Wo sitzen die Verfassungsfeinde?
940 Autonome und sonstige gewaltbereite Linksextremisten hat der Verfassungsschutz im Jahr 2011 in Niedersachsen gezählt. Wenn die nicht alle in Göttingen leben, sondern sich statistisch gleichmäßig aufs Land verteilen, hätten wir in der Stadt Celle rund 9 davon und im Landkreis noch ein Dutzend dazu. Der Linksextremismus erreicht rein statistisch damit noch nicht einmal die Zahl der Einkommensmillionäre, also jener Menschen, deren jährlich zu versteuerndes Einkommen die Millionengrenze übersteigt - denn davon leben in der Stadt Celle statistisch 12 und im Landkreis zusätzlich 18 davon. Über die Einkommensmillionär_innen weiß das Finanzamt Bescheid und selbstverständlich sie selbst – über die Linksextremist_innen der Verfassungsschutz, aber die so Einsortierten eher nicht.
Wir sprachen mit einer Frau, die es jetzt schriftlich hat.
??: Du weißt jetzt, dass dich der VS als „Linksextremistin“ führt. Wie kam es dazu?
!!: Ich bin mal auf ein Portal namens „Datenschmutz“ aufmerksam geworden. Da gibt es zum download die entsprechend formulierten Anfragen. Mit einem so genannten Auskunftsersuchen hat jede_r das Recht zu erfahren, was über ihn oder sie gespeichert wird. In Wirklichkeit sieht das etwas anders aus, da dieses Recht auf Grund von Sicherheitsbedenken eingeschränkt werden kann. Auf dieser Website gibt es ein kleines Programm, mit dem bequem Auskunftsersuchen an alle möglichen »Sicherheitsorgane« hergestellt werden können. Das habe ich dann gemacht für den Niedersächsischen Verfassungsschutz und das LKA.
??: Und die haben dir geantwortet?
!!: Ja. Und die Antworten waren schon überraschend. Das Innenministerium teilte mir mit, dass über mich „neben allgemeinen biografischen Daten auch Erkenntnisse über den Verdacht linksextremistischer Aktivitäten bekannt sind“, über die man mir „jedoch keine Auskunft zu geben vermag, da einer Mitteilung Gründe nach § 13 Abs. 2 NVerfSchG entgegen stehen.“
??: Jetzt weißt du, dass du „linksextremistisch“ bist, aber nicht warum?
!!: In dem angeführten Paragrafen heißt es u.a., dass der VS keine Auskunft geben muss, wenn „durch die Auskunftserteilung Informationsquellen gefährdet würden oder die Ausforschung des Erkenntnisstandes oder der Arbeitsweise der Verfassungsschutzbehörde zu befürchten ist.“
??: Das heißt?
!!: Ich denke, sie wollen einen VS-Spitzel schützen. Denn sie haben in dem Schreiben im weiteren schon noch drei konkrete »Tatbestände« genannt. Da war zum einen, dass ich mich unter den Unterzeichner_innen des - wie es heißt – „maßgeblich von linksextremistischen und linksextremistisch beeinflussten Gruppen initiierten Kampagne »Castor! Schottern?« befunden“ hätte. Dann noch, dass ich „am 9. Juli 2009 eine - im weiteren Verlauf von der Polizei aufgelöste - Demonstration gegen die Veranstaltung »Celler Trialog« geleitet“ hätte. Dazu ist zu sagen, dass ich tatsächlich - nachdem die ganze Altstadt zur demonstrationsfreien Zone erklärt worden war - mit einer kleinen Gruppe gegenüber vom Schloss ein Transparent gehalten habe. Auf dem Transparent war übrigens zu lesen: „Abschaffung der Bundeswehr - Schwerter zu Pflugscharen“. Als die Polizei nicht einmal diese kleine Meinungsäußerung erlauben wollte, habe ich versucht, das Ganze als Spontandemonstration anzumelden. Mit dem Ergebnis, dass die Versammlung aufgelöst wurde, die Teilnehmer_innen ein Aufenthaltsverbot für die Altstadt bekamen und gegen mich ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde. Das wurde im Übrigen eingestellt. So bin ich für den VS halt eine »aktenkundige « Person. Was das Ganze aber kurios macht, ist folgender »Vorwurf«: Ich sei „als Aktivistin der Gruppierung »Die Überflüssigen« auf[ge]treten“. Nun habe ich sicher nicht mehr alles aus meiner »linksextremistischen « Vergangenheit in Erinnerung. Aber bei aller Sympathie für »Die Überflüssigen« - ich habe nicht einmal ein T-Shirt dieses Zusammenhangs und mit Sicherheit nie an einer Aktion teilgenommen. Ich denke, da hat sich ein VS-Spitzel einfach etwas ausgedacht für ihren oder seinen Lohn.
§ 13 - Auskunft an Betroffene
(1) Die Verfassungsschutzbehörde erteilt Betroffenen auf Antrag unentgeltlich Auskunft über die zu ihrer Person gespeicherten Daten. Die Auskunftsverpflichtung erstreckt sich nicht auf die Herkunft der Daten und die Empfänger von Übermittlungen. Über Daten aus Akten, die nicht zur Person der Betroffenen geführt werden, wird Auskunft nur erteilt, soweit die Daten, namentlich aufgrund von Angaben der Betroffenen, mit angemessenem Aufwand auffindbar sind. Die Verfassungsschutzbehörde bestimmt Verfahren und Form der Auskunftserteilung nach pflichtgemäßem Ermessen.
(2) Die Auskunftserteilung kann nur abgelehnt werden, soweit
1. die Auskunft die öffentliche Sicherheit gefährden oder sonst dem Wohl des Bundes oder. eines Landes Nachteile bereiten würde,
2. die Daten oder die Tatsache ihrer Speicherung nach einer Rechtsvorschrift oder wegen der berechtigten Interessen von Dritten geheim gehalten werden müssen oder 3. durch die Auskunftserteilung Informationsquellen gefährdet würden oder die Ausforschung des Erkenntnisstandes oder der Arbeitsweise der Verfassungsschutzbehörde zu befürchten ist. [...]
(3) Die Ablehnung einer Auskunft bedarf keiner Begründung, soweit durch die Begründung der Zweck der Ablehnung gefährdet würde. Die Gründe der Ablehnung sind aktenkundig zu machen. Wird der antragstellenden Person keine Begründung für die Ablehnung der Auskunft gegeben, so ist ihr die Rechtsgrundlage dafür zu nennen. [...]
Gesetz über den Verfassungsschutz im Lande Niedersachsen (Niedersächsisches Verfassungsschutzgesetz - NVerfSchG - )
??: Aber nachweisen lässt sich das nicht?
!!: Ich versuche jetzt noch, über ein Anwaltsbüro Akteneinsicht zu bekommen. Aber, ob das was wird ...
??: Du bist jetzt also „Linksextremistin“, weil du „Castor schottern“ unterschrieben hast und weil du eine antimilitaristische Spontanaktion legalisieren wolltest?
!!: Ja - so sieht das aus. In beiden Fällen, ich sag's noch einmal, ohne jegliche Verurteilung oder Bußgeldbescheid. In beiden Fällen ging es ausschließlich um das Recht auf freie Meinungsäußerung. Da finden sich in den deutschen Medien für Russland oder die Ukraine ja immer Verfechter_innen - zurecht, aber dann kaum ein kritisches Wort gegen das tagelange Verbot jeglicher Proteste in Frankfurt bei den Blockupy-Tagen.
??: Warum nervt diese Kategorisierung »Linksextremistin«?
!!: Überall, wo meine Personalien aufgenommen werden, habe ich jetzt den Eindruck, dass die Alarmsirenen angehen. Bei Blockupy im Mai 2012 bin ich wie tausend andere in Gewahrsam genommen worden. Im Unterschied zu anderen, die mit mir in einer Zelle waren, wurde mir ein Telefongespräch verweigert. Gibt's einen Zusammenhang? Ich weiß es nicht. Wenn es mal wieder darum geht, eine Demonstration oder Spontanaktion anzumelden, kann ich das praktisch nicht mehr machen; denn dadurch, dass ich ein Bürgerrecht in Anspruch nehme, gerät gleich die ganze Aktion in den Verdacht, »linksextremistisch« gesteuert zu sein.
??: Nachdem du hier und da von deinen Erfahrungen erzählt hast, haben auch andere Leute aus Celle Auskunftsersuchen gestellt. Weißt du etwas von den Ergebnissen?
!!: Soweit ich das mitbekommen habe, bin ich bisher die einzige »Linksextremistin« der Stadt.
??: Letzte Frage - was hältst du von der VS-Kategorie "Linksextremismus"?
!!: Im Niedersächsischen VS-Bericht ist zu lesen: „Linksextremisten greifen die in der Französischen Revolution proklamierten Werte Freiheit und Gleichheit in radikaler Zuspitzung auf und wollen den Menschen aus allen politischen und ökonomischen Abhängigkeiten befreien.“ Das ist zwar ziemlich platt formuliert; aber ja: Es geht um Freiheit und Gerechtigkeit und Internationalismus selbstverständlich. Wenn das »Linksextremismus« ist, könnte ich mir denken, bin ich in Celle doch nicht allein auf weiter Spur.