Zur Politik der AfD-Fraktionen in Stadtrat und Kreistag

Seit gut einem Jahr sitzen Abgeordnete der AfD im Celler Kreistag und Stadtrat sowie in den Räten von Bergen, Hambühren und Winsen. Was sie dort seitdem treiben, wollen wir im folgenden an ihrer Politik im Stadtrat und im Kreistag darstellen.

Die AfD-Fraktion im Rat der Stadt Celle macht eigentlich das, was ihre Wähler*innen erwarten durften: Sie kritisieren die Asylpolitik, sorgen sich um die öffentliche Sicherheit und stehen für die Schweinefleischquote im Kindergarten. Das alles wäre zu ertragen, würden nicht der bürgerliche Block und Oberbürgermeister Jörg Nigge die AfD so schamlos als Mehrheitsbeschafferin nutzen.
Im neu gewählten Rat hat der bürgerliche Block aus CDU, FDP und Unabhängigen 19 Stimmen plus die des Oberbürgermeisters. Bei 43 Ratsmitgliedern wären für eine Mehrheit aber 22 Stimmen erforderlich.
Mehrheiten von Gnaden der AfD

Schon in der konstituierenden Ratssitzung hatten CDU, Unabhängige und FDP kein Problem damit, ihre Kandidaten mit Hilfe der AfD durchzubringen. So hätte es für den Ratsvorsitzenden Joachim Falkenhagen (FDP) nicht gereicht - erst die vier Stimmen der AfD brachten ihm die erforderliche Mehrheit. Bei den Wahlen zu den drei ehrenamtlichen Bürgermeistern wurde Heiko Gevers (CDU) mit den Stimmen der AfD gewählt. Jörg Rodenwaldt (SPD) erhielt 22 Stimmen, wobei unklar ist, wer von der rechten Seite Rodenwaldt die Stimme gab. Bei Iris Fiss (Unabhängige) wurde es dann wieder deutlich. Sie wurde mit 23 Stimmen und einer Gegenstimme gewählt. Die Abgeordneten von SPD, B'90/Die Grünen, WG, Partei, BSG und Die Linke hatten vorher den Raum verlassen, um die Abhängigkeit der Wahl von den Stimmen der AfD deutlich werden zu lassen.

Das Erstaunliche: Dem bürgerlichen Block ist nicht einmal zu unterstellen, dass es Absprachen mit der AfD gab; man ließ es einfach laufen unter dem Motto: Schau'n wir mal. Und so ging es einfach weiter bis zur Verabschiedung des Haushalts 2018 im Dezember. Offensichtlich unternahmen weder die CDU noch der Oberbürgermeister auch nur die geringste Anstrengung, vor der Abstimmung eine Mehrheit für den Haushalt zu zimmern. Normal wäre gewesen, sich mit den anderen Fraktionen darüber zu unterhalten, unter welchen Voraussetzungen sie bereit wären, dem Haushalt zuzustimmen. D.h., man hätte hier und da Zugeständnisse bei Investitionen oder Sparmaßnahmen machen müssen. Aber so stand man auf einmal da und hatte keine Mehrheit.

Und hier kam die AfD-Fraktion ins Spiel. Sie hatte zwar eindeutig verkündet, dem Haushalt nicht zuzustimmen. Aber dann verhalf sie einem CDU-Antrag auf geheime Abstimmung zur Mehrheit. Und in dieser geheimen Abstimmung gab es dann die erforderliche Mehrheit (21 von 41 Anwesenden, zwei SPD-Mitglieder fehlten) - entweder aus den Reihen der AfD oder von Seiten der SPD. Unterm Strich aber war es das Abstimmungsverhalten der AfD, das dem bürgerlichen Block und ihrem Oberbürgermeister zu einer Mehrheit verhalf.

Mit Schwein das Abendland retten

Im Stadtrat versuchte die AfD mit Anträgen und Anfragen, eine völkische Duftnote zu hinterlassen. So gab es vier Anfragen rund ums Thema Zuwanderung und Asyl. Im Bereich innere Sicherheit gab es eine Anfrage zu „illegaler Graffiti“ und eine weitere zum Thema, ob die Stadt „linke Projekte“ finanziell fördern würde. Die Antworten der Verwaltung ließen eine weitere „Skandalisierung“ der jeweiligen Themen durch dir AfD nicht zu.

Weiter interessierte der Speiseplan von Kitas und Schulen hinsichtlich der Rettung des Abendlandes. Die AfD fragte: „Gibt es in Celle Kitas und Grundschulen, die auf Schweinefleisch im Speiseplan vollständig oder teilweise verzichtet haben? [...] Nach welcher Rechtsgrundlage wird ggf. Schweinefleisch in Kitas und Schulen für alle Kinder verboten oder vorenthalten?“ Hierzu liegt noch keine Antwort vor.
Voll auf FDP-Linie zeigte sich die AfD hinsichtlich der Frage der Aufhebung von Schulbezirken für die Grundschulen. Gemäß dem Motto „Kurze Wege für kurze Beine“ gibt es in der Stadt eine Verordnung die eine wohnortnahe Beschulung im Grundschulalter anstrebt. Von der AfD wurde dies als Ärgernis skandalisiert, weil Kinder so z.B. gezwungen würden auf die Hehlentorschule zu gehen, wo ihnen „klassenübergreifendes Lernen“ und der Verzicht auf Noten zugemutet würde. Im Fachausschuss musste sich die AfD dann anhören, dass alles im Rahmen der Gesetze verlaufe und eine Aufhebung der Schulbezirke nicht angebracht sei.

Was die AfD mit ihren Anträgen und Anfragen in vielen Fällen aber schaffte, war der Weg in die Öffentlichkeit der Lokalzeitung oder der Internetportale. Und genau darum geht's ja eigentlich, will man das Ressentiment der völkisch autoritätsgebunden Fangemeinde anheizen.

Wie auch im Kreistag (siehe unten) setzt sich die AfD dafür ein, dass Ratssitzungen live im Internet übertragen werden. Dabei scheint sie nicht zu stören, dass die Beiträge ihres aus der Sowjetunion zugewanderten Fraktionsvorsitzenden Trenkenschu (und soviel Lästerei sei ausnahmsweise erlaubt) nicht wirklich verständlich sind.

29.700 Euro und eine Europaflagge

Im Kreistag schaffte es die AfD mit fünf Abgeordneten innerhalb eines Jahres immerhin drei Anträge zu stellen, wovon einer erfolgreich war: Sie wollte, dass der Kreistagssaal während der Sitzungen mit Flaggen der Bundesrepublik, des Landes Niedersachsen und des Landkreises Celle bestückt wird. Landrat Wiswe machte den Hasen („Ick bün all hier“) und verkündete, bereits vier Flaggenständer in Auftrag gegeben zu haben. Als kleines Ärgernis für die AfD-Fraktion soll zusätzlich zu den beantragten Flaggen auch die Europa-Flagge aufgestellt werden. Gescheitert war die Fraktion mit ihrem Antrag, dass der Kreis als freiwillige Leistung die Kosten für die entgeltliche Ausleihe von Lernmitteln übernehmen sollte. Wer jetzt denkt, die AfD habe ein Herz für einkommensschwache Familien irrt, denn: Leistungsempfänger*innen nach dem SGB II und XII sowie dem Asylbewerberleistungsgesetz sind sowieso gebührenbefreit. (Trotzdem wäre nichts gegen eine Lernmittelfreiheit für alle einzuwenden.)

Noch nicht entschieden ist über den Antrag der AfD-Fraktion, Kreistagssitzungen live im Internet übertragen zu lassen. Vielleicht wäre ihr inzwischen sogar recht, wenn dieser Antrag keine Mehrheit findet. Denn: In den sechs Kreistagssitzungen vom November 2016 bis November 2017 äußerten sich einzig die AfD-Abgeordneten Pillibeit, als er sich für die sachgrundlose Befristung von Arbeitsverträgen aussprach, und Ehrhorn, der bekanntgab, dass die AfD-Abgeordneten zum Thema Wolf nach ihrem Gewissen entscheiden würden. Das war's.

Für die AfD-Abgeordneten ist es trotzdem ein einträgliches Geschäft. Das Kreistagsmitglied Ehrhorn verbrachte insgesamt rund acht Stunden in Kreistagssitzungen und leitete als Vorsitzender einmal die Sitzung des Feuerschutzausschusses. Die Aufwandsentschädigung für den einfachen Abgeordneten beträgt 300 Euro im Monat – Stundenlohn also etwa 150 Euro. Sabine Rotermund bekommt als Kreisausschussmitglied noch einmal 300 Euro monatlich und der Fraktionsvorsitzende Jens-Christoph Brockmann monatlich 375 Euro zusätzlich. Insgesamt bekommen die sechs Fraktionsmitglieder 29700 Euro im Jahr, ohne Berücksichtigung der Fahrtkosten und möglicher Verdienstausfälle. Immerhin ist dafür jetzt der Kreistagssaal beflaggt.

Leider kann die AfD auch im Kreistag noch wirkmächtig werden. Dies zeigte sich jüngst am Beispiel der Frage, ob an der IGS eine gymnasiale Oberstufe eingeführt werden soll. Im Kreistag hat der bürgerliche Block eigentlich eine eigene Mehrheit, wäre auf Stimmen der AfD also nicht angewiesen. Sollten sich aber in der Oberstufenfrage Abgeordnete z.B. der Unabhängigen oder der WG anders entscheiden, würde die AfD für die erforderliche Sperrmehrheit sorgen.

Fleißfraktion und Schweigefraktion

Die Arbeit der AfD-Fraktionen in Stadtrat und Kreistag deckt sich in Vielem mit den Ergebnissen einer Untersuchung des Marburger Rechtsextremismusforschers Benno Hafeneger. Ein von ihm geleitetes Team untersucht die Arbeit der AfD anhand von knapp 1000 Anträgen und Anfragen, die von der Partei in den Landes- und Kommunalparlamenten von Hessen, Niedersachsen und Rheinland-Pfalz gestellt wurden. Ein Ergebnis: Es gibt „Fleißfraktionen“, die vor allem die Verwaltung mit Anfragen beschäftigen, als auch „Schweigefraktionen“, die im Parlament kaum sichtbar werden. Ersteres gilt eher für die Celler Stadtrats-Fraktion, für die es ein Vorteil war, mit dem ehemaligen CDU-Mitglied Frank Pillibeit einen Mann in ihren Reihen zu haben, der schon einmal Ratsmitglied war. Die Kreistagsfraktion kann dagegen eher als „Schweigefraktion“ gelten, wobei das Regime von Landrat Wiswe insgesamt eher darauf angelegt ist, Debatten zu begrenzen.

„Am Anfang der Parlamentsarbeit dominierten eindeutig die Anträge und Anfragen zu Flüchtlings-, Migrations- und Asylpolitik,“ bilanziert Hafeneger, „dann kamen Fragen zur Inneren Sicherheit, Familie, deutschen Kultur und zum Linksextremismus hinzu.“ Zudem wolle sich die Partei als Anwalt der Familie präsentieren. Erreicht werden sollen damit auch besser gebildete und gut verdienende soziale Gruppen sowie bürgerliche Kreise.

Schluss mit der stillen Hochzeit

Im Celler Raum dürfte zunächst einmal wichtig sein, dass die interessierte Öffentlichkeit nicht länger durchgehen lässt, dass der bürgerliche Block und die AfD „stille Hochzeit“ spielen. Die CDU und ihr Oberbürgermeister müssen sich entscheiden, ob sie sich von einer Tolerierung durch die AfD abhängig machen wollen. Denn nichts anderes ist – wenn auch unausgesprochen – die aktuelle Situation im Celler Stadtrat.