Alptraum:
Die Stadt als Konzern
Es klingt harmlos, wenn der Oberbürgermeister und eine Ratsmehrheit beschließen, sich von der »Kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsmanagement (KGSt)« in Sachen „Haushaltskonsolidierung“ beraten zu lassen. Im Klartext geht es aber um nichts weniger als einen radikalen Umbau der Stadtverwaltung und der Leistungen, mit denen sie uns Bürger_innen bis heute noch „beglückt“. Privatisierung und Personalabbau stehen auf dem Programm, was auf der anderen Seite nichts anderes heißt als steigende Gebühren und weniger Leistungen. Im Jargon der Kommunalverwaltungstheoretiker nennt sich das dann: „Weiterentwicklung zur Gewährleistungskommune". Das bedeutet kurz gesagt nichts anderes, als dass die Stadt Leistungen am besten nicht mehr selbst erbringt, sondern erbringen lässt. Und das beinhaltet gleichzeitig die Wende von einem Leitbild der »Bürgerkommune« hin zur »Stadt als Konzern«.
Im Falle einer Beauftragung der KGSt schlägt Herr Greskowiak folgende Arbeitsschwerpunkte vor:
1. Überprüfung der Strukturen und Prozesse der Verwaltung
Dabei sollen die Bedingungen der Leistungserbringung überprüft und nicht zuletzt mit dem Erfahrungswissen der KGSt vor dem Hintergrund der bisherigen Beratungsarbeit abgeglichen werden. Für die Bewertung steht u. a. eine Liste mit über siebenhundert Konsolidierungsmaßnahmen zur Verfügung, die bundesweit aus Kommunen zusammengestellt wurde. Mit dieser Betrachtung wird auch die Frage verknüpft, inwieweit eine Weiterentwicklung der Stadt zur Gewährleistungskommune, d. h. Sicherstellung einer Leistung ggf. durch andere, angezeigt ist. In einer solchen Betrachtung wären neben der Kernverwaltung auch die Betriebe wie der Bauhof einbezogen. Der Einbezug des politischen Systems der Verwaltung in die Betrachtung verbessert nicht zuletzt die Glaubwürdigkeit. So sind aus Sicht der KGSt Effizienz- und Effektivitätsbetrachtungen auch zur Größe des Rates und des Verwaltungsausschusses, zur Anzahl der Ausschüsse und ihrer Funktionen sowie zum System Ortsräte erforderlich.
2. Überprüfung der Ober- und Fachziele und deren Anpassung
Nach erster Einschätzung sieht die KGSt hier größeren Diskussions- und Reduktionsbedarf. Die Zielstruktur ist wesentliche Voraussetzung für die Betrachtung der Aufgabenstruktur im Rahmen einer Aufgabenkritik. Das bisherige System lässt eine Priorisierung auf einige wenige wichtige Politikfelder noch nicht erkennen.
3. Überprüfung der Aufgabenstruktur der Stadt
Wenn die Ober- und Fachziele auf einige wenige wichtige Politikfelder reduziert sind, wäre es aus Sicht der KGSt möglich, die Aufgaben daran anzupassen. Die damit verbundenen Auswirkungen auf die Bevölkerung lässt sich nach den Erfahrungen der KGSt besser vermitteln, wenn zuvor der Rat und die Verwaltung ihren Teil zur Konsolidierung beigetragen haben (siehe Ziff. 1).
Am 16. Juni 2013 erläuterte der Geschäftsbereichsleiter der Beratung der KGSt, Dirk Greskowiak, dem Rat seine Vorstellungen. In einer dem Rat vorab mitgeteilten Beschlussvorlage werden die „Arbeitsschwerpunkte“ aufgelistet (siehe Kasten rechts). In Halle, wo Greskowials einen ähnlichen Job machen sollte – übrigens für ein Honorar von 180.000 Euro – wurde er von der Presse als „Sparkommissar“ betitelt. Beim Blick auf die von ihm vorgeschlagenen Arbeitsschwerpunkte, geht es aber um weitaus mehr. Im Zentrum steht die „Aufgabenkritik“. Was bedeutet das? Die Stadt soll klären, welche Aufgaben sie noch selbst erledigen will, welche Aufgaben sie auslagern kann (Privatisierung) und auf welche sie gleich ganz verzichten will. Und es ist klar: Wenn die Stadt am Ende gewissermaßen nur noch als Konzern- Holding agiert, wird eins zunehmend unwichtig – nämlich die Politik. Deshalb ist nicht von ungefähr als Ziel abgesteckt die „Priorisierung auf einige wenige Politikfelder“. Und dafür braucht es nur noch einen verkleinerten Rat, weniger Ausschüsse und Ortsräte schon gleich gar nicht. Unterm Strich läuft das – überspitzt gesagt – auf die Aufgabe dessen hinaus, was wir in Deutschland unter kommunaler Selbstverwaltung verstehen.
Vielleicht lohnt in dieser Hinsicht ein Blick in die Entwicklung. Kommunale Selbstverwaltung war in Deutschland zunächst geprägt vom Bild der »Ordnungskommune «. Die Städte und Gemeinden sollten an der Basis der Gesellschaft Sicherheit und Ordnung durchsetzen – die Polizei war lange eine kommunale Aufgabe. Viel wesentlicher wurde aber im 20. Jahrhundert die Erbringung von Dienstleistungen (Ver- und Entsorgung, ÖPNV, Krankenhäuser, Wohnungsbau, Straßenbau, Schulen und Kultur). Die Kommune erbringt Leistungen für ihre Bürger_innen, wobei sie zunehmend als Kund_innen verstanden wurden. Das hatte zwar den Vorteil, dass obrigkeitsstaatliches Denken verschwand, gleichzeitig aber wurden sie so gewissermaßen zu Marktteilnehmer_innen.
Daran konnte die neoliberale Ideologie seit den 1980er Jahren anknüpfen, die predigt: Alles, was der Staat macht, kann die freie Wirtschaft besser – und so das Versprechen für die Bürger_innen: kostengünstiger. Gefördert auch durch die europäische Union wurden traditionelle kommunale Monopole durch Marktöffnung (wie bei der Energieversorgung) oder durch gesetzliche Verpflichtung zur öffentlichen Ausschreibung (wie beim ÖPNV) beseitigt. Die nächste Runde im Interesse der Konzerne betrifft bekanntlich die Trinkwasserver- sorgung (siehe EU-Richtlinie). Aber selbstverständlich ist das nicht alles: Gut 90 % aller kommunalen Dienstleistungen können ausgelagert und an Private vergeben werden, heißt es. Und damit sind wir beim neuen Leitbild der »Gewährleistungskommune «. Was ist das?
Gablers Wirtschaftslexikon definiert so: „Im Leitbild der Gewährleistungskommune ziehen sich Staat und Verwaltungen auf Kernaufgaben zurück. Sie gewährleisten nur noch, dass bisher öffentliche Aufgaben überhaupt erledigt werden. Ihnen obliegt es primär, Märkte zu schaffen und für die Aufgabenwahrnehmung deren Funktionsfähigkeit zu gewährleisten. Der Gewährleistungsstaat hängt somit unmittelbar mit Privatisierung, Deregulierung, aber auch Regulierung zusammen."
Nicht viel anders »Roland Berger Strategy Consultants «: „Die 'Gewährleistungskommune' der Zukunft leistet die Wahrnehmung ihrer hoheitlichen Aufgaben und gewährleistet die Durchführung der Aufgaben, die nicht zu diesem Kernbereich gehören. Diese Durchführungsaufgaben überträgt sie - wo immer möglich - entweder auf spezialisierte Anbieter (kommunaler) Dienstleistungen oder auf die Bürger.“
Der nächst Schritt ist dann der Umbau der Stadt zum Konzern, oder genauer zu einer »kommunalen Gewährleistungsholding «. Schon heute haben die Städte ein Gestrüpp an Beteiligungen an GmbHs, an Zweckverbänden oder halten wie die Stadt Celle Aktienvermögen. Celle hat sich vor einiger Zeit dazu entschlossen, ein so genanntes Beteiligungsmanagement einzuführen und dafür auch eine neue Stelle einzurichten. Im letzten Beteiligungsbericht findet sich dann auch nicht von ungefähr der Begriff von der „Stadt als Konzern“. Die Grafik unten liefert einen Eindruck von der aktuellen Situation. Je mehr Bereiche „ausgegliedert“ werden, desto größer wird diese »Holding«.
Die Leitung dieses Konzerns hat dann der »Verwaltungsvorstand «, also der Oberbürgermeister und seine Dezernent_innen. Dem Rat bliebe entsprechend die Rolle des Aufsichtsrats, damit also nur noch eine Kontrolltätigkeit, vielleicht noch eine Beratungsfunktion des Vorstands. Diese politische Entmachtung könnte Kommunalpolitiker_innen schmackhaft gemacht werden durch allerlei Aufsichtsratsposten bzw. Mitgliedschaften in den Gesellschafterversammlungen der ausgegliederten Teile – in der Regel verbunden mit Aufwandsentschädigungen unterschiedlicher Höhe.
Was sich damit aber erledigt haben dürfte, ist eine Vorstellung von kommunaler Selbstverwaltung, die den Bürger_innen noch Einflussmöglichkeiten lässt. Sie können zwar noch den Verwaltungsvorstand, sprich Oberbürgermeister, alle acht Jahre wählen. Keinen Einfluss aber haben sie auf die Geschäftsführungen der Tochterunternehmen und auch zumeist keinen Einblick in die Bilanzen. Die Gemeinwohlverpflichtung, bei der heute noch der Erbringung städtischer Leistungen angenommen werden kann, schwindet zugunsten einer Strategie, die Gewinnabführungen an den Mutterkonzern ins Zentrum stellt. Mit dem Wandel in den Konzern verschwindet die Kommune.