Ratsmitglied von DIE PARTEI, Dirk Gerlach, veröffentlicht Milieuroman

Gar nicht mal so überraschend sitzt seit der letzten Kommunalwahl auch ein Vertreter der Partei DIE PARTEI im Celler Stadtrat. Überraschend war, dass Dirk Gerlach fürs lokale linke Biotop ein ziemlich Unbekannter war. Im Stadtrat ging Gerlach dann in eine gemeinsame Gruppe mit den drei Vertreter*innen der Bündnisgrünen und Thorsten Schoeps von der WG. Zu seinem bevorzugten Arbeitsfeld hat sich in den vergangenen Monaten der Schlagabtausch mit Nazis jeglicher Couleur in den sozialen Medien (= Facebook-Kommentarspalten) entwickelt. Das macht er mit einer Energie und „Lust“, die uns fehlt. Auch im Wahlkampf und im Stadtrat selbst war und ist Gerlach zu Stelle, wenn es gilt, (dem Schwachsinn) der AfD entgegenzutreten.

Jetzt hat Gerlach einen Roman vorgelegt, der uns zugegebenerweise nur wegen seines Autors interessiert. Zudem spielt der Roman in Hannover, was zwar nicht – wie vielfach behauptet – die langweiligste Stadt der Welt ist, aber doch normalerweise jenseits unseres Aufmerksamkeitsfokus liegt. Herausgekommen ist eine unterhaltsame Liebes- und Milieugeschichte.

DACHBODENPIRATEN heißt der Roman, weil Gerlachs „Held“ Teil eines Handwerkerkollektivs ist, das im Jahr 1993 Dachböden zu Wohnungen umbaut. Das besondere an diesem Kollektiv ist, dass die „Jobber“ nicht als Firmenangestellte agieren, sondern ihre Stunden gewissermaßen als Selbstständige mit dem „Chef“ abrechnen und sich auch habituell von den Beschäftigten normaler Betriebe abzugrenzen meinen. Kurz: ein Milieu aus Seiteneinsteigern, Prekären und Studierenden, die sich auf den Dachböden und eher links-alternativen Kneipenwelten über Leben und Lieben austauschen, ihre Kohle verdienen und ausgeben.

Erzählt wird das Ganze aus der Perspektive von Ralf Bender, der seine „wilde Jugend“ in den Hausbe-setzer*innen-Szenen von Köln und Berlin verbracht hat und den deshalb im Unterschied zu seinen Kollegen die Ermordung des RAF-Mitglied Wolfgang Grams in Bad Kleinen (noch) interessiert; dies aber eher auf einer Ebene von Reminiszenz denn als Teil politischer Auseinandersetzung.

Die Episoden und Lieben der ferneren und jüngeren Vergangenheit hat er für sich, gut in Kartons verpackt, in in entlegeneren Ecken seines Dachstübchens abgestellt. Weit weniger aufgeräumt muss er sich im Alltag herumschlagen mit dem Arbeitsamt, Nachbarn und Vermieter, Fahrraddieben Denunzianten.

Neben seinen besten Kumpels von den Baustellen wird Andrea, eine Schauspielstudentin, die ihr Geld an der Kasse eines Baumarktes verdient, zu einer neuen Konstante. Als ein Kollege an Krebs erkrankt und der „Chef“ von Bank und Bauamt bekommt, erweisen sich Freundschaft und Solidarität als (über-)lebenswichtige Krücken. Dass und wie Mitmenschlichkeit das Leben entspannt und bereichert, zeigt daneben das Denken und Handeln von Ralfs Hausnachbarin Maria. Und so wird den Leser*innen (wie auch Ralfs Kollegen) schneller klar als dem Protagonisten, dass da noch was kommt, als Andrea sich in Sachen Fernsehkarriere nach Potsdam verabschiedet.

Dirk Gerlach sieht seinen Roman als „Zeitreise“, und das macht in der Tat den wesentlichen Reiz. Für Hannoveraner*innen kommt ein regionaler Appetizer hinzu: die Kneipen- und Szenelandschaft im Stadtteil Linden-Limmer, denn der morgendliche Latte M „Bei Jacqueline“ wie auch nächtliche Abstürze im „Havanna“, der „Glocksee“ oder untergegangenen Kneipen wie dem „Rotkäppchen“ oder „Silke Arp bricht“ werden ausführlichst gewürdigt.

Dirk Gerlach: Dachbodenpiraten. Roman. 440 Seiten, ISBN-13: 9783744869621, Books on Demand, 18,50 EUR (als e-book 14,99 EUR)