Soziale Gestaltungsmöglichkeiten erhalten

Wie schon im Jahr 2002 wird heute wieder über die Möglichkeit gesprochen, die Aufgaben der Jugendhilfe der Stadt Celle dem Landkreis Celle zu übertragen. Und genau wie vor 15 Jahren wird von der Verwaltung eine mögliche Verlagerung einzig unter finanziellen Gesichtspunkten diskutiert. Hierbei geht es um Beträge von 1 bis 1,5 Millionen Euro, die auf den ersten Blick zunächst eingespart werden könnten.
2002 hatte nun der Rat mehrheitlich entschieden, auf die Abgabe an den LK Celle zu verzichten; dazu seinerzeit Joachim Falkenhagen von der FDP in der Celleschen Zeitung vom 9.03.2002: „Eine Stadt wie Celle sollte sich diese sozialen Gestaltungsmöglichkeiten erhalten.“ Falkenhagen gehört auch heute noch dem Celler Stadtrat an.

Hintergrund ist die desaströse Haushaltslage der Stadt. Die Übertragung der Jugendhilfe an den Landkreis war einer der Vorschläge, die vor vier Jahren herauskamen, als die „Kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsmanagement“ (KGSt) im Auftrag der Stadt den Haushalt auf Sparmöglichkeiten durchsuchte.

Freiwillige Leistungen auf der Kippe

Die politischen Folgen einer Abgabe an den Landkreis wären der Verlust der Entscheidungshoheit über die städtische Jugendhilfe, die dann im Jugendhilfeausschuss des Landkreises in der Bedeutung den Landkreisgemeinden gleichgesetzt und befänden sich so außerhalb der direkten Einflussnahme der Stadt. Diese Übertragung, politisch einmal entschieden, wäre dann unwiderruflich.
Die meisten Aufgaben, die dem Allgemeinen Sozialen Dienst (ASD) der Stadt gestellt sind, sind Pflichtaufgaben. Das bedeutet, der Landkreis müsste diese weiterführen. Entscheidend an diesem Punkt ist allerdings, dass die Ausgestaltung der Leistungserbringung frei ist.

Dann gibt es Projekte und Maßnahmen, maßgeschneidert für die Stadt, die über Jahrzehnte entwickelt und aufgebaut, sich für die Stadt bestens bewährt haben, aber vom Landkreis nicht zwingend weitergeführt werden müssten.

Die Jugendhilfe der Stadt Celle ist sozialraumorientiert aufgestellt, d.h., dass in sechs Stadteilprojekten niederschwellige Hilfen stadtteilbezogen für Kinder, Jugendliche und Familien angeboten und entwickelt werden. Diese Projekte, teils verbunden mit ambulanten und teilstationären Hilfen schon seit dem Jahr 2000 mit vier freien Trägern der Jugendhilfe (VSE, Lebenshilfe, Lobetal und Caritas) umgesetzt, werden in einem „Sozialraumbudget“ verwaltet . Überprüft werden diese Hilfen im Rahmen einer Qualitätsentwicklungsvereinbarung. Die Preissteigerungsrate dieses Budgets lag über viele Jahre unterhalb der vergleichbarer Maßnahmen.

Ergänzend hierzu gibt es weitere präventive Angebotsformen (die Betonung liegt auf „präventiv“, der Landkreis setzt da eher auf „nachsorgende“ Maßnahmen). Zu nennen sind

1. Pro Kids, Pro Kids Schule und For Youth (kriminalpräventive Gruppenangebote nicht straffälliger Kinder und Jugendlicher),
2. Lernförderung an Grundschulen (Angebot für Schüler*innen mit Teilleistungsstörung),
3. Unterstützende Sozialarbeit (flexibles Angebot für Schulen mit vielen seelisch behinderten Schüler*innen),
4. STEP-Eltern-Training (dient der Befähigung von Eltern zur Erziehung ihrer Kinder).

All diese Maßnahmen und Projekte wären bei einer Abgabe an den LK Celle außerhalb der Entscheidungsbefugnis der Stadt und könnten möglicherweise ganz entfallen, sollte der Landkreis so entscheiden.
Die Kosten der Pflichtaufgaben trügen natürlich der LK, die der präventiven Maßnahmen, sollte er diese weiterführen, würden mittelfristig über die Kreisumlage verrechnet.

Prävention oder „Nachsorge“?

Der Natur der Sache entsprechend, lassen sich die Erfolge bzw. wie sich diese präventiven Maßnahmen auswirken, nun mal nicht in Euro und Cent ausrechnen. Und so wird dem Oberbürgermeister und der Politik schwer zu vermitteln sein, dass sich letztendlich die Präventionsmaßnahmen, die seit Jahrzehnten in guter Qualität von der Jugendhilfe zusammen mit den freien Trägern angeboten werden, sich eben doch „rechnen“. Richtig teuer wird es doch für uns alle, sollten wir uns erst dann um die Kinder und Jugendlichen kümmern, wenn sie – bildlich gesprochen – in den Brunnen gefallen sind.

Den betroffenen Mitarbeiter*innen – es sind rund 70 - wird zur Zeit allerhand zugemutet. Sie bekommen keine Informationen, wie sich die Sache entwickelt. Von einer Teilhabe an Diskussionen über diese möglicherweise enormen Veränderungen kann nicht die Rede sein. Dabei stehen bei ihnen gar nicht mal die persönlichen Arbeitsbedingungen, die sich ändern könnten, im Vordergrund; die meisten Befürchtungen von ihnen beziehen sich vor allem auf die Qualität der bestehenden Arbeitsergebnisse.

Natürlich stellen auch solche Umwälzungen, die ja möglicherweise nicht nur mit dem Auswechseln eines Bürotürschilds daherkommen, für viele eine Bedrohung dar. Deshalb sollte es eine inhaltliche Auseinandersetzung mit allen Beteiligten geben, bevor da Politik nur mit dem Taschenrechner gemacht wird.

Für unsere Stadtgesellschaft stellte es sich auf jeden Fall als eine Bereicherung dar, könnten diese über lange Jahre gewachsenen und erprobten Hilfen weiterhin angeboten werden.
Entscheidung liegt bei der Stadt

Im Finanzausschuss des Landkreises machte Landrat Wiswe zweierlei deutlich: Die Entscheidung, ob es zu einer Aufgabenübertragung komme, liege allein bei der Stadt. Wenn es dazu komme, würden in jedem Fall originäre Landkreisaufgaben der Jugendhilfe übernommen, aber – so das Protokoll: „bei der von der Stadt durchgeführten Schulsozialarbeit könne er sich das nicht vorstellen.“

Die SPD-Ratsfraktion hat zwischenzeitlich beantragt, „die Jugendhilfe (P?icht- und freiwillige Aufgaben) bei der Stadt Celle zu belassen und sie nicht (auch nicht teilweise) an den Landkreis zu übertragen.“ Zur Begründung heißt es u.a.:

„In der Stadt Celle kann und darf auf die Besonderheiten der Jugendhilfe nicht verzichtet werden. Der Bevölkerungsstruktur in der Stadt Celle muss Rechnung getragen werden und kann mit der im Landkreis nicht verglichen werden. […] Durch die hervorragende fachliche Jugendhilfe in der Stadt Celle wurde in den letzten Jahren eine ausgewiesene Expertise erarbeitet. Nicht zuletzt auch durch präventive Angebote, wodurch soziale Verwerfungen und deren Konsequenzen minimiert wurden. Ein Beispiel hierfür ist u.a.‚ dass es gelungen ist. die Kriminalität zu senken. Für die Mitglieder des Rates der Stadt kommt hinzu, dass die Aufgabe der Jugendhilfe ein wesentlicher Bereich der kommunalen Entscheidungen ist. Sollte die Jugendhilfe zum Landkreis wechseln, entscheidet künftig nicht mehr der Rat der Stadt über die relevanten Angebote der Jugendhilfe in der Stadt. sondern der Kreistag.“

Andere Fraktionen haben sich öffentlich bisher nicht positioniert. Aber sollte es nicht gelingen, die Diskussion von der Finanz- auf die Fachebene zu bringen, dürfte sich eine Ratsmehrheit für die Übertragung an den Landkreis finden.

Ende Oktober stellte die Fachverwaltung im Jugendhilfeausschuss den „Jugendhilfereport 2016“ vor. Wer sich ein Bild von der Arbeit machen will, kann sich den Report herunterladen unter der Adresse:
https://celle.allris-online.de/bi/___tmp/tmp/45081036743742202/743742202/00148845/45-Anlagen/01/Jugendhilfereport2016-Onlinefassung.pdf