Über das „Lob der Jury“ des Ralf-Dahrendorf-Preises für Michael Ende

Am 27. August 2016 erschien in der Samstagsausgabe der CZ als Aufmacher ein Artikel von Lokalredakteur Michael Ende, für den ihm im Juni 2017 in Freiburg im Rahmen der Preisvergabe des „Ralf-Dahrendorf-Preises“ der Badischen Zeitung das „Lob der Jury“ zugesprochen wurde.

Die Preisstifter haben es sich auf die Fahnen geschrieben, alle zwei Jahre Lokaljournalisten zu ehren, die es verstanden haben, mit ihren Artikeln eine Art Kontrollfunktion über Politik und Verwaltung auszuüben, indem sie eine Transparenz hergestellt haben über etwas, was sich ansonsten der öffentlichen Kontrolle entzogen hätte.

Als aufmerksamer CZ-Leser machte einen die Ehrung stutzig, hatte man diesen Artikel doch längst als traurigen Höhepunkt einer kampagneartig anmutenden Serie von Artikeln Endes abgehakt. Eine Artikelserie, die dazu angetan schien, die Leser*innen davon abzuhalten, bei der Oberbürgermeisterwahl ihre Stimme dem Amtsinhaber Dirk-Ulrich Mende (SPD) zu geben. Über die Motive Endes wurde vielerorts gerätselt. Einige meinten, dass er lediglich zeigen wollte, dass er die Macht habe, den Wahlausgang zu beeinflussen. Jedenfalls hatte man eher eine Rüge vom deutschen Presserat als eine Belobigung erwartet.
Worum ging es in dem besagten Artikel?

Zwei Wochen vor der Kommunal- und Oberbürgermeisterwahl schrieb Ende einen Artikel auf Grundlage von nichtöffentlichen Protokollen des Celler Stadtrates, die ihm zugespielt worden waren (und fortan als CZ-Recherchen firmierten). Der Rat hatte einen möglichen Verkauf eines 140.000 m² großen Grundstücks im Gewerbegebiet Wietzenbruch an einen Peter Krämer für ca. zwei Millionen Euro einstimmig (bei 7 Enthaltungen) genehmigt. Dem Investor wurde auferlegt, die Kaufsumme bis zum 31.8. zu überweisen. Ein ähnliches Procedere spielte sich im schleswig-holsteinischen Rendsburg (Bürgermeister SPD, SPD stärkste Partei) ab, wo Peter Krämer der Stadt einen bestimmten Betrag bis zum 1. August 2016 hätte überweisen müssen, um miteinander ins Geschäft zu kommen. Da dort bis zum 1.8. kein Zahlungseingang zu verzeichnen war, war die Sache im gleichen Zug ad acta gelegt.

Endes Artikel vom 27.8. basiert auf vier Quellen: drei Protokolle der Stadt Celle aus Juni 2016, ein Telefonat mit Klaus Brunkert (CDU) aus Rendsburg, ein Telefonat mit dem Geschäftsführer von NiedersachsenMetall und ein Telefonat mit Herrn Krämer.

Die besagten Protokolle liegen uns mittlerweile auch vor. Daraus drei Beispiele: Aus dem Satz „Der Oberbürgermeister bittet den Rat um Zustimmung zu dem geplanten Vorhaben“ wurde bei Ende „Auf Drängen von Celles Oberbürgermeister Dirk-Ulrich Mende“.

Aus „Man habe hier große Bedenken, ob womöglich der Verdacht der Geldwäsche im Raume stehe. … Auch die Frage der Geldwäsche sei thematisiert worden; letztendlich sei die absolute Gewissheit für eine tatsächliche Investition nicht vorhanden“ wurde bei Ende: „Anderen Gerüchten zufolge sollte das Geld aus dunklen Quellen in Russland oder der Ukraine stammen. Irgendein Oligarch wolle hier sein „Spielgeld“ anlegen, hieß es.“
Im Telefonat mit dem Rendsburger CDU-Politiker Brunkert vermochte Ende ein Grinsen Brunkerts zu erkennen, als der Name Krämer fiel. Brunkert meinte zu wissen: „Ich weiß, dass der Celler Oberbürgermeister unheimlich heiß auf das Geschäft ist, das er im Wahlkampf gerne als Erfolg präsentieren würde – aber ich fürchte, daraus wird nichts.“

In Rendsburg schien es haargenau so gelaufen zu sein wie in Celle, nur dass dort keine Wahl anstand, die Presse (daher) keine Unterlagen zugespielt bekam und nichts darüber in der Presse erschien. Der Celler Stadtrat war laut Protokoll darüber informiert, dass Krämers Zahlungsfrist in Rendsburg der 1. August war. Brunkert sagt: „Er versuchte Celle gegen uns auszuspielen, und sagte, wenn er hier nicht zum Zuge komme, werde er eben in Celle investieren.“ Wir halten Krämer auch für eine Art Hochstapler oder Träumer, aber gesetzt den Fall, dass er sich gegen Rendsburg und für Celle entschieden hätte und die zwei Millionen bis zum 31. August nach Celle hätte überweisen wollen und können, dann wäre der CZ-Artikel vom 27. August kontraproduktiv gewesen und hätte keinen imaginären Schaden von Celle – wie behauptet – abgewendet, sondern Schaden verursacht.

Am Schluss der Laudatio auf Ende heißt es „Für die erfolgreiche Erfüllung dieser Aufgabe hat sich - zugegebenermaßen - die Cellesche Zeitung schon ein wenig selbst gelobt.“ Was wohl auf den Schlussakkord von Endes Artikelserie „Investor“ gemünzt ist, wo dieser gönnerisch schrieb: „Die CZ berichtete, und es dauerte nicht einmal eine Woche, bis der Irrsinns-Deal vom Tisch war. Eigentlich hätten die Verantwortlichen das selbst erledigen müssen. Aber so: Bitte sehr, gern gescheh‘n.“


Interview mit Dirk-Ulrich Mende:
„Das finanzielle Risiko der Stadt war auf Null gesenkt.“

??: In welcher Position befindet man sich einerseits rechtlich als Stadt, andererseits konkret als Oberbürgermeister Mende in Celle, wenn ein potenzieller Käufer einer Gewerbefläche mit der Stadt über einen Verkauf verhandeln will?

!!: Wenn ein potenzieller Investor Gewerbefläche erwerben will, steht ihm und stand ihm, auch bei mir, zu allererst die Tür offen. Die Wirtschaftsförderung unter Leitung von Herrn Faber hatte die klare Ansage, sich intensiv um jeden Investor zu kümmern. Wir können uns als Stadt nur freuen, wenn hier jemand investiert und neue Jobs schafft. Wenn die Verkaufsverhandlungen positiv laufen, die Bonität geprüft ist und wir entsprechende Sicherheiten haben, wird eine Vorlage für den Rat gefertigt und, wenn der Rat beschließt, der Verkauf durchgeführt.

??: Michael Ende stellt Sie als jemand dar, der erst dank seines Artikels aus allen Träumen gerissen worden sei. Wie war Ihr Eindruck von Herrn Krämer? Haben Sie geglaubt, dass das Vorhaben zustande kommt oder waren Sie eher skeptisch?

!!: Wir, das heißt sowohl der betreuende Sachbearbeiter, der Fachdienstleiter und ich hatten von Beginn der Verhandlungen und Gespräche Zweifel. Diese konnte Herr Krämer in der Regel immer wieder soweit zerstreuen, dass wir ihm keine Ablehnung und keine Beendigung der Gespräche angedroht haben. Ich glaube auch bis heute, dass eine solche vorzeitige Beendigung von der CZ und der CDU aufgegriffen worden wäre unter dem Aspekt - "Mende kann keine Wirtschaftsförderung" bzw. "Mende verhindert Großinvestition in Celle".

??: In der CZ ist von einer „geheimen Ratssitzung“ und von Beschlüssen, die der „geheime Rat“ fasste, die Rede. Warum wurde nicht öffentlich verhandelt?

!!: Nur zur Klarstellung – es hat keine "geheime" Ratssitzung gegeben. Es ist übliche Praxis und auch vom Gesetzgeber ausdrücklich vorgesehen, dass bestimmte Dinge und Sachverhalte nicht öffentlich besprochen und beschlossen werden. Das gilt insbesondere bei Grundstücksgeschäften, die werden immer in nichtöffentlicher Sitzung behandelt. Das ist ein erheblicher Unterschied gegenüber "geheim". Wenn ein Journalist das so berichtet, will er Stimmung machen und den Fokus ablenken von den eigentlich vorhanden Fakten.

??: Die Protokolle aus nichtöffentlichen Sitzungen sind vertraulich. Mit welchen Konsequenzen hat ein Ratsmitglied zu rechnen, wenn es die publik macht?

!!: Grundsätzlich ist ein Ratsmitglied verpflichtet, die Vertraulichkeit zu bewahren. Ausdrücklich wird ihm diese Verpflichtung zu Beginn der Ratstätigkeit auch abverlangt. Jedes Ratsmitglied, dass sich nicht daran hält, weiß, dass es sich rechtswidrig verhält. Angesichts der Anzahl von Ratsmitgliedern und des Informantenschutzes der CZ ist es aber im Grunde nicht möglich, strafrechtlich dagegen vorzugehen.

??: Eine naive Frage: Warum, glauben Sie, wurden Ende diese vertraulichen Protokolle zugespielt?

!!: Wenn Sie sich daran erinnern, dass zum Zeitpunkt der Veröffentlichung Oberbürgermeister-Wahlkampf war, liegt die Antwort doch auf der Hand: Man konnte damit Wahlkampf machen.

??: Ende schreibt: „Nach CZ-Informationen sollen sich Verwaltungsmitarbeiter mit „Mister Unbekannt“ sogar auf Tankstellen getroffen haben, um den Mega-Deal einzufädeln. Mysteriöse Agenten-Methoden wie aus einem schlechten Film.“ Für uns schwer vorstellbar allein aufgrund der Frage, unter welcher Kostenstelle Aufwände und Spesen dieser Art verbucht werden. Gab es diese Treffen wirklich? Welche Kosten sind denn in Summe angefallen? Fielen Notarkosten z.B. für das Einrichten des Notaranderkontos an?

!!: Ich habe Herrn Krämer nie auf einer Autobahnraststätte getroffen. Allein die Vorstellung ist absurd. Solche konspirativen Treffen gab und gibt es mit mir nicht. Mir ist auch nicht berichtet worden, dass einer unserer Mitarbeiter sich während der Dienstzeit solcher Agentenmethoden bedient hätte. Kosten sind keine angefallen. Auch das Notaranderkonto wurde ja nicht eingerichtet, da eine Zahlung nicht stattfand.

??: In der CZ stand, dass einer Firma, die sich auf einem Teil der besagten Fläche ansiedeln wollte, wegen „Krämer“ eine Absage erteilt worden sei?

!!: Das ist mir nicht bekannt. Ein ernsthaftes Ansiedlungsinteresse wäre aber sicher mit mir besprochen worden und in einer entsprechenden Vorlage dem Rat zur Entscheidung vorgelegt worden. Ich hätte einem ernsthaften Ansinnen eines anderen Investors den Vorzug gegeben.

??: Relativ zeitgleich verhandelte Krämer auch mit der Stadt Rendsburg. Was wussten Sie darüber?

!!: Ich wusste, dass Herr Krämer sich auch mit anderen Kommunen insbesondere mit der Stadt Rendsburg in Verhandlungen befand. Von Rendsburg wussten wir auch, dass dort der Zahlungstermin nicht eingehalten wurde. Auch den Rat haben wir sowohl im zuständigen Fachausschuss als auch in der nichtöffentlichen Ratssitzung umfassend informiert – nach Ablauf der Frist, nämlich des 31.8.2016, hätte ich den Rat auch darüber informiert, ob das Geld eingegangen / hinterlegt worden wäre oder nicht. Die Verhandlungen in Rendsburg hatten dagegen keine zwingende Präzedenzwirkung für Celle. Für die Stadtverwaltung war klar, dass der Herrn Krämer gesetzte Termin 31.8. abgewartet werden musste.

??: In Rendsburg schien es ja ähnlich wie in Celle zu laufen, nur dass Krämer dort die Kaufsumme bis zum 1. August und nicht wie in Celle bis zum 31. August zu überweisen hatte und dass dort seitens der Presse nicht darüber berichtet worden ist. Michael Ende stellt es so dar, als sei durch seinen Artikel finanzieller Schaden von der Stadt abgewendet worden. Welcher Schaden wäre denn der Stadt entstanden, wenn Endes Artikel nicht erschienen wäre?

!!: Keiner! Das war bereits in der Sitzung des Rates von mir so vorgetragen worden, dass ich darauf bestehen würde, dass das Geld auf einem Notaranderkonto hinterlegt ist. Damit war das finanzielle Risiko der Stadt auf Null gesenkt.

?? In der CZ vom 18. Juli 2017 steht ein Interview mit Thomas Faber, den Oberbürgermeister Jörg Nigge als "One-Stop-Agency-Faber" anpreist – also als personifizierte zentrale Anlaufstelle für Investoren. War Herr Faber bereits in der causa "Krämer" der zuständige Ansprechpartner?

!!: Herr Faber war damals der zuständige Fachdienstleiter, der gemeinsam mit seinem Sachbearbeiter die "Investition" von Herrn Krämer betreut hat. Er hat deshalb auch in der Sitzung des zuständigen Ausschusses die Ratsvorlage umfassend erläutert.

??: Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie von der Ehrung Michael Endes erfuhren?

!!: Herzlichen Glückwunsch an Herrn Ende, dem jede Auszeichnung zu gönnen ist. Aber warum fragt die Jury vor einer Preisverleihung nicht nach, ob das, was eine Zeitung als tolle Geschichte ausgibt, auch den Faktencheck besteht?

(Foto: Dirk-Ulrich Mende)