Päckchen statt Paket?
Als „Erfolgsgeschichte“ sieht der Landkreis Celle die Entwicklung der Inanspruchnahme des »Bildungs- und Teilhabepaketes« (BuT) für Kinder und Jugendliche. Zwischen 75 und 80 % der Anspruchberechtigten hätten im Landkreis Celle inzwischen Leistungen beantragt. Damit stünde der Landkreis im bundesweiten Vergleich wohl an der Spitze – nur: ein Faktencheck weist diese Zahlen bei genauerer Sicht als Übertreibung aus.
Das BuT war zum 1. April 2011 in Ergänzung zu Leistungen im SGB II (Hartz IV) und anderen Rechtskreisen (Kinderzuschlag, Wohngeldbezug, SGB XII und AsylbeLG) von der Bundesregierung in Kraft gesetzt worden. Nötig geworden war dies, weil das Bundesverfassungsgericht die Regelsätze für Kinder zu niedrig fand, der Zweck: die Bildungs- und Teilhabechancen zu vergrößern.
Obwohl das Gesetz jetzt fast zwei Jahre in Kraft ist, gibt es keine belastbaren statistischen Auswertungen. Die Kritik von Sozialverbänden war von Beginn an gravierend. Ein Beispiel: Im Juni vergangenen Jahres lud die Kinderkommission des Deutschen Bundestags mit Prof. Dr. Anna Lenze, Sozialrechtlerin an der Hochschule Darmstadt, und Dr. Rudolf Martens, Leiter der Forschungsstelle des Paritätischen Wohlfahrtsverbands, zwei Expert_innen. Beide sahen das größte Problem einhellig in der Tatsache, dass die Leistungen des Bildungs- und Teilhabepakets nur für knapp die Hälfte der leistungsberechtigten Kinder und Jugendlichen abgerufen werden.
Kulturelle Teilhabegerechtigkeit würde überhaupt nicht hergestellt, denn für diesen Leistungsbereich werden nach einer Untersuchung des DGB nur für 21 % der berechtigten Kinder- und Jugendlichen in städtischen Räumen und nur für 14 % in ländlichen Räumen Anträge gestellt. Was das durch die UN-Kinderrechtskonvention abgesicherte Recht auf Teilhabe am kulturellen Leben betrifft, komme der Staat seiner gesetzlichen Leistungspflicht somit kaum nach: „Für die absolute Mehrheit der Kinder bleibt der Bedarf an Persönlichkeitsentwicklung ungedeckt“, so Lenze. Verfassungsrechtlich bedenklich sei außerdem, dass Teilhabebedarfe nur da anerkannt und die vorgesehenen 10 Euro entsprechend ausgezahlt werden, wo Angebote vorhanden seien. „Wo nichts ist, da ist auch kein Anspruch“, monierte Lenze. Damit werde der Gleichbehandlungsgrundsatz aufgehoben und Kinder würden in ihren kulturellen Teilhabemöglichkeiten unzulässig benachteiligt. Abgesehen davon seien 10 Euro für soziale und kulturelle Teilhabe nicht bedarfsdeckend.
Und da soll gerade der Landkreis Celle die glorreiche Ausnahme bilden? Auf eine Anfrage der Kreistagsabgeordneten Behiye Uca (Die Linke) hin antwortete die Kreisverwaltung: „Insgesamt gibt es derzeit rund 7.000 anspruchsberechtigte Kinder im Landkreis Celle. Für ca. 5.700 dieser Kinder wurde bereits mindestens einmal ein Antrag auf Leistungen für Bildung und Teilhabe gestellt. Das entspricht einer Inanspruchnahme von knapp über 80 %.“
Mit der der Beantwortung der Anfrage beigefügten Anlage allerdings lässt sich diese positive Bilanz kaum belegen:
Im Dezember 2011 wurden für 3.117 Kinder und Jugendliche Leitungen gewährt. Der Anteil an den potenziell Anspruchberechtigten liegt damit – laut tabellarischer Angabe des Kreises – bei 44,53 Prozent. Im Juni 2012 stieg die Zahl nur geringfügig auf 3.166 Kinder und Jugendliche, bei einem prozentualen Anteil von 45,23 der Leistungsberechtigten. Auch wenn der Landkreis dies bestreitet: Es dürfte sich im wesentlichen um dieselben Leistungsempfänger_innen halten. Denn selbstverständlich werden die Leistungen im Jahr 2012 doch wieder von jenen beantragt, die dies auch 2011 schon gemacht haben. (Ohne Antrag gewährt werden die Leistungen für den »Schulbedarf«; sie sind deshalb nicht Bestandteil der Erfassung).
Die Frage ist, wie diese mit den 5.700 »Leistungsakten « zusammenpasst. Auskunft über die Zahl abgelehnter Anträge vermag der Kreis übrigens nicht zu geben.
Etliche Leistungen des BuT sind nicht neu, d.h. sie wurden vorher schon in anderer Form gewährt – das betrifft den »persönlichen Schulbedarf« (100 Euro pro Schuljahr), die Erstattung von Kosten für »Klassenfahrten « und die »Schülerbeförderung«; auch für »Schulausflüge « und »Mittagsverpflegung« gab es Regelungen. Wirklich neu sind einzig »Lernförderung« und »Teilhabe « eingeführt worden.
In seiner Antwort listet der Kreis auf, wie viel jeweils für die einzelnen Teilbereiche in 2011 und 2012 ausgegeben wurde; die Zahlen in EUR – die %-Angaben beziehen sich auf die jeweilige Gesamtsumme:
BuT-Teilbereich |
2011 in EUR |
in % | 2012 in EUR | in % |
Schulbedarf | 255.271 | 35% | 393.779 | 35% |
Mittagsverpflegung | 206.173 | 29% | 190.144 | 17% |
Klassenfahrten | 177.706 | 25% | 208.311 | 18% |
Lernförderung | 19.768 | 3% | 171.373 | 15% |
Teilhabe | 33.937 | 5% | 97.319 | 9% |
Schülerbeförderung | 18.557 | 3% | 48.418 | 4% |
Schulausflüge | 9.976 | 1% | 17.332 | 2% |
Summe | 721.392 | 1.126.678 |
Dass die Landkreisverwaltung sich die Umsetzung schönredet, wird mit Blick auf das Gesamtpaket deutlich: Celle standen im Jahr 2011 Haushaltsmittel für die Leistungen des BuT in Höhe von 1,494 Mio. Euro zur Verfügung; davon wurden 721.392 Euro für die Zweckausgaben des BuT verausgabt und die restlichen Mittel in das Jahr 2012 übertragen. Dort wurde es nicht für Zwecke des BuT ausgegeben, sondern für Schulsozialarbeit und ähnliches verplant. Im Jahr 2011 konnten also nicht einmal die Hälfte der Mittel an potenzielle Leistungsempfänger_ innen weitergegeben werden. Die Steigerung im Jahr 2012 auf 1,127 Mio. Euro ist allerdings eine beachtliche Steigerung.
Das ist drin im Bildungspaket
Teilhabe: Bedürftige Kinder sollen in der Freizeit nicht ausgeschlossen sein, sondern bei Sport, Spiel oder Kultur mitmachen. Deswegen wird zum Beispiel der Beitrag für den Sportverein oder für die Musikschule in Höhe von monatlich bis zu 10 Euro übernommen.
Schulbedarf:
Damit bedürftige Kinder mit den nötigen Lernmaterialien ausgestattet sind, wird ihnen zweimal jährlich ein Zuschuss überwiesen – zu Beginn des Schuljahres 70 Euro und zum zweiten Halbjahr 30 Euro.
Schülerbeförderung:
Insbesondere wer eine weiterführende Schule besucht, hat oft einen weiten Schulweg. Sind die Beförderungskosten erforderlich und werden sie nicht anderweitig übernommen, werden diese Ausgaben erstattet.
Lernförderung:
Bedürftige Schülerinnen und Schüler können Lernförderung in Anspruch nehmen, wenn nur dadurch das Lernziel - in der Regel die Versetzung in die nächste Klasse - erreicht werden kann. Voraussetzung ist, dass die Schule den Bedarf bestätigt.
Mittagessen in Kita, Schule und Hort:
Einen Zuschuss fürs gemeinsame Mittagessen gibt es dann, wenn Kita, Schule oder Hort ein entsprechendes Angebot bereithalten. Der verbleibende Eigenanteil der Eltern liegt bei einem Euro pro Tag.
Tagesausflüge und Klassenfahrten:
Eintägige Ausflüge in Schulen und Kitas werden zusätzlich finanziert. Die Kosten mehrtägiger Klassenfahrten werden erstattet.
Im ersten Jahr wurden nur 8 % der Leistungen für »Lernförderung« und »Teilhabe« ausgegeben, zusammen rund 54.000 Euro – in den ersten neun Monaten nach Einführung des Gesetzes hat die Landkreisverwaltung es ganz offensichtlich nicht verstanden, die Leistungen an die Berechtigten zu bringen. Die Steigerung von 2011 auf 2012 ist dann allerdings beachtlich: 24 % der Gesamtsumme wurden für die beiden neuen Leistungen verausgabt, zusammen rund 270.000 Euro.
Die Antwort der Landkreisverwaltung auf die detaillierte Anfrage von Behiye Uca ist dokumentiert auf der website www.linke-bsg.de; wer sie genauer analysiert, muss feststellen, dass die Verwaltung zu vielen wichtigen Fragen und Aspekten keine Antworten zu geben weiß – und so ist vielleicht nicht verwunderlich, dass an einer fachgerechten Umsetzung des BuT gerade hinsichtlich »Teilhabe« und »Lernförderung« gezweifelt werden kann.
Nachhilfe? – Geiz ist geil
Fraglos die wichtigste Ergänzung im Rahmen des BuT-Pakets ist die Erstattung von Kosten für Nachhilfeunterricht. Auch wenn die Kreisverwaltung sich im Dezember nicht in der Lage zeigte zu sagen, in wie vielen Fällen dieses Angebot in Anspruch genommen wurde – die gut 170.000 Euro die im Jahr 2012 dafür geflossen sind, weisen in die richtige Richtung.
Kein einziges Mal hat die Verwaltung in der Presse auf die Möglichkeiten dieser Unterstützung hingewiesen und spärlichere Hinweise als auf der Internetseite des Landkreises Celle dürfte man/frau wohl in der gesamten Republik nicht finden. Um so wirksamer dürfte die Schlagzeile „Missbrauch beim Bildungspaket“ sein, mit der die CZ am 3. Januar die Lokalseite aufmachte. Die Verwaltung bemüht den Begriff „Wildwuchs“ und meint damit Preise von über 25 Euro in der Stunde. Der Sozialamtsleiter Ralf Schumann nennt einen Preis von 45 Euro gegenüber der CZ „schlicht unverschämt“. Die Konsequenz: Die Verwaltung hat der Politik vorgeschlagen, künftig bei Einzelunterricht höchsten noch 25 Euro für die Zeitstunden – und das auch nur bei durch Lehrer_innen erteilten Unterricht zu zahlen. Bei Student_ innen dürfen es noch 15 Euro, bei Schüler_innen gerade mal noch 10 Euro sein. Der vertraulich tagende Kreissauschuss hat dieser Neuregelung wahrscheinlich im Dezember schon zugestimmt (der CZ war dies nicht zu entnehmen). Dem Landkreis dürfte es künftig schwer fallen, noch einen einzigen Handwerksauftrag zu vergeben, denn unter 45 Euro geht da gar nichts – aber bei der »Bildung« zählt scheinbar die Losung »Geiz ist geil«.
Weiter schränkt der Landkreis die Lernförderung insgesamt ein: Die Schule soll künftig nach sechs Monaten eine Bewertung abgeben; hält sie weitere Nachhilfe für „ineffektiv" wird die Zahlung eingestellt. Die zynische Begründung der Verwaltung, die sich die Politik zu eigen machte: Es sei „nicht Aufgabe der Grundsicherung [...], eine nicht ’nachhaltige’ Versetzung durch Mittel für Lernförderung zu unterstützen, durch welche Schüler/innen in der nächsten Klassenstufe überfordert werden und erneuter Bedarf entsteht, der durch die aus pädagogischer Sicht eigentlich angezeigte Wiederholung der Klassenstufe vermeidbar gewesen wäre. Gleiches gilt bei einem drohenden Wechsel der Schulform ’nach unten’.“