Direkt nach der Sommerpause überraschte Oberbürgermeister Dirk-Ulrich Mende den vertraulich tagendenden Verwaltungsausschuss mit neuen Überlegungen zur Abwasserwirtschaft: Eine Teilprivatisierung mit der Gelsenwasser AG als bevorzugtem privaten Partner ist vom Tisch. Jetzt strebt er "eine Verlagerung von Aufgaben des Abwasserbereichs" an die Stadtwerke GmbH an. Dafür holte er sich ein "Prüfmandat", dessen Ergebnisse er im Dezember vorlegen will. Bis auf die Fraktion Die Linke/BSG stimmten alle anderen dafür.
Das "Wassernetzwerk Celle" konstatierte einen Etappensieg gegen die Privatisierungspläne. Aber auch die neue Richtung ist problematisch. Die Ausgliederung an die Stadtwerke ist zwangsläufig mit einer Gebührenerhöhung verbunden, weil dann auf die Abwassergebühr die Mehrwertsteuer erhoben werden muss. (Selbst wenn sich dies nicht in Höhe der vollen 19 %, sondern nur mit 12 % in der Gebührenabrechung spiegeln sollte, wären das für alle Verbraucher*innen zusammen Mehrkosten in Höhe von einer Mio. Euro.). Bei der derzeitigen Organisation als Regiebetrieb fällt diese Steuer nicht an.
Dazu kommt: Wenn die Stadtwerke künftig nicht nur die Trinkwasserkonzession, sondern noch die Abwasserwirtschaft unter ihrem Dach haben, werden sie um ein Erhebliches attraktiver für die Gelüste der großen Wasserkonzerne. Aber im einzelnen:
Die Verwaltungsspitze hat nach über einem Jahr - und offensichtlich intensiven Gesprächen mit Gelsenwasser - festgestellt, was die Gegner*innen der Teilprivatisierung von Beginn an behauptet haben: Es bringt weder für den städtischen Haushalt noch für die Bürger*innen einen Vorteil. So wird in einer entsprechenden Vorlage für den Rat festgehalten: "Als Ergebnis einer Kooperation mit einem Dritten ergäbe sich also nach Prüfung nur eine im Verhältnis geringe Verbesserung der Haushaltssituation durch das beschriebene Fachpartnermodell."
Irgendwann im Laufe der Prüfung scheint der Verwaltungssitze aufgegangen zu sein, dass der kostendeckend arbeitende Abwasserbereich gerade keine Belastung des Haushalts darstellt - eher im Gegenteil. Was jetzt neu in den Fokus rückt ist der Bereich Niederschlagswasser. Hierfür werden nämlich bisher in Celle im Unterschied zu anderen Städten und Gemeinden keine Gebühren erhoben. Dabei geht es um die Entsorgung von Regenwasser, das von Dächern oder versiegelten Flächen in die Regenwasserkanalisation gelangt. Eine Gebühr, die hierfür erhoben werden kann, bezieht sich z.B. auf Dachflächen oder wasserundurchlässigen Flächen eines Grundstücks, von denen das Regenwasser nicht auf dem Grundstück versickert, sondern in die Kanalisation geleitet wird. Nun ist es allerdings so, dass die Stadt selbst mit ihren öffentlichen Flächen (Straßen, Parkplätze etc.) für mindestens 75 Prozent des Niederschlagswassers verantwortlich ist. Trotzdem rechnet das Rathaus mit möglichen Einnahmen in Höhe von rund 425.000 Euro jährlich.
Wie hängt jetzt das eine (die Ausgliederung der Abwasserwirtschaft an die Stadtwerke GmbH) mit dem anderen (Erhebung einer Niederschlagsgebühr) zusammen? Erstaunlicherweise eigentlich gar nicht. Die Stadt kann auch diese Gebühr selbst einführen und wer sie zahlen muss, hätte den Vorteil, keine Gewerbesteuer darauf zahlen zu müssen.
Es gibt also keine plausible Begründung für die Prüfung einer Ausgliederung. Der einzige Effekt könnte sich "buchtechnisch" ergeben: Zins- und Schuldentilgung für Investitionen im Abwassersektor spielen sich nicht mehr im städtischen Haushalt, sondern in dem der Stadtwerke ab. Aber es sei hier noch einmal festgehalten: Dies wird Jahr für Jahr über die Abwassergebühren "eingespielt" und stellt nicht wirklich eine Belastung des Haushalts dar.
Damit nähern wir uns dem Spekulativem. Sowohl das "Wassernetzwerk" wie die Ratsfraktion Die Linke/BSG weisen darauf hin, dass mit der Ausgliederung der Abwasserwirtschaft die Vorbereitung eines ganz großen Deals verbunden sein kann. Auch für viele Formen der Teilprivatisierung hätte eine gemeinsame privatrechtliche Gesellschaft von Stadt und dem privaten Dritten gegründet werden müssen. Ist das Abwasser (und künftig das Niederschlagswasser) schon bei den als GmbH organisierten Stadtwerken, steht einer so genannten "Fachpartnerschaft" mit Gelsenwasser oder anderen formal nichts mehr im Wege. Und selbstverständlich sind die Stadtwerke insgesamt dann ein noch attraktiveres "Objekt der Begierde" für die großen Wasserkonzerne.
Norbert Wabnitz dazu: "Der zurückliegende Versuch einer Teilprivatisierung ist weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit abgelaufen. Deshalb kann man sich jetzt fragen, ob es sich bei der neuen Initiative nur um einen ersten Schritt handeln könnte. Eine Stadtwerke GmbH, die sowohl die Trinkwasser- als auch die Abwasserwirtschaft in ihrer Regie hat, könnte für auswärtige Investoren interessanter werden und dadurch ein Ziel für neue Privatisierungsversuche abgeben. Muss man jetzt befürchten, dass gerade darin der verborgene Sinn für eine Ausgliederung der Abwasserwirtschaft zu suchen ist?"
Dieser Gedanke ist so abwegig nicht. Denn die Betriebsführung des Trinkwassersektors machen die Stadtwerke ja auch nicht selbst, sondern dies erledigt Celle-Uelzen Netz GmbH (vorher SVO).
Das Wassernetzwerk Celle hat deshalb angekündigt, auch gegen eine Ausgliederung in die Stadtwerke GmbH anzugehen: "Es ist einfach für alle Betroffenen, für die Bürgerinnen und Bürger und für die Beschäftigten, das Beste, die Abwasserwirtschaft weiter in Form eines Regiebetriebes der Stadt Celle zu führen."
Im Stadtrat gibt es für diese Position allerdings bisher nur die Unterstützung von der Fraktion Die Linke/BSG. Alle anderen schirmen sich ab hinter dem Argument, dass die Stadtwerke doch eine 100-ige Tochter der Stadt sind und der Einfluss damit jederzeit gewährleistet sei. Das stimmt zwar im Prinzip, aber: Heute ist über den städtischen Haushalt nicht nur eine vollständige Gebührentransparenz gegeben, sondern eben auch der Rat und nicht der Geschäftsführer der Stadtwerke GmbH treffen die Entscheidungen über die Investitionen und die Entwicklung der Abwasserwirtschaft. Das ist ein Unterschied.
Hoffnung macht allerdings der Erfolg der Kampagne des "Wassernetzwerks". OB Mende und die SPD-Ratsfraktion kamen erheblich unter Druck. So beschloss der SPD-Unterbezirkstag im Mai in seiner "Wathlinger Erklärung": "Nicht zuletzt werden wir auch bei Energie- und Wasserversorgung sowie Abfall- und Abwasserentsorgung dafür sorgen, dass weitere Privatisierungen verhindert werden." Es kostete einigen Aufwand, diese Erklärung durch die SPD-Mitgliederversammlung im Juni wieder kompatibel zu machen mit Mendes Plänen. Alle Bereiche der Daseinsvorsorge müssten durch die Öffentlichkeit kontrolliert werden, hieß es in einer aufgeweichten Variante. Und die, so erklärte der Vorsitzende Christoph Engelen, erlaube auch das Zusammengehen mit einem starken Partner.
Die Stadtwerke GmbH
Das unbekannte Wesen
Das ganze 20. Jahrhundert über waren die Stadtwerke GmbH das wichtigste Standbein für die Daseinsvorsorge der Stadt. Dann räumte Dr. h.c. Martin Biermann, unterstützt von einer großen Ratskoalition auf: Der Energiesektor wurde an die SVO verkauft und der querfinanzierte öffentliche Personennahverkehr seinem Elend überlassen. Heute ist es nur noch die Trinkwasserversorgung, die mit ihren Gewinnen nicht nur Badeland und Parkhäuser subventioniert, die ihre "Miesen" unter dem Dach der Stadtwerke erwirtschaften, sondern auch den städtischen Haushalt stützt. Vom Bilanzgewinn in Höhe von rund 2,3 Mio. flossen 1,3 Mio. Euro in den städtischen Haushalt. Dazu kommt die Konzessionsabgabe in Höhe von rund 725.000 Euro an die Stadt.
Trotzdem kennt kaum jemand in Celle den aktuellen Sitz der Stadtwerke. Na? Es ist die Gründerzeitvilla in der Magnusstraße 2. Und der Geschäftsführer? Es ist seit kurzem Thomas Edathy, ein Bruder des SPD-Bundestagsabgeordneten, der gerade den NSU-Untersuchungsausschuss leitet.
Die Unternehmensstruktur ist für Laien schwer durchschaubar. Das Kerngeschäft ist die Trinkwasserversorgung. Dafür haben die Stadtwerke eine Konzession bis 2031. Aber: Die Betriebsführung dieses Sektors macht komplett die SVO; sie ist gewissermaßen der "Fachpartner". Dann gibt es zwei defizitäre Bereiche: Zum einen das "Badeland"; da lassen sich die Verluste aus den uns öffentlich zugänglichen Bilanzen im Bundesanzeiger nicht erschließen. Zum anderen sind da die "Parkhäuser" in Form 100 %-igen Tochtergesellschaft "Celler Parkbetriebe GmbH", die erstaunlicherweise kein Gewinnbringer sind, sondern jährlich zwischen 700.000 und 800.000 Euro Verluste verzeichnen. Auf der Haben-Seite steht seit kurzem die "Rathsmühle" als Energieproduzent und - unterm Strich - Gewinnbringer. Der "Goldesel" des Unternehmens ist dann aber das EON-Avacon-Aktienpaket, das jährlich eine Dividende von rund 2,5 Mio. Euro bringt.
Das Unternehmen hat nur rund 40 Beschäftigte, was vor allem damit zusammenhängt, dass der Trinkwasserbereich eben von einem "Fachpartner" erledigt wird. Zum Aufsichtsrat gehören aktuell: Joachim Schulze (SPD) als Aufsichtsratsvorsitzender, Axel Fuchs (CDU) als Stellvertreter, Dirk-Ulrich Mende (SPD) als Oberbürgermeister und die Ratsmitglieder Sabine Pfeiffer (CDU), Jens Rejmann (SPD), Udo Hörstmann (Unabhängige) und Juliane Schrader (Bündnis 90/Die Grünen). Den Aufsichtsratsmitgliedern wurden in 2012 Aufwandsentschädigungen in Höhe von insgesamt 7.500 Euro gezahlt. Und wer von unseren Leser*innen jetzt noch Fragen hat, kann sich ja mal an die Aufsichtsratsmitglieder wenden, z.B. über abgeordnetenwatch.de