Nazi-Demonstration in Celle am 30. Juni 2018

Neonazis haben für den 30. Juni 2018 eine Demonstration in Celle angekündigt. Die Anmelder agieren unter dem Namen „Patrioten Niedersachsen“. Ihre Demonstration soll stattfinden unter dem Motto: „Gegen Fehlpolitik und für soziale Gerechtigkeit dem deutschen Volke“. Als Auftaktort ist der Bahnhofsvorplatz angemeldet, der Beginn ist auf 13 Uhr terminiert.
Die letzte größere Nazi-Demonstration in Celle fand im Jahr 2006 statt. Damals waren es die Freien Kameradschaften, die in Celle einige Aktivist*innen hatte. Am 30. Juni sind rund 100 Teilnehmende zu erwarten, die dem Spektrum von NPD, Kameradschaftsszene, Pegida, Identitäre und AfD zuzurechnen sind.

Wer im Internet nach den „Patrioten Niedersachsen“ recherchiert, wird zunächst auf ihre Facebook-Seite stoßen. Diese wurde im März 2017 angelegt. Sie weist die Betreiber in den ersten Profilbildern als Hardcore-Nationalsozialisten aus, zu sehen sind u.a.: die „Schwarze Sonne“ (also ein Ersatzsymbol für das Hakenkreuz), die schwarz-weiß-rote Flagge mit Eisernem Kreuz und einem leicht abgewandelten Wahlspruch der SS, nämlich: „unsere ehre ist treue“. Inhaltlich findet sich das übliche Sammelsurium, das Neonazis heute umtreibt.
Aktionistisch wurde der Name „Patrioten Niedersachsen“ erstmals für die Anmeldung einer Demonstration in Peine am 2. Februar 2018 genutzt.

Zu dieser Demonstration in Peine gibt’s einige Infos auf „RECHERCHE38“, einem Blog über und gegen Neonazis und die Extreme Rechte zwischen Harz und Heide“ - wir zitieren daraus:
Die »Patrioten Niedersachsen« firmieren offiziell unter einer Postfachadresse in Oldenburg. Tatsächlich steckt hinter der Gruppierung aber vor allem Enrico Pridöhl aus Schleswig-Holstein. Pridöhl fällt seit Jahren dadurch auf, dass er wiederholt unter diversen Labels und Facebook-Seiten (wie z.B. »Schleswig Holstein wehrt sich«) Demonstrationen in Schleswig-Holstein, aber auch in anderen Regionen, anmeldet. Demonstrationen die sich vor allem dadurch auszeichnen, dass sie meist auf keine oder nur sehr geringe Resonanz stoßen. So berichtete z.B. der Ostholsteiner Anzeiger, dass eine für Oktober 2015 angekündigte „Großdemo“ von Pridöhl in Malente vor Ort abgesagt wurde, da nur eine handvoll Teilnehmer*innen gekommen war. Bereits im Februar 2015 hatte Pridöhl im brandenburgischen Prenzlau ebenfalls eine Demonstration angemeldet, zu der „nur drei Demonstranten, deutlich mehr Gegendemonstranten und bis zu 100 Polizeibeamte erschienen“, so die Ostholsteiner Zeitung. Ähnliche Berichte gibt es auch über weitere großspurig angekündigte Demonstrationen von Pridöhl in den letzten Jahren.
Pridöhl war auch Anmelder der ersten „Demonstration“ der »Patrioten Niedersachsen», die am 2. September 2017 in Prenzlau (Brandenburg) stattfinden sollte. Von den 669 Personen, die über Facebook eingeladen wurden, hatten 37 ihr „Interesse“ bekundet und 13 ihre Teilnahme zugesagt. Gekommen waren schließlich aber nur 6 Teilnehmer*innen, so dass auch diese Demonstration ins Wasser fiel.

Neben Pridöhl sind als Organisator*innen der Demonstration in Peine bisher Daniela Habermann aus Haldensleben (Sachsen-Anhalt) und Melinda Schult in Erscheinung getreten. […] Verbunden mit den »Patrioten Niedersachsen« ist auch die Facebook-Gruppe »Deutscher Volksschutz« [...].

Enrico Pridöhl und die anderen Organisatoren der Demo in Peine gehören außerdem zum Spektrum der extrem rechten Hilfsinitiative »Wir für uns«. Die Initiative, die derzeit anstrebt einen Verein zu gründen, sammelt und verteilt nach eigenen Aussagen Spenden für arme Familien, Obdachlose und andere Hilfsbedürftige allerdings ausschließlich nach völkischen Kriterien nur „an unsere eigenen Landsleute“.

Die Nazi-Versammlung hatte „in der Spitze 95 Teilnehmer“ - so der Polizeibericht (siehe Foto links). Als Redner traten auf: Alexander Kurth („Die Rechte“/THÜGIDA),, Jens Wilke („Volksbewegung Niedersachsen“), Jürgen Wirtz („Hannoveraner gegen die Islamisierung des Abendlandes“ (HAGIDA)) und Lutz Urbanczyk (AfD-Berlin).

Zu Alexander Kurth vielleicht noch eine ergänzende Information von RECHERCHE38: „Der ehemalige NPD-Funktionär ist laut dem Fernsehsender MDR das „bekannteste Gesicht der Rechten in Sachsen“ und heute bei der neonazistischen Kleinpartei »Die Rechte« und bei »THÜGIDA – Wir lieben Sachsen« aktiv. Kurth war vor einigen Jahren an einem „Überfall auf den Sänger der ‚Prinzen‘, Sebastian Krumbiegel, und den Schlagzeuger der Band, Ali Ziemer, beteiligt und musste deshalb eine mehrjährige Haftstrafe verbüßen.“

Nach den Reden marschierten die Neonazis mit einschlägigen Parolen wie „Frei Sozial und National“ und „Nationaler Sozialismus jetzt jetzt jetzt“ in Peine um den Block.
Zu einer Gegenkundgebung hatte das „Peiner Bündnis für Toleranz – Bunt statt Braun“ aufgerufen, rund 250 Menschen nahmen teil.

 

Interview mit Jürgen Eggers (Die Linke) zu Gegenaktionen in Peine:
„Zufrieden mit der Beteiligung.“

Zu der Demonstration in Peine und den Gegenaktionen sprachen wir mit Jürgen Eggers. Der 60-Jährige ist Industriemechaniker und Betriebsrat bei „Peiner Träger“ und für Die Linke seit 2009 im Rat der Stadt Peine.

??: Bei Euch in Peine haben die „Patrioten Niedersachsen am 3. Februar demonstriert. Wie habt ihr eigentlich von der Demonstration erfahren? Du bist ja im Stadtrat, hat die Verwaltung die Ratsmitglieder informiert?

!!: Wir haben die Info über unser Bündnis bekommen. Antifaschisten in der Region hatten das im Netz gesehen und das Peiner Bündnis informiert. Die Verwaltung der Stadt hatte nicht informiert. Das Bündnis hat auf Nachfrage die Infos bekommen.

??: Bei euch hat ein "Bündnis für Toleranz" zu einer Gegenkundgebung aufgerufen. Gab es dieses Bündnis schon vorher? Welche Initiativen, Verbände und Parteien gehören zu diesem Bündnis?

!!: Das Bündnis gibt es seit 2011. Es gehören ihm an, SPD, Grüne, LINKE, DGB, IG Metall, Ver.di, GEW, VVN, evangelische Kirche. Es wird unterstützt von weiteren Verbänden wie Kinderschutzbund, Amnesty International, Interkultura Peine, kirchlichen Arbeitskreisen etc. Am Fest der Kulturen was wir seit fünf Jahren veranstalten beteiligt sich auch der Kreissportbund, Migrantengruppen, CVJM, Weltladen etc.

??: Die Gegenkundgebung bei euch ist außer Sichtweite der Neonazi-Demonstration gelaufen? War das so gewollt? Und: Haben sich darin alle wiedergefunden? Du weißt, wenn Neonazis demonstrieren, haben viele Leute auch ein Interesse, direkt vor Ort ihre Meinung kundzutun?

!!: Nein, die Kundgebungsplätze lagen maximal 100 Meter auseinander. Sie waren aber durch eine Straße getrennt, die an beiden Seiten von Polizei abgeriegelt war. Und es stand noch ein Gebäude dazwischen. Es bestand schon der Anspruch vom Bündnis auf dem gleichen Platz eine Kundgebung durchzuführen. Letztendlich wurde diese Variante aber vom Bündnis akzeptiert. (Ein Blick auf den Stadtplan macht das deutlich, die Faschos waren am Südende des Schützenplatzes. Die Gegenkundgebung war in der Beethovenstraße gegenüber).

??: Wir kennen die Peiner Verhältnisse nicht – warst du halbwegs zufrieden mit der Beteiligung an der Gegenkundgebung und den Reden und Aktionen?

!!: Mit der Beteiligung waren wir zufrieden. Das ist das Potential, was auf jeden Fall mobilisierbar ist. Es war ja ein Samstag und ein langes Wochenende für Schüler. Die Reden waren auch okay.

??: Habt ihr in Peine noch Aktivist*innen aus NPD oder Kameradschaftskreisen – also anders gefragt: Hast du eine Idee, wieso die in Peine demonstriert haben?

!!: Bekannte rechte Aktivisten haben wir nicht, soweit ich weiß. Aber es gibt wohl in rechten Kreisen auch Kontakte ins Peiner Land. Unsere Hauptvermutung ist, dass die Rechten im Vorfeld des 2. Juni [Nazi-Aufmarsch in Goslar] in einigen kleineren Städten auftreten, um zu testen, wie hoch jeweils die Mobilisierung dagegen ist. Anders ausgedrückt, sie suchen Orte, wo sie unwidersprochen ihre menschenverachtende Ideologie öffentlich und ungestört verbreiten können.

??: Was hattest du für einen Eindruck, welches Spektrum an Neonazis sich bei euch versammelt hat? In der Presse war zu lesen, viele Autonummernschilder seien aus den sogenannten neuen Ländern gewesen?

!!: Es war ein auswärtiges Spektrum von Neonazis, dass sich hier versammelt hatte. Viele aus Sachsen. Ein paar wenige auch aus Niedersachsen.

??: Wir wissen recht wenig über diese sogenannten „Patrioten Niedersachsen“. Habt ihr da jetzt Kenntnisse?

!!: Ehrlich gesagt, habe ich über die Patrioten nicht viel mehr Kenntnisse als vorher. Ich weiß, dass Sie zu AfD Kreisen, Pegida und den Identitären Verbindungen haben. Es sind Redner aufgetreten, wie Lutz Urbanczyk von der AfD Berlin und Alexander Kurth, ein Ex-NPD Funktionär und Thügida-Sprecher.

??: Letzte Frage: Wie hat sich die AfD in Peine zu der Demonstration verhalten?
!!: Die AFD hat sich über die Presse offiziell von den Rechten und den Rednern distanziert. Gleichzeitig haben sie versucht, unser Bündnis in die linksautonome Ecke zu schieben und damit die Gegenkräfte zu spalten.

 

Interview mit einem Vertreter des Celler Forum gegen Gewalt und Rechtsextremismus:
„Flagge zeigen für Weltoffenheit“

??: Ihr hattet in der letzten Maiwoche ein Bündnistreffen. Wie schätzt ihr die Bedeutung der Nazi-Demo ein?

!!: Auch wenn wir auch nicht mit einer großen Anzahl von Teilnehmenden an der angekündigten Nazi-Demo rechnen, so sind die Patrioten durchaus Teil der rechten Bewegung, die rechte völkische Statements herausposaunen – gegen Flüchtlinge, gegen gesellschaftliche Diversität. Sie sind sozusagen Lautsprecher des gesellschaftlichen Klimas. Durch ihre rassistischen Äußerungen werden wiederum andere ermutigt, rassistische Straftaten zu begehen. Es war allen Anwesenden wichtig, am 30.06. gegen das Auftreten der Patrioten und gegen rassistische, völkische Positionen „Flagge zu zeigen“.

??: Was habt ihr geplant?

!!: Wir werden auf diversen Plätzen Mahnwachen anmelden. Zum einen um diese zu belegen, so dass die Patrioten diese nicht nutzen können. Zum anderen um diese Plätze evtl. als Anlaufstellen zu haben, sozusagen als Stützpunkt, um sich dort zu versammeln, wenn die Nazis in der Nähe ihre Demonstration durchführen. Unsere letzte Info ist, dass die Stadt den Anmelder der Nazi-Demo nicht als Versammlungsleiter akzeptiert und aufgefordert hat, eine andere Person zu benennen. Auch die angemeldete Route vom Bahnhof durch die Altstadt und zurück ist in dieser Form nicht genehmigt worden.

??: Was ist eure inhaltliche Stoßrichtung?

!!: Wir wollen nicht nur gegen Nazis demonstrieren, sondern gemeinsam zum Ausdruck bringen, wofür wir stehen und das heißt vor allem: ein weltoffenes Celle. Deshalb ist geplant, dass wir uns schon mittags im Triftpark treffen, dort gemeinsam Picknicken, Musik hören etc. Von dort ist es nicht weit zum Bahnhof und wir sind schnell dort, wenn sich die Nazis versammeln und ihre Demo durchführen wollen. Denn wann genau es losgeht, wenn überhaupt, wissen wir aktuell nicht. Und für den Fall, dass die Nazis ihre Demo kurzfristig absagen, können wir mit einem gemeinsamen Treffen im Triftpark unser Anliegen – also gegen Rassismus und Rechtsextremismus, für ein weltoffenes Celle – gut vorbringen.