Wie man aus Scheiße Gold macht
„Konzerne wollen natürlich nicht in erster Linie die Kunden, die Bürger mit gutem, billigem Wasser versorgen, sondern sie wollen hohe Gewinne machen.“ So Werner Rüggemer (attac) gegenüber »Panorama 3«. So ist es wohl – die Frage ist, wie sie dies hinbekommen. Schauen wir uns an, wie aktuell die Abwasserversorgung in Celle geregelt ist und durch welche Türen Gelsenwasser sich einen Zugang verschaffen könnte.
Im Abwasserbereich geht es für die Verbraucher_ innen in Celle noch fast „sozialistisch“ zu, denn: Die Gebühren werden hier kostendeckend erhoben. Zudem gibt es die vergleichsweise einfache Regelung, dass als Maßstab für das Abwasseraufkommen die Trinkwassermenge genommen wird.
Also: Wenn ein Haushalt 100 m³ Trinkwasser im Jahr verbraucht, zahlt er Abwassergebühren für ebenfalls 100 m³. Es gibt im Jahr gebührenrelevante Kosten von gut 9 Millionen Euro, und diese werden dann aufgeteilt auf die rund 3,5 Millionen m³ Wasserverbrauch. Das ergibt dann einen m³-Preis von 2,70 Euro – ohne Umsatzsteuer übrigens, denn die wird bei im Eigenbetrieb erbrachten Leistungen nicht wirksam. Das alles ist sehr transparent, weil es sich detailliert im Haushaltsplan der Stadt und den öffentlich zugänglichen Gebührenberechnungen wiederfindet. Wunderbar – warum etwas daran ändern?
Die SPD-Fraktion hatte schon Anfang Dezember die „Prüfung einer Minderheitsbeteiligung von Dritten beim Bau, beim Betrieb und der Unterhaltung von Entwässerungseinrichtungen sowie der Abwasserbehandlung unter Beteiligung der Stadtwerke“ beantragt. (Daher unsere Vermutung, dass sie in die Gelsenwasser-Gespräche eingeweiht war.) In der Begründung ist zu lesen:
„Für diesen Aufgabenbereich stehen in nächster Zeit hohe Investitionen an. Siehe Investitionshaushalt. Die Beteiligung privater Investoren in diesem Bereich kann zu einem erheblichen Schuldenabbau bei der Stadt führen. Das wiederum würde die Zinszahlungen erheblich verringern.“
Ohne dass wir jetzt die großen Expert_innen sind, finden wir im Haushalt für die nächsten fünf Jahre im Bereich Klärwerk/Kanalbetrieb ein Investitionsvolumen von rund 6 Millionen Euro. Das klingt vielleicht nach viel, ist aber gerade ein Drittel dessen, was die Stadt für die überflüssige Zweispurigkeit des Nordwalls und den Neumarkt-Kreisel aus der eigenen Kasse bezahlen will.
Im Unterschied zum Straßenbauprojekt aber lassen sich die Investitionen für Klärwerk und Kanalbetrieb einfach in die Gebühren „einpreisen“ – sie sind heute schon Bestandteil der Gebühren und sie sind es bei zukünftigen Investitionen. Und da würde sich auch nichts ändern, wenn ein Konzern an der Abwasserversorgung beteiligt ist. Der will doch nicht Geld verbrennen, sondern Geld verdienen – also würden selbstverständlich auch dort die Investitionskosten Teil des Gebührenhaushalts sein. Auf dem Kapitalmarkt steht im übrigen eine Kommune nach wie vor ein bisschen besser da als private Konkurrenten. Die Stadt dürfte bei der N-Bank Kredite für etwa 1,5 Prozent bekommen; ein bisschen mehr müssen Private selbst beim derzeitigen Niedrigzinskurs bezahlen.
Draufzahlen tun aber in jedem Falle die Gebührenzahler_ innen. Der »Wasserverbandstag e.V. für Niedersachen, Bremen, Sachsen-Anhalt« hat im Jahr 2010 vorgerechnet:
„Wird die Möglichkeit der Übertragung der Abwasserbeseitigungspflicht auf einen privaten Dritten ermöglicht [...], so [...] führt [dies] dazu, dass generell 19 % Umsatzsteuer zu leisten sind. Gemäß Modellrechnungen verschiedener Institutionen ist [...] mit Gebührensteigerungen bei den Bürgern von mindestens 12,25 bis zu 25 % zu rechnen – trotz der dann bestehenden Möglichkeit des Vorsteuerabzuges bei Investitionen.“
Sicher, das belastet nicht den Haushalt der Stadt, sondern nur die Haushalte der Bürger_innen. Die Auswirkungen in konkreten Fällen hat der »Wasserverbandstag « auch benannt:
„So stiegen die Gebühren in Rostock nach der Übernahme durch ein privates Unternehmen (Eurawasser) für einen 3-4 Personen-Haushalt einschließlich Grundgebühr insgesamt um über 220 %. In Potsdam (ebenfalls Eurawasser) führten Gebührenerhöhungen von knapp 80 % innerhalb von zwei Jahren letztlich zu einer Kündigung des Vertrags durch die Stadt Potsdam. Und auch Berlin (Konsortium aus Veolia Wasser, RWE und Allianz) musste mehrfach Gebührenerhöhungen hinnehmen. Zudem sollten hier bis zum Jahr 2009 rund 1900 Arbeitsplätze vom privaten Betreiberkonsortium abgebaut werden.“
Die Celler Altparteien CDU/SPD/FDP und ihren Oberbürgermeister scheinen derartige Betrachtungen nicht zu irritieren. Sie haben sich in einer Art Autosuggestion in die Herkules-Aufgabe der Haushaltskonsolidierung verrannt und schielen auf das „große Geld“, das ihnen eine Privatisierung in die Kasse spülen soll.
Wie kann das gelingen? In einer Broschüre der Gelsenwasser AG „Ihr Partner für eine nachhaltige Abwasserwirtschaft“ wird dieser Weg zu einer „Fachpartnerschaft“, wie der Konzern seine Beteiligungsgelüste euphemistisch nennt, skizziert:
Der wichtigste Schritt ist die Gründung einer gemeinsamen Gesellschaft. Dies dürfte in der Regel eine GmbH sein. Der entscheidende Vorteil gegenüber der bisherigen Betriebsform: Die gemeinsame Gesellschaft darf Gewinne machen. Und Gelsenwasser verspricht: „Die frei verfügbaren zusätzlichen Erträge können den jährlichen Haushaltsmittelzufluss stärken oder auch als einmaliger Zufluss ausgestaltet werden.“
Und wo sollen die Erträge herkommen? „Die Gebührenhoheit verbleibt bei der Kommune. Die Höhe der Gebühren wird weiterhin von der Verwaltung vorgeschlagen und vom Rat festgelegt.“ (Falls es die Ratsmitglieder noch nicht wissen: Sie sind bei Gebührenerhöhungen verantwortlich und dem Zorn der Bürger_innen ausgesetzt.) Die Stadt sammelt also die Gebühren ein und zahlt sie als „Entgelt“ für die Erledigung festgeschriebener Aufgaben an die GmbH. Damit Gelsenwasser nicht zu kurz kommt, soll die Höhe bereits für die gesamte Vertragslaufzeit festgelegt werden. Der Gewinn ist „eingepreist“, soviel dürfte feststehen. Ein zusätzliches Schnäppchen will Gelsenwasser durch ihr Fachwissen generieren: „Hier lassen sich vor allem durch die Investitionssteuerung, den Austausch mit zahlreichen erfahrenen Kollegen, bei Einkauf und Materialwirtschaft sowie durch Insourcing bislang extern vergebener Leistungen Vorteile erzielen.“
Zwei Versprechungen liefert die Broschüre noch obendrauf, erstens: „Mitarbeiter im Fachpartnermodell [genießen] vollen Bestandsschutz; Gelsenwasser schließt betriebsbedingte Beendigungskündigungen aus.“
D.h. Änderungskündigungen gibt es. Und die gerade für Beschäftigte der unteren Lohngruppe wichtige Zusatzrente im öffentlichen Dienst wird nicht erwähnt.
Und zweitens: „Das Fachpartnermodell der GELSENWASSER AG ist umsatzsteueroptimiert. So fallen durch die Umsatzsteuerpflicht privatrechtlicher Gesellschaften weder erhöhte Gebühren an, noch werden die Leistungen der Fachpartnergesellschaft teurer.“
Kurz gesagt also: Man wird sich bemühen, nicht die Steuern zu zahlen, die man eigentlich zahlen müsste.
Übersehen werden sollte zudem nicht, warum die Abwasserversorgung eine „hoheitliche“ Aufgabe ist, also letztendlich in der Verantwortung des Staates steht – hierzu noch einmal der »Wasserverbandstag«:
„So ist die Abwasserbeseitigung ein klassischer Bereich der Daseinsvorsorge, da aus Gründen der Gesundheit und des Umweltschutzes ein Kollektivinteresse an der ordnungsgemäßen Beseitigung von Abwasser besteht. Dieses Kollektivinteresse deckt sich nicht mit dem Individualinteresse eines privaten Abwasserbeseitigungspflichtigen, der vorrangig finanzielle Interessen (Gewinnmaximierung) an der Beseitigung des Abwassers hat. So hat die Zwangs- Privatisierung in Großbritannien z.B. zu Erkrankungszunahmen bei Hepatitis A um 200 %, bei Ruhr sogar um 600 % geführt. Insgesamt hat es in Großbritannien bei privaten Unternehmen 128 Verurteilungen wegen Minderqualität und Vernachlässigung der Infrastruktur gegeben.“
Positionen der Ratsfraktionen
Kolleg_innen von ver.di haben im Februar mit den Ratsfraktionen über die Thematik Betriebsausgliederungen/Privatisierungen geredet. Bis auf die FDP sind alle der Einladung gefolgt. Auf einem ver.di-Flugblatt sind die Statements zu dem Thema wie folgt zusammengefasst:
|
|
|
|
|
|
Anmerkung unsererseits: Absolut unverständlich ist, wieso die CDU-Fraktion nach obiger Stellungnahme im Rat der SPD-Resolution zustimmt, die ausdrücklich die Prüfung von Privatisierung im Wasser- und Abwasserbereich empfiehlt (siehe S. 3 in diesem Heft).
* KGST = Kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsmanagement;
mit mehrheitlichem Ratsbeschluss soll dort ein Gutachten zur Haushaltskonsolidierung in Auftrag gegeben werden.