Die Wahrheit kommt nur tröpfchenweise

Geimoperation Gelsenwasser

Ist es angemessen von einer »Geheimoperation« zu sprechen, wenn es darum geht, dass die Verwaltungsspitze über Monate Gespräche mit der Gelsenwasser AG führt, ohne Rat und Öffentlichkeit zu informieren? Wir meinen ja. Und Oberbürgermeister Dirk-Ulrich Mende weigert sich bis heute, zu den wesentlichen Fragen Stellung zu nehmen. Im folgenden eine Chronik der gescheiterter Aufklärung.

Aus halbwegs gesicherter Quelle wissen wir, dass die Celler Verwaltungsspitze seit fast einem Jahr schon, nämlich spätestens ab Mai 2012, Gespräche mit der Gelsenwasser AG führt. Diese Information wurde auch der Ratsfraktion Die Linke/BSG gesteckt, die daraufhin am 29. Januar 2013 mit einer Anfrage und einer Pressemitteilung an die Öffentlichkeit ging. Ihr Fraktionsvorsitzender Oliver Müller kritisierte: „Wir betrachten es als höchst problematisch, wenn hier am Rat vorbei erste Schritte zu einer Teilprivatisierung eingeleitet werden. Wassergewinnung und auch der Abwasserbereich sind aus unserer Sicht originäre Aufgabe der Kommune. Das gehört nicht in die Hände einer Aktiengesellschaft.“

Die Fragen waren klar:

1.) Führt die Stadtwerke Celle GmbH Gespräche mit der Gelsenwasser AG [...] zum Zwecke einer wie auch immer gearteten Kooperation im Bereich Trinkwasser?

2.) Führt die Stadt Celle Gespräche mit der Gelsenwasser AG [...] zum Zwecke einer wie auch immer gearteten Kooperation im Bereich Abwasser?

3.) Was ist – wenn ja (zu 1. und/oder 2.) – der Zweck dieser Gespräche?

4.) Wenn ja (zu 1. und/oder 2.) – Warum wurde der Rat der Stadt Celle hierüber nicht in Kenntnis gesetzt?

Noch vor den Fragestellern bekam die CZ eine Antwort. In der Ausgabe vom 02.02.2013 ist zu lesen:

„Weder die Stadtwerke noch die Stadt selbst führten Gespräche mit Gelsenwasser, heißt es dazu auf CZ-Anfrage aus dem Rathaus. »Ergänzend sei allerdings darauf hingewiesen, dass Kooperationen oder Privatisierungen ganz generell nicht durch Gespräche festgeschrieben und organisiert werden können. Vielmehr sind dafür in aller Regel europaweite Ausschreibungen notwendig«, stellt der städtische Pressesprecher Wolfgang Fischer klar. [...] Zu den Kernaufgaben der Verwaltung gehört es, die Ratsbeschlüsse vorzubereiten und auszuführen, so der Sprecher [...] Der Rat und auch die Fraktion Die Linke/BSG könne nicht erwarten, dass diese »Vielzahl der Kontakte und Gespräche« im Einzelnen dargestellt werde [...] Dass die Stadt in nächster Zeit die Trinkwasserversorgung aus der Hand gebe, sei jedenfalls nicht zu befürchten, so Fischer. »Im Dezember 2010 hat der Stadtrat einstimmig beschlossen, die Konzession für die Wasserversorgung für weitere 20 Jahre bis April 2031 an die Stadtwerke Celle GmbH zu vergeben - ganz nebenbei auch ein Form von Privatisierung.«“

Eine gezielte Falschinformation – einige Nebelraketen und ein belehrender Zeigefinger.

Die CZ lag noch auf den Ladentresen, als Oberbürgermeister Mende seinen Rat per Mail mit einer Ergänzung informierte, die in einem knapp ausfiel – nämlich in der Beantwortung der Fragen: Zu 1. und 2. war die Antwort „Nein“ und zu 3. und 4. „entfällt“.

Allerdings meinte der OB seinen Rat darüber aufklären zu wollen, warum „Nein“ eigentlich auch „Ja“ heißen kann:

"[...] angesichts der Presseberichterstattung zur Privatisierungsanfrage der Linken/ BSG entsteht der falsche Eindruck, als habe es seitens der Verwaltung gar keine Gespräche mit Gelsenwasser gegeben. Dies ist nicht richtig. Die Presse ist über die von der Verwaltung beabsichtigte Beantwortung der Anfrage der Fraktion Die Linke/ BSG in Kenntnis gesetzt worden. Angesichts der Fragestellung und der Erwartung, die Fragen zu 1 und zu 2 ausschließlich mit Ja oder Nein zu beantworten (nur so sind die Fragen zu 3 und 4 verständlich), mussten die Fragen zu eins und zwei mit "Nein" beantwortet werden. Sie sind so formuliert, dass nicht nach Gesprächen allgemein gefragt wird, sondern nach Gesprächen mit einem bestimmten Inhalt. Aus diesem Aspekt ergibt sich die Verneinung. [...] Ich hoffe mit dieser Klarstellung etwaige Irritationen beseitigt zu haben."

Wäre es ein Kinderfilm mit superkecken Zwergen, die oberschlaumeiernd-schelmisch ihre Eltern anschwindeln, könnten wir’s vielleicht noch lustig finden. Aber bitte nicht bei gesellschaftlich relevanten Fragen.

Die Antwort, aber das nur nebenbei, lässt sich bis heute nicht im „allris“-Ratsinformationssystem finden. Dafür aber das nächste Fragepäckchen der Linke/BSG, das Oliver Müller so begründete: „Das Thema Privatisierung oder Teilprivatisierung beunruhigt Beschäftigte und Bevölkerung. Die erwarten zu Recht keine sophistischen Spielereien, sondern Klarheit und Wahrheit.“ Und deshalb lauteten die neuen Fragen:

„1.) Wie oft und wann hat sich die Verwaltung mit Vertreterinnen und Vertretern der Gelsenwasser AG getroffen?

2.) Welcher Geschäftsebene von Gelsenwasser sind diese Vertreterinnen und Vertreter zuzuordnen?

3.) Was war jeweils der Gegenstand bzw. die Gegenstände der Gespräche bzw. zu welchem Zweck wurden die Gespräche geführt?

4.) Auf welcher kommunalrechtlichen Grundlage hat die Verwaltung, ohne vom Rat dazu beauftragt zu sein, diese Gespräche geführt?

5.) Hat die Verwaltung Protokolle bzw. Aktennotizen zu den Gesprächen angefertigt? Wenn ja – kann der Rat bzw. Ratsmitglieder in diese Einsicht nehmen bzw. können sie den Ratsmitgliedern zur Verfügung gestellt werden?“

Die Antwort gab es im vertraulich tagenden Verwaltungsausschuss, so dass die Öffentlichkeit bis heute die Details nicht kennt. Unseren Informationen nach gab OB Mende in etwa folgendes preis:

Die Verwaltung habe sich insgesamt dreimal mit Vertreter_ innen von Gelsenwasser getroffen. Im Protokoll gibt es dazu eine merkwürdige Klammer-Anmerkung, nämlich – Klammer auf „ohne OB“ Klammer zu. Die Ratsfraktion Die Linke/BSG hat diese Protokollnotiz hinterfragt, eine Antwort wurde verweigert. So kann jetzt gerätselt werden, ob Mende entweder bei den drei Gesprächen nicht dabei war oder ob es neben diesen drei Gesprächen zusätzliche mit dem OB gegeben hat.

Die Gesprächspartner_innen von Gelsenwasser seien der „Arbeitsebene“ zuzuordnen. Schwammiger geht’s nicht, aber das ist alles, was dazu mitgeteilt wurde.

Die Frage nach Gegenstand und Zweck der Gespräche beantwortete OB Mende dahingehend, dass die Verwaltung sich exemplarisch mit Gelsenwasser über Erfahrungen und Erkenntnisse der Abwasserorganisation habe austauschen wollen.

Aus Sicht des OB habe er eine selbständige Entscheidungszuständigkeit und könne zur Vorbereitung von Beschlüssen reden, mit wem er wolle. Dazu eine Anmerkung: Niemand will einen Maulkorb für den OB und niemand will ihm in der Alltagsverwaltung vorschreiben, mit wem er redet oder nicht. Aber ist es nicht fragwürdig, wenn die Stadt Celle sich gerade von einem Konzern, der seine Marktbeteiligungen erweitern will, über rechtliche Umstände solcher Beteiligungen aufklären lässt?

Eine Akteneinsicht verweigerte Mende den Ratsmitgliedern. Das Auskunftsrecht des Rates sei zwar umfassend zu verstehen, aber es gäbe einen „unausforschbaren Kernbereich der Verwaltung“ im Hinblick darauf, wie sich die Verwaltung eine Meinung bilde.

Gegenüber der Presse gab OB Mende dann die Linie vor, die allen Kritiker_innen seitdem vorgehalten wird:

„Wichtig ist bei solchen Konstruktionen nicht die Rechtsform oder der Partner, sondern die eine Frage: Wer hat welchen Einfluss? Und hier muss der Einfluss der Stadt entscheidend bleiben – in dieser Frage bin ich ganz dicht bei den Linken, und das ist die Prämisse, unter der ich Gespräche führte.“ (CZ, 14.02.2013)

Zwei andere Behauptungen kommen in dieser Argumentationsstruktur hinzu, mit denen vor allem Verwirrung gestiftet werden soll: 1.) Die Trinkwasserversorgung sei bereits privatisiert – in Form der Stadtwerke GmbH, und 2.) die Konzession für die Trinkwasserversorgung sei bis 2031 an die Stadtwerke vergeben.

Beides ist formell richtig, führt aber materiell in die Irre. Die Stadtwerke GmbH ist eine 100 %-ige Tochter der Stadt Celle, also das, was im Kommunaljargon Eigenbetrieb genannt wird. Mit dem, was gemeinhin unter Privatisierung verstanden wird, hat es recht wenig zu tun. Alles, was in den Stadtwerken passiert, wird vom siebenköpfigen Aufsichtsrat kontrolliert, in dem ausschließlich Ratsmitglieder und der Oberbürgermeister sitzen. Die Stadt konnte die Konzession für die Trinkwasserversorgung an die Stadtwerke vergeben, ohne dies öffentlich auszuschreiben.

In einer „Halbzeitbilanz“ der Arbeit des Oberbürgermeisters befand Nina Graap (Mitglied im Vorstand der SPD): „Als Chef im neuen Rathaus hat er mehr Bürgernähe auch dort einziehen lassen und die Kommunikation zwischen Behörde und den BürgerInnen verbessert.“ Ein besonderes Beispiel dieser Bürgernähe bewies Mende in der letzten Einwohnerfragestunde des Rates. Ein Bürger hatte sich mit folgenden Fragen an den Hauptverwaltungsbeamten gewandt:

„1.) Wann erstmals und wie oft hat sich die Verwaltung der Stadt Celle im Jahr 2012 mit Vertreterinnen/ Vertretern der Gelsenwasser AG getroffen?

2.) Was war jeweils der Gegenstand der Gespräche?

3.) Wann hat der Oberbürgermeister den Rat erstmals darüber informiert, dass Gespräche mit der Gelsenwasser AG geführt werden und ist schon über Ergebnisse dieser Gespräche informiert worden?“

Jegliche Antwort darauf wurde ihm schlicht und einfach verweigert.