„Völlig unverhältnismäßig und rechtlich fragwürdig“ (Oliver Müller)

„Hier geht es nicht um Willkür,“ teilte die Stadt Celle über die sozialen Medien mit, „sondern akute Lebensgefahr“. Und weiter: „Wir müssen handeln, damit wir nicht schlimmstenfalls ein Inferno wie in London {...] beim Brand des Grenfell-Towers mit über 70 Toten, erleben.“ Der Vergleich kam von OB Jörg Nigge, der in einem Video-Statement meinte, „dass uns leider - auch vor den Hintergründen in England, die uns natürlich sehr sensibilisiert haben – einfach keine andere Wahl blieb, als heute hier die Wohnnutzung zu untersagen.“

Für die Bewohner*innen des Campingplatzes Silbersee in Vorwerk war dies mehr als ein schiefer Vergleich, als sie am Freitag, den 18. Mai, zwangsgeräumt wurden. Für Außenstehende wichtig zu wissen, ist, dass der Campingplatz vor allem von Dauercamper*innen genutzt wird. Darüberhinaus gibt es etliche Gebäude, die für ihrer Bewohner*innen fester Erstwohnsitz sind. Direkt betroffen waren rund 50 Menschen.

Selbstverständlich müssen gesetzliche Brandschutzvorgaben eingehalten werden. Der Skandal liegt hier in der Art und Weise, wie die Stadt Celle verfahren ist.

Ohne auch nur ein einziges Gespräch mit Bewoh-ner*innen des Geländes geführt zu haben, wurde ihnen die Räumungsverfügung am Freitag Mittag ausgehändigt bzw. an die Haustüren geklebt. Stadtbaurat Kinder informierte die Bewohner*innen dann um 16 Uhr persönlich darüber, dass alle bis 19 Uhr das Gelände zu verlassen hätten. Die Stadt stelle Notunterkünfte zur Verfügung (was dann wohl Kalandhof, Maschweg und Hohe Wende waren). Die Anordnung wurde dann mit Mitarbeiter*innen der Stadt und Security umgesetzt. Das Ganze wurde mit dem Verweis auf die akute Lebensgefahr – siehe oben – als alternativlos gerechtfertigt.

Aber hätte es nicht Alternativen gegeben? Die bemängelten Zustände müssen seit längerem bekannt gewesen sein. Im vergangenen September hatte es auf dem Campingplatz einen Gebäudebrand gegeben, den die Feuerwehr gelöscht hat, ohne öffentlich auf Probleme hinzuweisen. Die Bewohner*innen berichteten, dass es jedes Jahr eine Begehung – auch in Sachen Brandschutz – gegeben habe. Hier wäre also zu Fragen: Wer ist eigentlich in all den vergangenen Monaten seiner Verantwortung nicht gerecht geworden?
Der normale Gang der Dinge wäre gewesen: Nach einer Begehung wird eine Mängelliste aufgestellt und dem Pächter bzw. den Bewohner*innen wird ein Auflagenkatalog präsentiert, der in einem angemessenen Zeitraum umzusetzen ist. Die Auflagen ergeben sich aus der in Niedersachsen seit 1984 gültigen „Verordnung über Campingplätze, Wochenendplätze und Wochenendhäuser“, in der auch der Brandschutz geregelt ist.

Warum ist nicht dieser Weg gewählt worden? Diese Frage stellten sich auch die Bewohner*innen. Denn im Hintergrund lauern gravierende Veränderungen. Der Pächter der Campinganlage ist vor einigen Wochen gestorben. Die Stadt als Eigentümer sucht offensichtlich nicht nach einer Nachfolgeregelung sondern nach Investoren. In der Pressemitteilung der Stadt heißt es dazu: „Anlass der Überprüfung waren eine Bauvoranfrage sowie die geplante Veräußerung des Geländes durch die Stadt Celle.“ Die Befürchtung der Bewohner*innen geht selbstverständlich dahin, dass mit der Aktion im Sinne künftiger Investoren „aufgeräumt“ werden sollte.

Die Bewohner*innen protestierten auf ihre Weise mit einem „Camping“ auf dem Parkplatz vor dem Gelände. Die Verzweiflung war zu Beginn groß, und auch einschüchternde Nachwirkungen dürfte die Aktion haben.

Am Dienstag verkündete Stadtbaurat Kinder in einer Versammlung dann den Maßnahmenkatalog:

Bis auf Weiteres ist kein offenes Feuer auf dem Platz erlaubt. Das gilt auch für Kamine und sonstige Feuerstellen. Alle Gebäude sind mit Brandmeldern auszurüsten. Für sämtliche Gasflaschen sind Prüfnachweise zu erbringen. Damit das gesamte Gelände durch die Feuerwehr erreicht werden kann, werden unter anderem Wege geräumt und freigeschnitten, Bäume gefällt. Um die Gefährdungssituation zu entschärfen, müssen eng beieinanderliegende Wohnwagen durch Verlegung von Stellplätzen umgesiedelt werden. Nicht mehr genutzte Campingfahrzeuge werden entfernt. Es müssen illegal errichtete feste Anbauten an einzelnen Parzellen zurückgebaut werden.“

Keine dieser Maßnahmen rechtfertigt unter dem Strich die Zwangsmaßnahme. Der Vorsitzende der Ratsfraktion Die Linke/BSG dürfte insoweit Recht haben, als er nach Gesprächen vor Ort noch am Freitag die Räumung als „völlig unverhältnismäßig und rechtlich fragwürdig“ einordnete. Die Art des Vorgehens erscheine ihm nicht durch eine tatsächliche Gefahrensituation hervorgerufen, sondern als Versuch, die Bewohner*innen zu überrumpeln. Müller weiter: „Dass es für sie am Freitag Nachmittag viel schwerer ist, sich Rechtsschutz zu besorgen und ggfs. noch eine einstweilige Verfügung gegen die Räumung zu erreichen, weiß auch die Verwaltung. Die Art und Weise wie die Verfügungen zugestellt wurden [...] und die Behauptung ihrer Wirksamkeit am Zustellungstag erscheint mir zudem rechtlich sehr fragwürdig. Viel schlimmer aber ist, dass man die Menschen nicht ernst nimmt, sondern über ihre Köpfe hinweg über ihr Leben entscheidet. Ich schäme mich für die bürokratische Härte, die die Stadt hier an den Tag legt.“

Dass auch der AfD-Fraktionsvorsitzende Trenkenschu der Verwaltung „Willkür“ vorgeworfen hatte, nahm der SPD-Fraktionsvorsitzende Brammer zum Anlass mitzuteilen, dass die SPD sich „nicht an einem populistischen Wettlauf vorschneller Schuldzuweisungen“ beteilige.

Die Bewohner- und Camper*innen konnten im Laufe der Woche nach Pfingsten zurückkehren. Eine Frage aber ließ Stadtbaurat Kinder bei der Versammlung nach Pfingsten absichtsvoll unbeantwortet: Was passiert künftig mit dem Erstwohnrecht?

Die Stadt will das Gelände verkaufen, soviel ist sicher. Der Verkehrswert soll 850.000 EUR betragen. Einer der potenziellen Investoren entschuldigte sich, wie die Leute vom Silbersee berichten, bei ihnen und beteuerte, mit der Aktion nichts zu tun zu haben. Dieser potenzielle Investor betreibt in Celle und in Dahme an der Ostsee eine ambulante Krankenpflege und orientiert sein Interesse offensichtlich an den Standards von Eurocamping ZEDANO in dem Ostseebad Dahme. Über den anderen potenziellen Investor gibt es nichts zu sagen.

Auch wenn die Erleichterung bei den Bewohner*innen nach der Rückkehr auf den Platz und in die Wohnungen groß war. Es wäre ein Fehler, der Beschwichtigungsstrategie der Stadt glauben zu schenken. Dort meint man, alles im Griff zu haben. Eine Pressemitteilung zur Versammlung am Dienstag, verschickte die Stadt an die Redaktionen – versehen mit einer Sperrfrist – noch bevor die Versammlung überhaupt begonnen hatte.