Nordwall-Knoten durchschlagen – guter Witz!
Die Cellesche Zeitung war happy: Ihr Oberbürgermeister habe den Nordwall-Knoten durchschlagen. Heraufbeschworen wurde das Bild des Gordischen Knoten. Wem es gelinge, diesen zu lösen, werde die Herrschaft über Asien erringen. Alexander der Große versuchte sich gar nicht erst im „Lösen“, sondern durchschlug ihn mit seinem Schwert. In der jüngeren Geschichtsschreibung wird Alexander vor allem als „Zerstörer“ mit gewissen militärischen Fähigkeiten gesehen, der aber letztlich an politischen Fehlern gescheitert sei.
Die gegenläufige Befahrbarkeit des Nordwall ist Bestandteil des Celler Ring-Mythos. Danach soll durch einen Äußeren und einen Inneren Ring der Heilige Gral, sprich die Altstadt, geschützt, d.h. als Konsumtempel erhalten bleiben. Eine Vision noch aus Zeiten Martin des Großen.
Dass der Äußere Ring nicht geschlossen werden konnte, lag bis zuletzt am Eigensinn einiger Grundstücksbesitzer, die partout nicht weichen wollten. Aber jetzt endlich hatte man in der Chefetage des Rathauses einen Zahnarzt „weichgekocht“ und zu einem Immobilientausch bewegen können. (Über die Kosten wird die Öffentlichkeit im Unklaren gelassen.)
Nachdem schon das Rio's zum Jahresbeginn geräumt werden konnte, kann jetzt endlich die Abrissbirne genügend Platz schaffen für eine vierspurige Einmündung auf den Neumarkt. Im Rest behilft man sich mit einer Notlösung – aber dazu später.
Hehlentorstraße nur über den Kreisel
Irgendwann war mal die Rede davon, dass sich mit dem Ausbau des Nordwalls die Situation am Kreisel entspannen würde. Die Fraktion Die Linke/BSG nannte das mal „Celler Verkehrswunder“. Wundern werden sich bald andere – z.B. die Ja-Sager im Celler Stadtrat, denn: Wer künftig aus dem Nordwall kommt und in die Hehlentorstraße will, muss durch den Kreisel. Die Möglichkeit zum direkten Abbiegen gibt’s nicht mehr.
Die Auswirkung ist eine Doppelte: Entweder der Kreisel hat ein paar Automobilisten mehr zu verkraften oder diese nehmen künftig den Weg über den Inneren Ring und „beleben“ die Schuhstraße.
Fußgänger*innen sollten sich schon jetzt in ein Fitness-Programm begeben, denn die Querung dürfte eine der längsten in Celle sein.
Einen Vorteil hat das Ganze: Radfahrer*innen können künftig tatsächlich fahrend vom Nordwall in Richtung Mühlenstraße und müssen nicht mehr die Fußgänger*innen-Ampel nutzen.
Im Norden werden dafür alle Gebäude bis zur Nummer 5 einschließlich abgerissen. Was soll da dann passieren? Egal, dafür gibt es aus dem Rathaus keine Idee – zumindest keine öffentlich bekannte.
Entschleunigung – Yeah!
Da die Stadt sich an einem Standhaften, nämlich Maler Schröder, die Zähne ausbiss, ist der Rest der Planung auf Entschleunigung angelegt. Eine einzelne Autospur hat gerade mal die Breite von 2,25 Meter. Der typische in Celle verkehrende Bus hat eine Breite von 2,55 Metern – ach und mit Seitenspiegeln sogar 2,95 Meter. Ja, wie kommen die denn aneinander vorbei? Nur, indem sie auf den Fahrradstreifen ausweichen. Der soll ähnlich wie jetzt in der Hehlentorstraße gestaltet werden und hat eine Breite von 1,50 Meter. Da der vorgeschriebene Mindestabstand beim Überholen von Fahrradfahrer*innen ebenfalls 1,50 Meter beträgt, bedeutet dies faktisch (wie in der Hehlentorstraße zu beobachten): Sobald ein Fahrrad auf dem Nordwall unterwegs ist, verbietet sich ein Überholen, wenn nicht die Möglichkeit besteht, auf die gegenläufige Fahrbahn auszuweichen. Konsequenz: Die einen nennen's Entschleunigung, die andern Stau.
Fußgänger*innen haben an engen Stellen 2 Meter, an breiten 3,25 Meter – genug Platz für die vielen jungen Familien, die ja Celle mit ihren Kinderwagen bevölkern werden, wenn endlich der Nordwall gegenläufig ist.
Lobenswertes aus der Trickkiste
Auch wenn es nie ein Thema war, ist nachzuvollziehen, dass die Anwohner*innen in der Fritzenwiese ein Interesse daran haben, den Verkehr und damit verbundenen Lärm und Gestank loszuwerden. So soll es kommen. Die Fritzenwiese soll Fahrradstraße werden, d.h. PKW-Verkehr nur noch für Anlieger und mit Tempo 30.
Die Planer*innen verbinden damit sicherlich die Hoffnung, dass gerade Schüler*innen zu den Hauptverkehrszeiten die Fahrradstraße nutzen und nicht den Nordwall entschleunigen. Wir werden sehen.
Die Schlechteste aller Varianten
Aus dem Jahr 2014 gibt es ein „Verkehrlich-städtebauliches Gutachten B-Plan Nr. 142 „Stadtquartier Nordwall/Schuhstraße““. Im Erläuterungsbericht dazu ist das, was die Verwaltung jetzt als tolle Lösung auftischt, zwar so nicht vorhanden, aber: Die seinerzeit als Variante B bewertete Lösung kam gänzlich ohne Abriss aus – und hatte für den PKW-Verkehr eine Fahrbahnbreite von 3,25 Metern. Fahrrad- und Fußgänger*innenverkehr war – wie in Celle vielerorts üblich – zusammengelegt. Es würden – so der Bericht – aber Engstellen entstehen, wo Radfahrer*innen absteigen müssten. (Leider war von einer Fahrradstraße Fritzenwiese damals nicht die Rede.) Es war bewertet als die Schlechteste aller Varianten.
Als Vorteil dieser Variante wurde seinerzeit genannt: „Ein Teil der Substanz und der Nutzungen, insbesondere der Sporthalle (Standort mit Tradition, positive Nutzungsergänzung für die Innenstadt) und des ansässigen Gewerbetriebes, können erhalten bleiben. Ein weiterer Grundstückserwerb wird nicht notwendig – mit Ausnahme des Nordwall 4 – damit werden weitere Grundstückserwerbskosten vermieden. Die „Lückenschließung“ im östlichen Blockbereich kann schrittweise erfolgen.“
Auf einmal bewerten Nigge und die Ja-Sager im Rathaus den Erhalt der MTV-Halle positiv, die sie in der Ära von Mende am Liebsten alle (mit Ausnahme Die Linke/BSG) abgerissen hätten.
Wird das Ganze auch teurer?
Bisher unhinterfragt durch die Politik ist auch die Frage der Kosten: Der gesamte Bauabschnitt soll jetzt noch 12,2 Millionen Euro kosten. Drei Millionen seien bisher schon für den Grunderwerb ausgegeben worden. Mit etwa 4,4 Millionen rechnet die Stadt – laut CZ – aus Mitteln des Gemeindefinanzierungsgesetzes. Das heißt: Die Stadt lässt sich den „Scheiß“ fast 11 Millionen kosten. Das kann doch angesichts der Sparen – Sparen – Sparen-Ideologie eigentlich nicht ihr Ernst sein. Ist es aber.
Im Stadtrat sind fast alle glücklich
Heiko Gevers, CDU-Fraktionsvorsitzender, wird von der CZ so zitiert: „Wir bekommen jetzt genau das, was wir haben wollten, auch wenn es mit gewissen Einschränkungen verbunden ist, was etwa die Fahrbahnbreite betrifft." Der SPD-Fraktionschef Brammer möchte „kein Haar in der Suppe finden“. Für die Bündnisgrünen meint Bernd Zobel, dass die Lösung gute und schlechte Seiten habe. Kurioserweise sieht er gerade die Fahrradstreifen offenbar als "schlechte" Seite und sorgt sich um die Sicherheit. Dabei ist's für Radfahrer*innen eine der besseren Varianten, wenn sich die PKW-Fahrer*innen an die StVO halten. Immerhin: Die Linke/BSG lehnt die Planungen weiterhin konsequent ab.
Die Verwaltung unter Dr. Jörg Nigge sieht anscheinend auch keinerlei Veranlassung, ihre Planungen mit dem Rat abzustimmen oder mit den Bürger*innen zu diskutieren. So sieht die Einlösung seines Wahlversprechens aus, „mit dem Rat aktiv zusammenarbeiten“ und „das Gespräch mit den Celler Bürgerinnen und Bürgern aktiv in meine Arbeit ein[zu]binden“.