Hustedter Kamingespräch mit Lennard Aldag , IG Metall

Anfang Juli hatte die HVHS Hustedt Lennard Aldag, Gewerkschaftssekretär der IG Metall Geschäftsstelle Celle-Lüneburg, eingeladen. Thema: „Wo stehen wir: Betriebsratswahlen in Stadt und Landkreis Celle“. Breiten Raum nahmen aber auch tarifpolitische Neuerungen ein.

Vom Geschäftsführer der HVHS Hustedt, Maximilian Schmidt , gefragt, wie er die Ergebnisse der Betriebsratswahlen in einem Wort zusammenfassen würde, bat Aldag um zwei und antwortete: „Nichts Neues“. Kleine Einschränkung: Seit der vorherigen BR-Wahl habe es in keinem Betrieb eine Auflösung gegeben, aber in zwei Betrieben sei erstmals ein Betriebsrat gewählt worden. Zum einen bei Delta Systemtechnik GmbH in Celle, einem Hersteller von Frischwarmwassersystemen mit anhängender Raumwärmeversorgung mit etwa 100 Mitarbeiter*innen, zum andern bei NERAK GmbH Fördertechnik in Hambühren, einem Betrieb mit gut 150 Mitarbeiter*innen.

Trotz allem Sonntagsgerede von der „Sozialpartnerschaft“ würden Betriebsratsgründungen von vielen Geschäftsleitungen mehr denn je massiv bekämpft. Dabei ist die Behinderung von Betriebsratswahlen eine Straftat. Aber, wie Aldag anmerkte, handele es sich wahrscheinlich um den einzigen massenhaften Straftatbestand in der Bundesrepublik bei dem es praktisch keine Anklagen und Verurteilungen gäbe. Kandidat*innen für BR-Wahlen würden mit Drohungen eingeschüchtert oder auch mit „Zuckerbrot“ für einen Verzicht belohnt.
Manche Beschäftigte würde nach wie vor die Vorteile einer Vertretung durch einen Betriebsrat zu gering schätzen. Aldag nannte als Gründe zum einen die neoliberale Wende, die solidarisches Denken insbesondere bei jüngeren Generationen zunehmend aushebeln würde, zum andern aber auch negative Erfahrungen, die z.B. Aussiedler*innen aus ihren Herkunftsländern mitgebracht hätten.

Trotzdem: Um die Tarifbindung wieder zu stärken, sei es unumgänglich möglichst viele Betriebsräte neu zu gründen. Dabei verwies Aldag gleichzeitig auf die Notwendigkeit der (Re-)Politisierung von Gewerkschaften, denn nur mit einem klaren Blick auf Gesellschaft könnten Entsolidarisierung und Spaltung entlang rassistischer Ideologie zurückgedrängt werden.
Zur Frage, wie Gewerkschaften auf aktuelle Herausforderungen reagieren würden, verwies Aldag auf den jüngsten Tarifvertrag im Metallhandwerk Niedersachsen. Damit sei es gelungen, Beschäftigten ein früheres Renteneintrittsalter ohne Abschläge zu erleichtern.

Der neue Tarifvertrag sichert für Beschäftigte ab dem 50. Lebensjahr einen Rechtsanspruch auf eine monatliche Zusatzzahlung der Arbeitgeber*innen in die Deutsche Rentenversicherung in Höhe von 50 Euro, um einen früheren Ausstieg aus dem Arbeitsleben ohne Rentenkürzung zu ermöglichen. Die Beschäftigten können freiwillig einen zusätzlichen Beitrag leisten.
Wer beispielsweise mit 67 Jahren eine Rente von monatlich 1200 Euro erwartet, jedoch schon mit 65 Jahren aufhören will, hat normalerweise 86,40 Euro weniger Rente im Monat. Diesen Rentenabschlag kann eine heute 50-jährige Beschäftigte künftig annähernd ausgleichen, wenn sie auf die zusätzlichen 50 Euro Rentenbeitrag vom Arbeitgeber noch einmal selbst 50 Euro drauflegt. Sie kann dann bereits mit 65 Jahren annähernd ohne Abschläge in Rente gehen.

Wie Gewerkschaften auf die Zeit-Bedürfnisse von Beschäftigten reagieren, zeigte Aldag an einem weiteren Aspekt, der ab 2019 in allen Tarifgebieten der Metall- und Elektroindustrie gültig wird:

Vollzeitbeschäftigte haben dann einen Anspruch auf verkürzte Vollzeit. Sie können ihre Arbeitszeit 6 bis 24 Monate lang auf bis zu 28 Stunden in der Woche reduzieren. Danach haben sie das garantierte Recht, wieder zu ihrer normalen Vollzeit zurückzukehren - oder erneut einen Antrag auf verkürzte Vollzeit zu stellen.

Zudem gibt es eine Wahloption für Beschäftigte, die Kinder erziehen, Angehörige pflegen oder in Schicht arbeiten. Sie können neue jährliche Sonderzahlung, das tarifliche Zusatzgeld in Höhe von 27,5 Prozent eines Monatslohns auch als Zeit nehmen. Normalerweise kämen dabei sechs freie Tage im Jahr heraus. Die IG Metall hat jedoch durchgesetzt, dass der Arbeitgeber noch zwei Tage als Bonus obendrauf legt. Das heißt: Es gibt zusätzliche acht Tage frei im Jahr.

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Das Foto ist von einer ver.di Aktion bei Celler REAL-Markt am 13. Juli - der Artikel dazu findet sich auf Seite 10. (Foto: J. Elendt)