. Die industrielle Landwirtschaft ist ohne Zweifel produktiv, effizient hingegen ist sie nicht. Artenvielfalt ist das „Immunsystem der Erde“.“

Um „Ausgewogenheit“ herzustellen, ließ die CZ dann  einige Tages darauf den Biobauer Carsten Marwede aus Endeholz zu Wort kommen. Man müsse nicht spritzen, um die Unkräuter auf den Feldern zu entfernen und die Qualität der Produkte zu erhalten, so seine Erfahrung. Im Ökolandbau würden die Felder ja nicht wie im „Versuch“ der „Pflanzenschützer“ sich selbst überlassen. Durch den Einsatz von Maschinen sei der Ökolandbau in der Lage, knapp 90 Prozent der Unkräuter umweltgerecht zu entfernen. Auch Marwede allerdings wagte eine globale Prognose, wonach allein aus dem Ökolandbau die stetig wachsende Weltbevölkerung nicht zu ernähren sei. Die CZ berief sich dann noch auf eine Studie, wonach in Deutschland im Jahr 2050 rund 60 Prozent mehr Lebensmittel benötigt würden als bisher. In Deutschland? Selbstverständlich nein. Es geht um eine Studie der Welternährungsorganisation (FAO) für die Weltbevölkerung.

Zahlreiche Studien und tendenziell auch der Weltagrarbericht zeigen, dass mit Bio-Landbau auch für eine wachsende Weltbevölkerung genügend Lebensmittel erzeugt werden könnten, wobei eine Voraussetzung die drastische Senkung des Fleischkonsums in den frühindustrialisierten Ländern ist. Das multifunktionale System der Bio-Landwirtschaft würde am ehesten den Anforderungen in Bezug auf Klima, Wasser und Nahrung gerecht.

Eine Abkehr von der industriellen Landwirtschaft hin zu diversifizierten agrarökologischen Systemen forderten zuletzt auch die Wissenschaftler*innen des International Panel of Experts on Sustainable Food Systems (IPES-Food). „Viele der Probleme in Ernährungssystemen sind eng mit der Einförmigkeit verknüpft, die der industriellen Landwirtschaft mit ihrer Abhängigkeit von Pestiziden und chemisch-synthetischen Düngern zugrunde liegt“, erklärt Olivier De Schutter, Ko-Vorsitzender von IPES-Food und ehemaliger UN-Sonderberichterstatter für das Menschenrecht auf Nahrung anlässlich der Herausgabe des Berichts „From Uniformity to Diversity: A paradigm shift from industrial agriculture to diversified agroecological systems“. „Wir brauchen ein grundlegend anderes Modell der Landwirtschaft basierend auf vielfältigen Höfen und Agrarlandschaften, die chemische Inputs ersetzen, Biodiversität optimieren und die Interaktion zwischen verschiedenen Arten anregen als Teil ganzheitlicher Strategien zur Schaffung langfristiger Fruchtbarkeit, gesunder Agrarökosysteme und sicheren Lebensgrundlagen – sprich vielfältige agrarökologische System“.