Warum der Standort zu Thaer passt

Gern schmücken sich Städte mit Geistesgrößen, die in ihren Mauern das Licht der Welt erblickten oder wirkten. Kant verbinden wir mit Königsberg, Beethoven mit Bonn und Uwe Seeler mit Hamburg.
Schauen wir in die „Liste von Persönlichkeiten der Stadt Celle“ bei wikipedia werden zwar 180 Namen aufgelistet, von denn aber die Monika Mustermanns außerhalb der Kreisgrenzen wohl nur Hermann Löns und Roland Freisler, vielleicht noch Lilo Wanders kennen. Ein Alkoholiker, ein Verbrecher und ein Travestiekünstler. Nicht gerade ein Angebot, aus dem sich „Stolz“ oder „Identität“ basteln ließen.

Seit seinem 200. Geburtstag im vergangenen Jahr versucht eine Ernst-Schulze-Gesellschaft vielleicht auch deshalb, den „One-Hit-Wonder“-Poeten des frühen 19. Jh. zu einem kleinen Dichterfürsten aufzupimpen.

Und jetzt soll uns interessieren, ob die Marmorfigur Albrecht Thaers auf dem rechten Platz steht. Auf Anregung von Oskar Ansull fordert jetzt die SPD-Fraktion Thaers Umzug in abgasfreieres Terrain: „Der aktuelle Standort ist in vielerlei Hinsicht problematisch. Zwei Bundesstraßen treffen hier aufeinander, und der aus der Stadt strömende sowie in die Stadt fließende Autoverkehr führt unmittelbar am Denkmal vorbei. Die Emissionen verursachen Ablagerungen auf dem Marmor des Standbildes und lassen die Feinheiten und die Besonderheiten der ästhetisch anspruchsvollen Gestaltung des Denkmals nicht mehr erkennen.“

Zwei – zugegeben polemische – Anmerkungen:

Es ist einigermaßen verrückt, sich Sorgen zu machen über die Schäden, die Emissionen an einer Marmorfigur verursachen, aber sich gleichzeitig nicht daran zu stören, dass Menschen an diesem Verkehrsknotenpunkt weiterhin diesen Emissionen (wenn auch nicht rund um die Uhr) ausgesetzt sind. Anders gesagt: Der Standort ist nahezu perfekt, weil sich am Zustand der Figur die Notwendigkeit der Verkehrswende zeigt. Und wenn – was aus anderen Gründen erforderlich ist, in gut zehn Jahren der Verbrennungsmotor verboten würde, wird unser Thaer die Belastungen bis dahin schon durchstehen. (Egal, ob mit oder ohne Ostumgehung.) Und wenn nicht, ist's weder schade um ihn, noch um uns.

Zweitens: Selber schuld! Was uns die Tourismuswerbung über Thaer wissen lässt, ist, dass er der Vater der rationellen Landwirtschaft sei. Fraglos haben einzelne seiner „Lehren“ (z.B. Fruchtwechsel) die Landwirtschaft effektiver gemacht. Wenig beachtet wird darüber, dass er für einen Paradigmenwechsel steht. In Thaers Hauptwerk „Grundzüge einer rationellen Landwirtschaft“ sieht Erwin Morgenthaler den ersten Höhepunkt einer Entwicklung, in der „die Landwirtschaftslehre von der beratenden Beschreibung einer ganzheitlichen Lebensform zu einer fachwissenschaftlichen Disziplin innerhalb der Wirtschaftswissenschaften“ wird, „bei der nicht mehr das Wohl der gesamten Schöpfung oder das Allgemeinwohl im Vordergrund steht, sondern in erster Linie die privaten Gewinninteressen des Wirtschaftenden“.

In den „Grundzügen“ heißt es:

„Die Landwirtschaft ist ein Gewerbe, welches zum Zweck hat, durch Produktion [...] vegetabilischer und thierischer Substanzen Gewinn zu erzeugen oder Geld zu erwerben. […] Die vollkommenste Landwirthschaft ist also die, welche den möglichst höchsten, nachhaltigen Gewinn [...] aus ihrem Betrieb zieht.“

Dass diese Sichtweise den Planeten – und damit unsere Lebensgrundlage – an den Abgrund bzw. darüber hinaus bringen würde, konnte Thaer nicht ahnen. Da wir es aber wissen, gibt es keinen Grund, ihn abzufeiern. Denn sein Denken führte notwendig zu Massentierhaltung, Pestizideinsatz, Überdüngung. So gesehen ist er eben selbst schuld, wenn seine Marmorfigur heute von den Segnungen der kapitalistischen Moderne zerfressen wird.