Stigmatisiernd und diskriminierend? Darauf kommt es nicht an!

Gutscheine für FlüchtlingeDer neue niedersächsische Innenminister Boris Pistorius (SPD) hat es auf dem Verordnungsweg den niedersächsischen Kommunen überlassen, ob sie Flüchtlingen Geld geben oder Gutscheine. Ergebnis: 26 Kreise beziehungsweise kreisfreie Städte von insgesamt 46 im Land wollen umstellen oder haben das schon getan.

Wer sich aber weigert, ist Landrat Klaus Wiswe.

»Widerstand« gegen diese sture Haltung kommt vor allem aus der Stadt Celle. Oberbürgermeister Mende will Bargeld auszahlen und er wird dabei von SPD, Bündnisgrünen, WG und Die Linke/BSG unterstützt. Die SPD-Ratsfraktion hat einen Antrag eingebracht, in dem vorgeschlagen wird: Die Flüchtlinge sollen nach der Gutscheinausgabe diese sofort an der Stadtkasse in Bargeld eintauschen können. Die Kreistagsfraktionen von SPD und Bündnisgrünen haben Anträge eingebracht, die auf eine Abschaffung der Gutscheinpraxis zielen und voraussichtlich am 26. Juni im Kreistag abgestimmt werden. Es könnte eine Mehrheit geben, wenn die WG aus ihrem Bündnis mit CDU/FDP ausschert.

Um die unterschiedlichen Positionen deutlich werden zu lassen, dokumentieren wir einen von Helga Habekost initiierten »Offenen Brief« an Landrat Wiswe und die Antwort der Kreisverwaltung. Den »Offenen Brief« haben neben dem DGB auch AWO, Caritas und VHS unterschrieben.

Sehr geehrter Herr Landrat Wiswe,

mit Schreiben vom 27.02.2013 hat das Niedersächsische Ministerium für Inneres und Sport seine bisher vertretene Rechtsauffassung zur Gewährung von Grundleistungen gem. § 3 Abs. 2 AsylbwLG aufgegeben. Es überlässt den Leistungsbehörden jetzt, „ob die Leistungen zur Deckung des physischen Existenzminimums in Form von Wertgutscheinen [...] oder von Geldleistungen gewährt werden.“

Wir möchten Sie dringend bitten, diese Möglichkeit zu nutzen und für die Städte und Gemeinden im Landkreis Celle die Umstellung auf Gewährung von Geldleistungen zu verfügen, oder ihnen dies ebenfalls freizustellen.

Wie Sie wissen, haben einige der Unterzeichnerinnen und Unterzeichner sich schon in der Vergangenheit für die Abschaffung der Gutscheinpraxis stark gemacht.

Denn mit Gutscheinen ist es den Asylsuchenden unmöglich, z.B. Medikamente in Apotheken, Busfahrscheine in Bussen, Briefmarken oder ein Eis in der Eisdiele zu kaufen. - Da die Geschäfte nicht verpflichtet sind, Gutscheine entgegenzunehmen, sind die Einkaufsmöglichkeiten eingeschränkt, Garantieleistungen kaum möglich (da häufig keine Quittung erhältlich) und auch die Wechselgeld-Rückgabe macht Probleme.

Die Ausgabe von Gutscheinen wird von Flüchtlingsinitiativen als Demütigung und Stigmatisierung der Betroffenen kritisiert.

Für die Kommunen ist das Gutschein-Verfahren durch den bürokratischen Aufwand insgesamt ja sogar teurer als die Auszahlung von Bargeldleistungen und verfehlt den Gedanken der sparsamen und wirtschaftlichen Haushaltsführung. Auch für die einlösenden Geschäfte stellt die Abwicklung einen erheblichen Mehraufwand dar.

Unterdessen gehen in Niedersachsen immer mehr Gemeinden den Weg der Bargeldleistungen nach AsylbLG. Wir würden uns freuen, wenn Sie möglichst rasch die Abschaffung der Gutscheinpraxis auch im Landkreis Celle in die Wege leiten würden.

Mit freundlichen Grüßen / Helga Habekost
MIT - UNTERZEICHNER:
SPD-Fraktion, Celle: Jürgen Rentsch; WG-Fraktion, Celle: Torsten Schoeps; Die LINKE.BSG-Fraktion, Celle: Oliver Müller und Behiye Uca; AWO, Celle: Manfred May; DGB, Celle: Paul Stern; Caritas, Celle: Mechthild Schulze; Arbeitskreis Ausländer, Celle: Horst-Peter Ludwigs; Forum gegen Gewalt: Matthias Richter-SteinkeL; VHS, Celle / Projekt Arbeitsmarkt- Zugang für Bleibeberechtigte und Flüchtlinge: AZF II Liliane Steinke / Evelyn Rzymelka; Marlies Petersen, Eschede - Susanne Seitz, Celle - Georgia Langhans, Celle - Bernd Zobel

 

Sehr geehrte Frau Habekost,

Herr Landrat Wiswe hat mich gebeten, Ihren o.g. Brief zu beantworten.

Nach der aktuell geltenden Fassung des Asylbewerberleistungsgesetzes gibt es einen Vorrang der Wertgutscheine vor der Barauszahlung. Die vorliegenden (ober-)gerichtlichen Entscheidungen bestätigen diese Auslegung der gesetzlichen Formulierung ausdrücklich.

Das Bundesverfassungsgericht hat zwar die Höhe der Leistungen nach § 3 AsylbLG für verfassungswidrig erklärt und insoweit eine Übergangsregelung getroffen; die Regelungssystematik des AsylbLG hat es aber ausdrücklich unangetastet gelassen und ausgeführt, dass die Entscheidung des Gesetzgebers in § 3 Abs. 2 Satz 1 AsylbLG, zur Deckung des existenzsichernden Bedarfs vorrangig Sachleistungen (bzw. nachrangige Leistungsarten, vgl. BVerfG aaO, Rdnr. 134 a.E.) vorzusehen, durch die vom BVerfG getroffene Übergangsregelung nicht berührt wird (Rdnr. 135). Anderweitige Gerichtsurteile liegen mir nicht vor.

Vor diesem Hintergrund gibt es derzeit eine klare Rechtslage, die sich durch eine bloße Verwaltungsvorschrift wie den Erlass des Nds. Ministeriums für Inneres und Sport vom 27.02.2013 nicht geändert hat. Auf die Frage, ob diese Rechtslage gefällt, oder ob die Gewährung von Gutscheinen stigmatisierend bzw. diskriminierend ist, kommt es vor dem Hintergrund der klaren Rechtslage überhaupt nicht an.

Der Nds. Minister für Inneres und Sport, Herr Pistorius, hat anlässlich der Landkreisversammlung am 11.04.2013 erläutert, dass mit dem neuen Erlass keine Regelung verbunden sei, sondern lediglich der alte Erlass mit seiner die Anwendung des Asylbewerberleistungsgesetzes einengenden Auslegung aufgehoben worden sei. Das Asylbewerberleistungsgesetz als geltendes höherrangiges Recht beinhalte grundsätzlich einen Vorrang der Wertgutscheine vor genereller Barauszahlung, von dem nur bei Vorliegen ganz besonderer Umstände abgewichen werden könne. Eine freie Auswahl gebe es nicht.

Besondere Umstände, die eine Abweichung rechtfertigten, sind im Landkreis Gelle nicht ersichtlich.

Ich kann deshalb an diejenigen die eine andere Praxis wünschen, nur appellieren, dies auf dem rechtsstaatlichen Weg einer Gesetzesänderung durchzusetzen. Der Nds. Minister für Inneres und Sport hat angekündigt, dass sich Niedersachsen auf Bundesebene für eine solche Änderung einsetzen werde.

[...] Bis zu einer entsprechenden Gesetzesänderung wird es im Landkreis Celle bei der bisherigen Leistungsgewährung bleiben.

Mit freundlichen Grüßen In Vertretung
(Krüger) Erster Kreisrat