… sich ironisch über den Kapitalismus äußern

 

Noch bis August 2018 zeichnet eine Ausstellung im Bomann-Museum erstmals und umfassend Leben und Werk von RWLE Möller nach. Als „Stadtchronist, Paradiesvogel, Künstler“ zeigt ihn auch der umfangreiche Begleitband.

„Bist Du ein Provinz-Heini?“ wurde RWLE Möller vor 20 Jahren für das Celler Alternativblatt PUBLIZ gefragt. Seine Antwort: „Wenn man es so bezeichnen will, dass man an dem Ort, wo man gerade mal sitzt, sich auch engagiert, bin ich sicherlich ein Provinz-Heini, aber ich denke schon, dass ich mit meiner Literatur und Malerei überall fester verwurzelt bin als in dieser Stadt.“ Genau dieses Spannungsverhältnis wird in der Ausstellung deutlich. Wir wollen uns im Folgenden aber mit dem „Provinz-Heini“ beschäftigen – und zwar mit seinem im engeren Sinn politischen Engagement.
Über eine Erfahrung in Sachen „Meinungsfreiheit“ berichtete Möller in der Schülerzeitung „bi“ im Jahr 1971 unter dem Titel „unzensiertes schwarzes brett“:

„Vielleicht haben einige von euch im Kunsttrakt ein "Unzensiertes Schwarzes Brett" gesehen. Das stand aber nur ein paar Tage dort, dann wurde es auf Anweisung des Direktors zur Wand gedreht. In einem Gespräch mit ihm erfuhr ich, daß er den Eindruck vermeiden wolle, es würde in dieser Schule (von ihm) zensiert. Er warf mir vor, daß wir die "95prozentige Meinungsfreiheit", die uns gewährt würde, nicht zu würdigen wissen, sondern die "5 %", die wir nicht hätten, zu einem Politikum "aufbauschen" würden. Er persönlich behielte sich vor, gewisse Dinge zu zensieren, bei denen er mit der Elternschaft, der er verantwortlich sei, konform ginge. Ich bot dann freiwillig an, das unzensierte schwarze Brett zu entfernen, da sein Zweck erfüllt war, nämlich zu zeigen, daß Meinungsfreiheit in dieser Schule nicht garantiert ist.“ (R. Möller, aus: bi/3, S 5.)

Im Juli 1971 war Möller als Vertreter ebendieser Schülerzeitung in das hannoversche Kultusministerium eingeladen, wo er von Minister von Oertzen den Preis für die beste Schülerzeitung des Jahres 1970 erhalten sollte. Parallel war gerade eine neue Ausgabe beim Verlag der CZ zum Druck eingereicht. Doch Verleger Georg Pfingsten wies den Druckauftrag zurück und schrieb an von Oertzen: „... erlaube ich mir, Sie davon zu unterrichten, daß die ähnliche Crew, die lt. Impressum auch für die "bi II" verantwortlich zeichnet, ein neues Heft "bi III" herauszubringen beabsichtigt mit einer Sonderbeilage "Über eine notwendige Veränderung unserer Einstellung zur Sexualität". [...] In Anbetracht der obwaltenden Umstände kann ich - und nicht nur ich - mir nicht vorstellen, daß Sie diese Belobigung des Chefredakteurs vornehmen, denn das könnte sonst möglicherweise zu einem Skandal in Celle und darüber hinaus führen."

Dem Elternratsvorsitzenden des HBG, Karl Heinz Gesemann, wurde - von wem wohl - die noch nicht erschienene Ausgabe der "bi" zugespielt. Er wandte sich an den Schulleiter, Dr. Heinrich Thomas: „Grundsätzlich habe ich den Eindruck, daß sich die verantwortliche Redaktionsgruppe Anarchie auf allen Gebieten zum Ziel gesetzt hat. [...] Den Beitrag von R. Möller auf Seite 5 "Unzensiertes schwarzes Brett" betrachte ich als Frechheit gegenüber dem Direktor des HBG, der in der Vorstellung der Elternschaft nun einmal für den Bereich Schule verantwortlich ist. Kein Direktor, der den Schulbetrieb ordnungsgemäß durchführen will, kommt darum herum, Grenzen zu setzen und für die Einhaltung der Grenzen zu sorgen. Die untere Darstellung auf Seite 18 der Biblischen Geschichte (l) "Pattex klebt mit Superkraft" (Jesus am Kreuz) zielt auf eine Verunglimpfung der Kirche.“

Selbstverständlich kommt Gesemann auch auf das „Thema Sexualität“: „Diese Beilage ist nach Aufmachung, Sprache und Abbildungen ein ganz übles Underground-Machwerk, über das die Elternschaft entsetzt sein würde, falls es ihr in die Hände käme.“

Diese scharfe Reaktion kann aus heutiger Sicht überraschen. Aber: Sex und (antiautoritäre) Politik waren in den späten 1960er Jahren Felder, auf denen sich der Konflikt von Heranwachsenden und Schule abspielte.

Schaut man/frau sich heute die 24-seitige Beilage der "bi" des Jahres 1971 an, findet man das Gegenteil von Pornografie und höchstens eine Prise Provokation. Es ist eine sozialpsychologische Auseinandersetzung mit dem Thema "Jugend und Sexualität", für die es an den meisten Unis einen Hauptseminarschein gegeben hätte.

Selbstverständlich verhängte der Direktor des HBG ein Verkaufsverbot. Die Redaktion entschloss sich daraufhin zum Straßenverkauf. In einer größeren Stadt wäre es das wahrscheinlich gewesen. In der kleinen untersagte das Ordnungsamt mündlich den Straßenverkauf und die CZ machte am 27. Juli 1971 ihre Drohung wahr und fragte scheinheilig „Bahnt sich in Celle ein Skandal an?“, um dann weiter zu titeln „Pornographie als Schülerzeitung getarnt“. Das „Pamphlet“ sei geeignet, den öffentlichen Frieden zu stören. Am Ende des Artikels werden namentlich alle verantwortlichen Redakteure aufgeführt. Heute fast ein "Who's who" der Generation.

Im September ermittelte die Polizei. Zwei Redakteure wurden vorgeladen. Die Vernehmungen bezogen sich – so Möller später - auf Gotteslästerung, Planung der Weitergabe unzüchtiger Schriften an Minderjährige und Boykotthetze. Das Verfahren wurde eingestellt.

Das Ganze war ein Lehrstück in Sachen Meinungs- und Kunstfreiheit und hatte in der Provinz seine besondere Seite darin, dass sich niemand fand – weder aus den Reihen der SPD, noch der Gewerkschaften oder des Lehrkörpers, die/der sich öffentlich solidarisch auf die Seite der Schülerzeitungsredakteure geschlagen hätte.

Nach dem Abitur verbrachte Möller drei Jahre in Berlin. Nach Celle zurückgekehrt fand er eine ernüchternde Situation vor. Von den antiautoritären Milieus seiner Schulzeit waren nur eher unpolitische Ausläufer der Hippie-Bewegung geblieben, während autoritär strukturierte Gruppen der ML-Parteien und der DKP den linken Ton angaben. Das änderte sich erst Ende der 1970er Jahre, als die autonome Frauenbewegung und die Initiativen der Anti-AKW-Bewegung Anlaufpunkte für emanzipative Orientierungen boten.

Zu diesen Milieus fand Möller dann über seine (freie) Mitarbeit an der Alternativzeitung „Celler Zündel“ einen Zugang. Die fünfte Ausgabe vom September 1981 zeigt auf der Rückseite ein Foto seines Bildes „Die Einführung des Kabelfernsehens“ (siehe unten links) und veröffentlicht wurde der Auftakt eines zweiteiligen Artikels zu Celles jüngerer Stadtentwicklung. Darin entfaltete er eine scharfsinnige Kritik gegen die Zurichtung der (Alt-)Stadt auf den Konsum. Daneben ging es u.a. auch um den Abriss von Fabrikgebäuden der Gründerzeit. Im Sound der kritischen Theorie schreibt Möller:

„Es mutet seltsam an, daß gerade in einer Zeit der Hyperindustrialisierung der Beginn ebendieser weggewischt wird wie eine lästige Erinnerung. Es mutet an, als müsse man sich für die Produktionsstätten der Waren schämen und sie verstecken, um diese dann als vom Himmel gefallene Produkte in als Einzelhandelsläden getarnten Geschäften vorzuzeigen. Das Abtun dieser Gründerzeit- und älteren Gebäude als häßlich und das Stadtbild störend erweist sich hier als pervers, wenn noch größere und als Produktionsstätten ebenso unmenschliche Gebäude an der Peripherie der Stadt neu erstellt werden.“ (Celler Zündel, Nr. 5, Sept. 1981, S. 20)

Möller schrieb seitdem immer wieder für die alternativen Szeneblätter – nach dem „Zündel“ für die „Schlaglichter“, die „Celleschen Anzeigen“, „Publiz“ und „revista“. Und er hielt ihnen die Treue, auch nachdem sich für ihn Veröffentlichungsmöglichkeiten (mit Zeilenhonorar) in der CZ und anderen auflagenstärkeren Magazinen ergeben hatten.

Im eingangs erwähnten Interview kommt Möller darauf zu sprechen, warum er seine Malerei „Ironischer Realismus“ nennt:

„Meine Art Malerei ist halt realistisch, nicht fotorealistisch – den Anspruch hatt' ich auch mal – allein ein Foto zu übertragen bringt nichts, das kann man ja auch als Poster oder auf Leinwand drucken. Aber nochmal kurz - der ironische Realismus ist für mich auch der Kapitalistische Realismus, weil mir der Sozialistische Realismus - obwohl ich Sozialist war - zu brav angepaßt und mir der Kapitalistische Realismus, also die Pop-Art doch angebrachter erschien in diesem unseren Lande und ich denke, das habe ich auch noch beibehalten. Man kann natürlich nur in dieser Welt sitzen und sich ironisch über den Kapitalismus äußern. Mehr denn je.“

Wichtig für die Entwicklung dieses Stils war auch die Auseinandersetzung mit der Celler Stadtpolitik – oder besser: deren Eliten, die Möller in den frühen 1980er Jahren aufs Korn nahm: Oberbürgermeister Helmuth Hörstmann, Verleger Georg Pfingsten, CZ-Redakteur Walter Zuzan. In seinem Beitrag für den Ausstellungskatalog „Die Desaster des Friedens“ hat Reinhard Rohde diesen Werkausschnitt ausführlich gewürdigt.

Sich an dem Ort, wo man gerade sitzt, mit Geschichte und Gegenwart auseinanderzusetzen, wurde in den 1980er und 1990er Jahren für Möller zunehmend wichtig. Dazu gehörte das „Celle-Lexikon“ (1987) (das Foto oben zeigt die Pressepräsentation in Möllers Wohnung mit den damaligen Chef*innen der Buchhandlungen) und der in hoher Auflage verbreitete „Antifaschistische Stadtplan“ (1988). Sich einer Stadt über einen alphabetisch sortierten Zettelkasten zu nähern, war ein so ungewöhnlicher Zugang, dass man auch ihn unter die Rubrik „ironischer Realismus“ einordnen könnte. Empörung löste in manchen Kreisen aus, dass im Buch Funktionsträger*innen der NSDAP namentlich genannt wurden. Der „Antifaschistische Stadtplan“ setzte dann das seinerzeit noch spärliche Wissen um die Lokalgeschichte des Nationalsozialismus einer Weise um, die in ihrer Verknüpfung von Topografie und Quellenauszügen auch unterrichts-tauglich war.

Wie andere sich in den Initiativen der Ökologie-, Friedens- und AntiFa-Bewegung betätigten, organisierte Möller verschiedenen Schwulen-Initiativen in Celle.

Zum politischen Aktivisten im engeren Sinn wurde Möller über sein Engagement für die Kulturhausinitiative und danach die Initiative-Naafi-Kulturzentrum (INK). In beiden Fällen ging es darum, Freiräume für Kunst & Kultur zu schaffen, wobei lange – und vergeblich – das ehemalige NAAFI-Gebäude am Neumarkt das Objekt der Begierde war. In beiden Initiativen war Möller fast unverzichtbar, weil er nicht nur Ideen hatte, sondern auch bereit war, diese anpackend umzusetzen – und zusätzlich noch die erforderliche Öffentlichkeitsarbeit zu organisieren. Am Ende war es zu Teilen auch seiner politischen Erfahrung und Sturheit zu verdanken, dass die INK sich nicht auflöste und im Jahr 1996 das Bunte Haus als sozio-kulturelles (Jugend-)Zentrum der Stadt abgerungen werden konnte.

Möller war von Jugend an Teil der unabhängigen Linken, unabhängig im Sinne von nicht parteigebunden. Der politische Wertehorizont war klar markiert durch Antimilitarismus und Antifaschismus, wie Tim Wegener in seinem Katalogbeitrag „Mit malerischer Kamera. Geschichte in Bildern“ aufzeigt.

Für viele kam es überraschend, dass sich Möller im Jahr 1998 der PDS anschloss und bis kurz vor seinem Tod den Aufbau des Kreisverbands betrieb. Formal hielt er sich zwar als Beisitzer bzw. „gleichberechtigter Sprecher“ im Kreisvorstand zurück, aber angesichts der überwiegend jungen Gründungsmitglieder war er es, der die PDS öffentlich nach außen vertrat. Im Juni 1999 zog Feleknas Uca aus dem Celler Kreisverband angesichts eines guten Ergebnisses von bundesweit 6 % (in Stadt und Landkreis Celle 1,1 %) überraschend ins Europaparlament ein. Im Nachhinein betrachtet hat es der PDS in Celle nicht gut getan. Statt eines basisorientierten Aufbaus wurde fix ein Parteibüro angemietet und dort seitens Feleknas eine gänzlich unpolitische Bürokraft eingesetzt. Die Arbeit vor Ort blieb so weitgehend an Möller hängen. Für Mitglieder und Sympathisanten erstellte er regelmäßig die „ParteiDePesche“, ein vierseitige Blatt im Din A5-Format, in dem er sich u.a. mit seinen „Lieblingsthemen“ beschäftigte: Stadtentwicklung, Antimilitarismus und Schwulenemanzipation.

Wie wichtig er für die Partei war, wurde spätestens nach seinem Tod deutlich. Der neu gewählte Kreisvorstand versemmelte die fristgerechte Einreichung der Unterlagen zur Kommunalwahl um neun Minuten. Das wäre dann jener Teil des Provinziellen gewesen, den der „Provinz-Heini“ sich sein Leben lang weitmöglichst vom Hals gehalten hat.

Wir haben uns auf einen Abriss der politischen Aktivitäten Möllers beschränkt, weil alles andere im Katalog zur Ausstellung nachzulesen und zu -schauen ist.

Der Katalog gibt einen umfassenden Überblick über das Leben und Wirken des Künstlers und Stadtchronisten RWLE Möller. Auf 296 Seiten beschreiben und analysieren Oskar Ansull, Hans-Eberhard Happel, Jasmin-Bianca Hartmann, Wolfgang Hestermann, Joachim Kersten, Rainer Marwedel, Peter Raabe, Bernd Rauschenbach, Reinhard Rohde, Tim Wegener unterschiedliche Werkausschnitte, skizzieren ihre Sicht auf den Künstler als Freund oder beziehen sich wie Rauschenbach mit einem literarischen "Totengrundgespräch" zwischen Frank Zappa und Arno Schmidt, den beiden Protagonisten auf RWLE Möllers Gemälde "Totengrund oder Ich bin ein Heidediener, Blattanbeter, Windverehrer" von 1985 (das übrigens die Titelseite unsere Ausgabe 48 aus dem Jahr 2010 zierte).

Der von Jasmin-Bianca Hartmann herausgegebene Band ist im Celler Buchhandel und im Bomann-Museum erhältlich. Er kostet 28? Euro.